Abitur vs Psyche?

Ich setze mir ja immer irgendwelche verrückten Ideen in den Kopf. Mit mir wird es also nie langweilig! Manche Ideen verfolge ich auch ernsthaft und setze sie (irgendwann) sogar um. Aber vieles davon überlebt eben nicht so wirklich bzw. wird verworfen, weil ich entweder an meine Grenzen komme oder mir irgendetwas fehlt um weiterzumachen. Meist verläuft sich das dann von selbst im Sand. Das ist auch okay, weil ich es oft nicht mal selbst merke bzw. vergesse und es mir daher auch nicht weh tut. Vielleicht bleiben diese Ideen ja auch liegen wie mein Buch und treten urplötzlich wieder in mein Leben? Vielleicht tut das dem ganzen aber auch ganz gut und mein Vorhaben wartet nur auf den richtigen Moment?

Anders sieht es aus, wenn ich mir etwas in den Kopf setze, was einfach partout nicht klappen will und was ich andererseits aber auch nicht aufgeben kann, weil ich dem ganzen zu viel Bedeutung beimesse.
Das ist z.B. besonders bei der Sache mit dem Abitur der Fall…

Vor etwa einem Monat habe ich mir in Slowenien unter all den teilweise studierten Menschen mit Abi (mal wieder) gedacht, dass mir echt was fehlt. Daraufhin habe ich mich gefragt warum ich das nicht einfach nachmache(?) Das ist nun etwa 6 Wochen her und ich habe mich in dieser Zeit wirklich informiert, Pläne geschmiedet, kalkuliert, Meinungen eingeholt, bin von Amt zu Amt gerannt, dran geblieben… doch jetzt ist wohl der Punkt der Odyssee erreicht, an dem es wohl echt nicht mehr weitergeht und an dem ich meine Gedanken abschließend dazu festhalten möchte.

Es gibt ja mehrere Wege das Abitur nachzuholen. Da ich meinen Job nicht ganz aufgeben kann und will (z.B. für ein Vollzeit-Berufskolleg) und mir nach kurzer Recherche ein Fernstudium irgendwie suspekt und auch viel zu teuer erscheint (und ich keinen kenne, der das gemacht hat und den ich da fragen kann), habe ich mal den Weg des Abendgymnasiums in Auge gefasst.
Mir war aber von Anfang an klar, dass ich auch das niemals schaffen würde, wenn ich Vollzeit arbeite. Ich bin zwar psychisch um einiges stabiler als noch vor zehn Jahren, aber ich bin mir sicher, dass mich das (wieder) kaputt machen und ich abbrechen würde und davon hat dann auch keiner was.
Laut Schule, Bafögamt, Sozialamt und Arbeitsamt sollte es kein Problem sein, Vollzeit zu arbeiten und „nebenher“ das Abendgymnasium zu bewerkstelligen. Meiner Meinung nach jedoch ist es absoluter Quatsch davon auszugehen, dass das eine Person alleine mit einer Vollzeitbeschäftigung schafft ohne psychischen Zusammenbruch. Ich weiß jetzt natürlich nicht, ob ich da übertreibe oder zu schwach bin, wenn ich mir das beim besten Willen nicht vorstellen kann?!
Theoretisch würde dann nämlich mein Tag so aussehen: 5-6 Uhr aufstehen, 7 Uhr aus dem Haus, evtl. einkaufen, kurz vor 8 Uhr anfangen zu arbeiten bis 1630 (damit ich meine 8h drin habe). Dann direkt zum Abendgymnasium, das meist um 17 Uhr beginnt bis 22 Uhr. Zu Hause wäre ich dann gegen 2230, müsste dann noch kochen/was essen und gucken, dass ich fit bin, weil ich wieder um 5-6 Uhr aufstehen muss am nächsten Tag. Und da habe ich noch nicht mal für irgendeine Klausur gelernt…und so würde wirklich jeder Tag von mir aussehen außer eben Samstag und Sonntag und in den Ferien…
Mal abgesehen davon, dass ich auf der Arbeit eigentlich jeden Tag weitaus mehr als 100% ausgelastet bin und meine ganze Energie da ja schon reinfließt, sodass ich in stressigen Zeiten bereits ohne zusätzliche schulische Belastung keine Lust habe irgendwas zu kochen, klingt das für mich echt utopisch. Und die Zahl derer, die (laut dem Schulleiter) das Abendgymnasium abbrechen, bestätigt mir das irgendwie. Am Anfang sind es um die 30. Im besten Fall bleiben um die zehn übrig, im extremsten Fall ist es am Ende nur noch einer, der dann das Abi wirklich schafft…

