Eine Nacht des alleinigen Einklangs

„Okay, ein bisschen Angst habe ich schon…“, denke ich, während ich vor dem Spiegel stehe und spüre, wie sich die Nervosität ihren Weg nach draußen bahnt. Erst leise klopfend, dann immer brutaler hämmernd, sodass es mir immer schwerer fällt, sie zu ignorieren. In meinem gesamten Körper breitet sich eine Unruhe aus, eine typische Fluchtreaktion.
„Okay, vielleicht habe ich doch etwas viel Angst…“, gestehe ich mir angesichts dieser körperlichen Reaktionen dann doch ein.
„…aber genau aus diesem Grund mache ich das ja!“, ergänze ich allerdings, mit festem Blick an mein Spiegelbild gewandt, allein zu mir selbst. Denn alleine ich bin es, was die Angst fördert, so wie alleine ich es bin, die den Mut aufbringen kann, ihr immer wieder aufs Neue entgegenzutreten.
Und ja, manchmal bleibt sie auch, diese undefinierbare, scheinbar aus dem Nichts kommende Angst, egal wie oft ich ihr entgegentrete. Auch wenn die kognitive Verhaltenstheraphie das anders sieht, kommt das Miststück immer wieder, obwohl ich positive Erfahrungen sammle. Obwohl ich mir doch immer wieder Beweise dafür liefere, dass sie unbegründet ist…
Und dennoch ist es wichtig, sie nicht vollends gewinnen zu lassen. Sie nicht die Herrin über mein Leben bleibenzulassen.

Diese Szene habe ich vorgestern (Freitag)Abend erlebt, bevor ich mein Haus verlassen habe und niedergeschrieben auf meiner 100 minütigen Zugfahrt auf dem Weg zu einer Party in einem mir unbekannten Club, der etwas weiter weg war und in dem zwei DJs auflegen sollten, die ich persönlich kannte. Und ja, ich reiste alleine dorthin…

Die meisten anderen können sich kaum vorstellen, so wie ich auf einer Party unterwegs zu sein. Schon alleine Zug zu fahren wäre zu krass. Alleine einen fremden Club betreten ebenfalls. Klar ängstigt mich der Gedanke anfangs auch, wie man an meinen ersten Zeilen dieses Beitrags lesen kann. Aber ich sehe auch einen Reiz in der Herausforderung. Das war schon vor Corona so, als ich das letzte Mal „so richtig“ tanzen war und im Grunde war es auch schon ganz ganz früher in meiner Kneipenzeit so, als ich mit 17/18 alleine weg bin. Aber ich habe mich nie so gefühlt, da ich immer und überall irgendjemanden gekannt habe. Und wenn nicht, dann machte ich das beste daraus.

Okay zugegeben, an diesem Abend waren es sehr sehr viele Herausforderungen, denen ich mich auf einmal stellte. Ich war schon ewig nicht mehr so richtig tanzen und noch nie so weit weg, was dazu führte, dass es bis zum ersten Zug zurück eine seeeeeehr lange Nacht werden würde. Außerdem sah mein Schlafrhythmus eher so aus, dass ich von 21 bis 5 oder 6 Uhr schlief. Im Club kam ich allerdings erst gegen halb 12 an, also weit nach meiner Zeit und ich konnte absolut nicht einschätzen, wie lange ich durchhalten würde. Und ich kannte die Location auch nicht. Ich wusste nur, wo sie war, da ich eine Woche davor tagsüber hingefahren und mal vorbeigelaufen bin. Ich kannte also nur die zwei DJs, die dort auflegen würden und vielleicht noch die ein oder andere Person.

