„Können Sie sich für das Leben, das Sie gerade leben, entscheiden oder nicht? Welche Dinge, mit denen Sie hier beschäftigt sind, würden Sie gerne zu Ende führen oder was würden Sie gerne noch anfangen?“
[aus: Berthold Gunster: Ja-aber (S.96/97)]
Ich lese seit einer Weile in Observers Ja-aber-Buch, das mich genau bei dieser Fragestellung voll erwischt hat…
Denn wenn ich wirklich ehrlich zu mir bin, würde ich gerne anders leben. So sehr ich meinen Job auch liebe und immer wieder betone, wie viel unendliches Glück ich mit meinem Chef habe und wie sehr ich mich auch darüber freue, dass meine „Retuschekunst“ von allen geschätzt wird,… so sehr wünsche ich mir auch, einfach nur zu schreiben. Ganz banal. Wenn ich mir das leisten könnte anstatt ständig nur zu leisten und wenn ich davon leben könnte, wäre mir das mit dem scheiß Abitur inklusive Studium auch egal. Dann müsste ich mich nicht damit profilieren, beweisen oder lernen „besser zu schreiben“. Dann wären mein Stil und ich okay, wie sie sind.
„Können Sie sich für das Leben, das Sie gerade leben, entscheiden oder nicht?“
Würde mir eine höhere Instanz diese Frage stellen und müsste ich ehrlich antworten, so würde meine Antwort „nein“ lauten. Ich bin bei weitem nicht unglücklich…aber eben auch nicht glücklich, weil das was ich mache zwar irgendwie seinen Zweck erfüllt, aber keinen wirklich erfüllenden Sinn beinhaltet. Weil es mich so oft in die Lage und das Gefühl bringt, nur durch Leistung eine Daseinsberechtigung zu haben.
Könnte ich mir demnach frei von allem ein Leben ausmalen, so wäre ich gerne nur Schriftstellerin. Eine Reisende. Würde einfach nur den ganzen Tag quer durch Deutschland, Österreich und die Schweiz Bahnfahren und Menschen kennen lernen. Wieder auf Menschen zugehen, anstatt ihnen aus dem Weg zu gehen. Sie besser kennen lernen für einen Moment. Mit all den besonderen Menschen, die ich oft so anziehe, eins sein und mich von ihren Lebensgeschichten inspirieren lassen. Ihnen ein Sprachrohr geben, das sie nicht haben oder sich zutrauen. Oder einfach wieder lernen, in jedem etwas Besonderes zu sehen…
„Welche Dinge, mit denen Sie hier beschäftigt sind, würden Sie gerne zu Ende führen oder was würden Sie gerne noch anfangen?“
Ich möchte alle meine Bücher beenden, die ich begonnen habe, neue anfangen und sie wieder beenden. Diesen Blog weiterführen…
Aber so wie ich lebe, kann ich das nicht. So wie Corona meine Reiselust im Keim erstickt hat, geht das nicht (mehr). Und so wenig Erfolg wie ich habe und mir auch selbst eingestehe, wird das auch nichts.
Ja-aber…
Klar habe ich Ausreden. Aber ich sehe auch den Realismus. Ich muss damit rechnen, dass sich nichts an meinen Verkaufszahlen ändern wird. Dass den Stuss meiner Gedanken und Fantasien auch dann zu wenige ernst nehmen und lesen wollen, selbst wenn ich alles dafür gebe.
Und dann? Wie soll man denn so leben, von was soll man denn leben? Wie müsste ich wirtschaften, um z.B. von meinem jetzigen Kontostand leben und überhaupt anfangen zu können?
1000 Fragen und vermeintlich richtige Antworten…
Aber die eigentliche Frage dahinter ist wohl: Warum traue ich mich nicht, irgendwas an einen Verlag zu schicken? Warum bleibe ich überwiegend unsichtbar, anstatt „Werbung“ zu machen? Warum wollte ich niemals diese Odyssee der Absagen erleben? Warum fehlt mir da einfach der Ehrgeiz und die Überzeugung?
Es ist ganz einfach Angst. Pure, nackte Angst festzustellen, dass mich in dieser Hinsicht wirklich keiner braucht und ich in der Ablehnung meiner Texte die Bestätigung meiner Ablehnung mir selbst gegenüber finden werde.
Denn ich bin es eben nicht, überzeugt von mir… ich mache zwar weiter, aber im Herzen glaube ich eben doch nicht genug an mich… Tief in mir habe ich nicht den Mut wie Michael Ende, den ich total bewundere und der einst meinte:
Erfolg ist eine Portofrage.
[siehe dieses geniale Interview: Michael Ende 1990 Bei Fuchsberger]
Deshalb bleibe ich in meinem Job, meiner Illusion von Sicherheit und dass ich bestimmt besser im Schreiben wäre, wenn ich nur könnte. Wenn ich mehr Zeit hätte. Wenn ich das Abi hätte. Wenn ich nur studiert hätte und ein blödes Papier mit dem ich nachweisen kann, dass ich intelligent genug bin und die Berechtigung dazu habe. Wenn ich nur das Geld und den Ehrgeiz hätte…
„Wer legt uns in Ketten und wer besitzt den Schlüssel, der uns befreien kann? Du allein.. du hast alle Waffen die du brauchst und jetzt kämpfe!“ [Sucker Punch]
So oft höre ich „ja“ als Antwort, und immer wieder stutze ich darüber. Denn das „Ja“ funktioniert nur manchmal und nur rückblickend. Was ich damit meine?
Nur rückblickend, mit dem Verkaufserfolg eines Michael Ende, hat dieser Satz seine Berechtigung. Die 99% all derer, die erfolglos alle Klinken der Welt geputzt haben, fallen schlicht unter den Tisch. Nicht einmal die Aussage: „Ohne Porto zu investieren, kann man keinen Erfolg haben“ ist heute nicht mehr richtig. Autoren wie Jonas Winner oder Nele Neuhaus sind Gegenbeispiele. Dennoch kann ich nicht leugnen, dass großes Engagement die Grundlage für äußerst viele verwirklichte Lebensträume ist. Doch zu behaupten, man könne sich entscheiden für das Leben, das man führt, halte ich für maßlos übertrieben und grundlos optimistisch.
Das ist das andere Extrem, das zu pessimistische, oder? Aus Angst Chancen zu meiden ist natürlich unklug. All die wirklich guten Fragen aus dem Buch, die Du zitierst, zielen doch darauf ab, diese Angst zu mindern. Und das ist schlau.
Tja, und dies ist natürlich oberdumm. Ich gehe davon aus, dass Du nicht meinst, was Du da schreibst.
So, wie Du lebst, tut Du es bereits. Nicht Vollzeit und nicht alles während Corona. Aber Du tust es. Dass man nebenbei auch ein Dach überm Kopf haben muss und was zwischen die Zähne – Der Mensch lebt nun einmal mit und in der Physik 🙂 Tja, und wir hier in dieser Gegend und dieser Zeit können schon so viel mehr an Träumen verwirklichen als soo viele andere Menschen vor uns und um uns herum.
Ja, das sollten sie wohl. Irgendwie erreichen sie bei mir nur leider eher das Gegenteil und verstärken meine Unzufriedenheit, weil ich mir der ganzen Ausreden aus Angst überhaupt erst bewusst werde.
Ein Teil von mir sieht das nicht so, der andere dreht sich gerade etwas ziellos im Kreis und suhlt sich seit einiger Zeit in Selbstmitleid ohne den Mut oder eine konkrete Vorstellung zu haben, etwas daran zu ändern…