So war also mein nächster Gedanke meinen Job auf 60-70% zu reduzieren, damit sich das ganze zeitlich entspannt und ich mir nicht selbst schade. Das würde auch mein Chef mitmachen. Anschließend habe ich mal in meiner privaten Buchhaltung recherchiert, wie denn so meine Ausgaben sind, was fix ist, wieviel ich für was im Schnitt ausgebe und wo ich Möglichkeiten zur Einschränkung der Ausgaben sehe (GEZ würde wegfallen in der Zeit, meine Karte zum öffentlichen Nahverkehr würde evtl. ein paar Euro günstiger werden…). Anschließend habe ich mir mein Gehalt bei 60-70% Reduktion meiner Arbeit errechnet und festgestellt, dass mir 300-400€ im Monat zum Leben fehlen würden. Wenn ich nur noch 60% arbeite, habe ich gerade mal meine jetzigen Fixkosten drin (Miete, Strom, Busfahrkarte, Telefon und Internet, Zahnzusatzversicherung,…was halt jeden Monat so vom Konto weggeht). Dann fehlt mir aber nach wie vor Geld für den Rest (Essen, Trinken, Rezeptgebühren,…) Ich sehe mich ja eigentlich als Minimalistin, aber zu meiner Schande muss ich echt gestehen, dass ich auf das ein oder andere nicht verzichten möchte. Reisen zum Beispiel. Oder Internet und Telefon. Oder diese Website. Oder meine Wohnung, die zwar teuer ist, aber eigentlich auch wieder nicht, wenn ich das mit den Bruchbuden der Stadt hier vergleiche. Ab und zu mal weggehen, bewusster einkaufen als andere (wenn  Fleisch, dann keins aus dem Supermarkt z.B.) ist mir auch wichtig… Ich weiß, dass ich mit meiner jetzigen Lebensweise immer noch weitaus sparsamer als jeder andere Mensch bin, den ich kenne. Aber ich habe immer noch zu hohe Ausgaben, um wirklich von SO wenig leben zu können. Und ich kenne mich. Ich würde, selbst wenn es gerade so reichen würde, einfach aufhören zu essen, um Geld zu sparen (wie damals) und ich möchte gar nicht erst in die Versuchung kommen, wieder sowas zu denken.
Mein Ziel ist gewiss nicht, wieder psychisch zu erkranken, sondern das alles in einem sicheren Rahmen zu bewältigen.

Ich habe mich im nächsten Schritt somit im Internet über Fördermöglichkeiten informiert, aber leider nicht wirklich was gefunden. Also bin ich persönlich zur Bafögstelle. Allerdings war ich da erst mal bei der falschen, die sich nur an Studierende richtet. Der nette Mann jedoch hat mich an eine andere Stelle verwiesen, zu der ich dann auch am selben Tag hin bin. Die weniger nette Frau dort hat dann gemeint, ich bekäme nur in den letzten 1,5 Jahren vielleicht was und davor soll ich es mal mit Sozialhilfe versuchen.
Ich fühlte mich daraufhin definitiv nicht gut beraten und konnte mir nicht vorstellen, dass das die einzige Möglichkeit sein sollte. Also bin ich anschließend direkt zu dem Abendgymnasium bzw. zum Schulleiter.
Der hat mir leider auch nicht mehr gesagt, aber immerhin um einiges netter als die Frau vom Amt.

Viel Überwindung hat mich dann der nächste Schritt gekostet: Zum Sozialamt gehen.
Dort war ich dann leider erst mal auch falsch und ich wurde ans Jobcenter verwiesen, wo ich dann auch gleich hin bin.
Begeistert war die Frau dort ganz und gar nicht von mir und meiner Idee und meinte stirnrunzelnd, dass das Vollzeit zu bewerkstelligen sein muss. Widerwillig hat sie dann dennoch einige Werte in den Computer getippt und hinzugefügt: „Sie wollen ernsthaft dafür Hartz4 beantragen und auf Kosten der Allgemeinheit Ihr Abi nachholen!?“ Ich meinte, dass ich mich erst mal nur informieren wolle, welche Möglichkeiten es da gebe und ob es da überhaupt etwas gibt. Dann habe ich noch ergänzt, dass ich das eben aufgrund einer möglichen psychischen Überlastung nicht mit einer Vollzeitarbeitsstelle schaffe. Daraufhin wurde sie etwas verständnisvoller und hat mir auch erklärt, warum das nicht funktioniert:
Ich würde zwar bei einer Reduktion meines Jobs in Hartz4 kommen und hätte somit Anspruch auf einen Ausgleich, allerdings würde das Jobcenter wollen, dass ich entweder wieder 100% arbeite oder mir noch einen Job suche, um aus diesem Hartz4 raus zu kommen. Kann ich ja verstehen, aber hart war es trotzdem im Moment für mich, weil ich dadurch rein gar nichts gewonnen hätte.