Als ich dort ankam, rechnete ich also etwas damit, dass zumindest irgendjemand da war, den ich kannte, auch wenn einer der zwei DJ erst später ankommen würde. Für mich war es daher schon etwas krass, als ich diesen fremden Club dann betreten hatte und überhaupt keiner da war, den ich kannte. Irgendwann verstand ich auch, wie es zum zweiten Floor ging und traute mich über den ersten Floor zu gehen und auch hiner dem schwarzen Vorhang zu verschwinden, wie ich es zuvor bei ein paar anderen gesehen hatte. Dahinter ging es ein paar Stufen hoch und dann war man schon im zweiten „Raum“. Es war alles recht klein und überschaubar. Dort sah ich aber auch niemanden Bekannten. Den einen DJ, den ich kannte, konnte ich nämlich hinter den ganzen Deko-Tüchern nicht sehen. Also bin ich wieder runter zum anderen Floor, weil da immerhin jemand hinter der Bar war, bei dem ich noch einen Eistee bestellen konnte. Tja, und dann stand ich da erst mal rum und wartete auf die passende Gelegenheit, mit dem Tanzen anzufangen. Währenddessen fühlte ich mich schon mal in die Musik rein, beobachtete genau den Floor und hoffte auf eine Lücke zwischen den Menschen. Leider wurden es immer mehr und somit ergab sich diese nicht so schnell. Das ganze dauerte vermutlich keine zehn Minuten, aber es kam mir wie Stunden vor, bis ich mir endlich den unglaublich schweren ersten Ruck gab und irgendwo zwischen zwei Kerle, die beim Tanzen nicht so viel Raum einnahmen, platzierte. Aber sobald ich im Danceflow war, was keine zehn Sekunden dauerte, war alles gut. Die Unruhe und all das Zerdenken der Situation fielen von mir ab und ich habe mich mit allem abgefunden. Auch damit, mein Getränk wie geplant nirgends abstellen zu können. Auch damit, dass es langsam etwas voller im Club wurde, was ich ja nicht so mag. Mit einem Mal waren alle Gedanken, alle Ängste und Sorgen und Probleme einfach nur weg. Da gab es dann nichts mehr außer dem Beat, auf den ich mich konzentrieren konnte. Und ich war so unendlich glücklich und dankbar, meine Wohnung verlassen und mich der Angst gestellt zu haben! Ach, welche Angst war das noch gleich?! War sie jemals wirklich so mächtig? War ich gerade wirklich so ängstlich, dass ich mich nicht getraut habe, zur anderen Seite des Raumes zu gehen und hinter einen dämlichen Vorhang zu gucken? Ja, war ich… und all das war mit einem Mal einfach weg.
Ich erinnerte mich wieder an all die wundervollen Momente von früheren Partys und an den Grund, warum mir das Weggehen eigentlich so wichtig war und immer noch ist. Ich hatte es nur vergessen. Hatte vergessen, wie wundervoll es ist, diesen Zustand zu erreichen, in dem ich vollkommen eins mit allem bin und alles einfach nur gut ist. Ja, tanzen hat wirklich etwas Meditatives für mich.

Ich glaube, dass keinem, der meine Vorfreude auf solche Abende kennt oder der mich in dieser Nacht tanzen und so glücklich gesehen hat, klar ist, wie viel Überwindung mich so manches gekostet hat. Mir ist es ja selbst ein Rätsel, wenn ich mal im Flow bin. Von außen scheine ich so selbstbewusst, so sicher, so mutig,.. Aber der erste Schritt dazu ist sowohl Wille als auch ein Zwang. Und die Zeit davor ist zwar Vorfreude, aber auch Angst.

Für viele, mit denen ich mich an diesem Abend unterhalten hatte, wäre so eine Situation (alleine losziehen, fremde Location,…) absolut undenkbar und gleichzeitig fanden sie meine Art des Weggehens unglaublich bewundernswert. Durch die Gespräche darüber fiel mir das erste Mal so richtig auf, dass das, was ich da machte, wohl doch eine viel mutigere Angelegenheit war, als ich angenommen hatte und nicht nur mir Angst machte. Aber ich stellte mich ihr. Ich hatte den Willen dazu.

Mir fiel auch auf, dass ich wirklich so ziemlich die einzige war, die alleine ankam und alleine wieder gehen würde. Und obwohl ich dort einige Menschen kannte, fragten mich viele, ob ich denn auch alleine dort war.
„Nee, bin ich nicht“, antwortete ich dann jedes Mal lächelnd und auch froh über die kleinen Bezugspunkte, zu denen ich mich mittlerweile gesellen konnte, wenn mir danach war. Hin und wieder kamen sie auch zu mir, suchten meine Gesellschaft und erzählten mir etwas. Das fand ich schön, weil es einfach die richtige Dosis war. Bei mir findet sowas einfach seltener statt, als bei anderen Menschen; viel viel seltener, weil mein Bedürfnis danach eben nicht so hoch ist. Weil ich einfach gruppenlos ebenso glücklich sein kann.

Ich verbinde mit dem Weggehen einfach andere Dinge als die meisten Menschen. In der Regel geht man ja weg und tanzen mit Freunden und um noch mehr Freunde wieder zu sehen, Spaß zu haben, sich auszutauschen, was zu trinken bzw. andere Erfahrungen zu machen, neue Menschen zu treffen, …kurz: um was zu erleben! Das Tanzen mit anderen gehört auch dazu. In der Menge unterzugehen, mit den anderen zu verschwimmen… So stelle ich es mir zumindest vor, denn ich bin auch da etwas anders…

Wenn ich tanze, dann oft und sogar am liebsten alleine. An diesem Abend war es nicht anders. Sobald ich im Flow war, ging das auch problemlos und manchmal hatte ich sogar den gesamten Floor für mich, was ein wenig so war, als würde der DJ nur für mich spielen. Wo andere aufhören zu tanzen, weil die Fläche immer leerer wird und sie beginnen, sich komisch oder unwohl zu fühlen, fange ich erst an und fühle mich frei und unbeschwert. An diesem Abend hatte ich so richtig viel Glück, weil eh nicht viel los war und sich die Menge gut verteilte und die meisten oft auf dem anderen Dancefloor waren.
Und wenn es mir dann doch zu voll wurde oder ich mich kurz hinsetzen musste, um mich auszuruhen, saß ich auch alleine. Dann beobachtete ich einfach nur die anderen beim Tanzen oder wie sie miteinander redeten, lachten, interagierten. Ohne Sehnsucht bzw. den Wunsch, dabei sein zu wollen. Manchmal sah ich mir auch einfach nur fasziniert die Dekoration an, die aus bunten Tüchern bestand, die durch Schwarzlicht wie von selbst leuchteten. Und mir ging es dabei gut, verdammt gut. Ich war schon lange nicht mehr so… entspannt? Ich genieße solche Momente und will dann auch kein Teil einer Gruppe sein und keinen Smalltalk, auch wenn andere mich total lieb dazu einladen und sich wohl etwas Sorgen machen, dass ich mich einsam fühlen könnte. Ja, auch da bin ich wohl etwas anders. Ich schätze zwar die Nähe zu anderen und eine kleine Sicherheit durch ihre Anwesenheit, aber primär bin ich alleine unterwegs. Freiwillig & gerne.

 

Diese Nacht war also ein richtiger Erfolg für mich. Sie hat mir von Anfang an so viel gegeben und mich in einen Zustand versetzt, den andere wohl nach drei Wochen Urlaub haben. Und ich habe mir vorgenommen, diese „Urlaube“ wieder öfters zu machen, einfach tanzen zu gehen.

In den letzten Wochen habe ich das immer wieder mal im kleinen zu Hause erlebt, als ich Musik angemacht und dabei festgestellt habe, wie viel Energie mir das gibt und dass ich mittlerweile doch etwas Sehnsucht danach habe.
Außerdem schreibe ich aktuell ja wieder an meinem Buch weiter. Und da es darin bei dem Hauptcharakter um ein Mädchen geht, das sich beim und durch das Tanzen ihren Ängsten stellt, habe ich noch einmal mehr festgestellt, wie sehr auch mir das fehlt. Wie unsicher und ängstlich ich geworden bin. Und das ist auch etwas, das ich nicht mehr will. Ich will wieder tanzen. Ich will wieder schreiben. Ich will wieder mehr ich sein, was ich irgendwann einfach nicht mehr konnte bei all dem Unglück meiner Mitmenschen um mich herum. Ich habe mir einfach nicht mehr erlaubt, etwas Gutes zu erleben, weil es mir so egoistisch vorgekommen ist… aber im Grunde ist das ein Fehler. Dieser negative Grundzustand ist auch nichts, was sich irgendjemand für mich wünscht, wenn er/sie mir seine/ihre Probleme mitteilt oder mich aus Verzweiflung einbezieht. Keinem ist geholfen, wenn mich das lähmt. Klar hilft es auch keinem, wenn ich tanzen gehe und Spaß habe, aber es hilft mir, den ganzen Mist zu ertragen. Andere saufen, kiffen, arbeiten, … ich tanze, verlasse morgens um halb fünf einen Club, fische einen Apfel aus meinem Mantel, beiße hinein und schwebe immernoch tänzelnd zum Bahnhof, bevor ich dann drei Stunden mit Bus und Bahn alleine nach Hause fahre. Und ich bereue nichts!

Posted by Journey

Kategorie: Allgemein

Autor: Journey

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