Die einzige mögliche Förderungsmöglichkeit bleibt somit das elternunabhängige Bafög, welches ich aber bis zur Vollendung des 30. Lebensjahrs beantragen sollte und das ich dann auch erst bekomme, wenn ich in den letzten 1,5 Jahren bin. Ein Bildungskredit bezieht sich auch nur auf die letzten zwei Jahre. Für die ersten zwei gibt es keine Unterstützung.

 

Tja, somit ist das Projekt „Abitur“ erst mal wieder gestorben…oder besser gesagt: auf Eis gelegt. Dass es für immer tot sein soll, kann ich (noch) nicht akzeptieren, denn dafür sticht es mich noch zu oft kein Abitur zu haben, egal wie sehr ich versuche es positiv zu sehen und mir zu sagen, dass ich dennoch kein dummer Mensch bin. Andere bestätigen mir das zwar auch immer wieder, aber der Fakt, dass ich es damals nicht geschafft habe und es einfach so etwas Unabgeschlossenes in meinem Leben ist, bleibt eben.
Ich will ja (momentan und konkret) nicht mal was damit machen. Ich will das eigentlich nur für mich, um mich einfach besser (als jetzt) und wertvoller zu fühlen…aber der Preis ist mir definitiv viel zu hoch!

 

Mein Fazit fürs Erste:
Das alles bedeutet also, dass ich die Sache mit dem Abitur nur unter einer der folgenden Bedingungen hinbekommen würde:
1. Ich würde in meinem Job bei 60-70% so viel verdienen wie jetzt bei 90% (weil ohne zusätzliche finanzielle Unterstützung nur eine Reduktion auf 90% möglich wäre, um nicht irgendwann ins Minus zu gelangen)
2. Ich heirate jemanden, der Geld hat und für mich kocht und mache mich abhängig (Wer mich ein wenig kennt, der weiß, dass das niemals eine Option sein wird und ich um jeden Preis meine Unabhängigkeit und Selbstständigkeit bewahren will!)
3. Ich werde arbeitslos und weiß dann eh nichts mehr mit mir anzufangen, weil meine spezielle Dienstleistung als Bildbearbeiterin vermutlich die wenigsten Betriebe gebrauchen können und ich vor allem als Mensch zu speziell bin, um überall klar zu kommen.
4. Ich leihe mir Geld (…welches ich dem Jemand bei meinem Gehalt vermutlich ewig zurückzahlen werde. Aber das würde ich tun, selbst wenn es meine Eltern sind, weil ich nicht damit klar komme jemandem etwas schuldig zu sein oder nur durch jemanden etwas erreicht zu haben… Eigentlich kommt daher auch diese Option nicht infrage, denn allein schon durch die Tatsache, dass ich es nicht auf „normalem“ Weg geschafft habe und die Möglichkeit hatte, mir von jemandem etwas zu leihen (was viele andere gewiss nicht haben), blockiert mich. Ich will mir selbst ja nicht nur beweisen, dass ich nicht zu blöd bin, sondern dass ich das ganze auch überwiegend alleine schaffe. Und jaaa, ich bin da stur, weiß aber, dass so eine finanzielle Abhängigkeit (speziell von meinen Eltern) eine zusätzliche Belastung für mich wäre.)

Posted by Journey

Kategorie: Allgemein

Autor: Journey

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4 Kommentare        

Liebe Lui,

Sich besser und wertvoller fühlen hat ganz sicher was mit Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl zu tun. Hast Du denn kein Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl?! Brauchst Du um das zu haben Abitur?!

Zum einen, wenn Du wirklich das Abitur machen willst, damit Du Dich besser und wertvoller fühlst… was ist, wenn Du Dein Abitur hast und Deine „Rechnung“ nicht aufgeht?! Vielleicht wäre es nur ein oberflächlicher temporärer Effekt, der schnell wieder vergeht. Ich glaube nicht, dass das Abitur alleine ein Faktor ist, der Deine Gefühlswelt nachhaltig in dem Maße verändert, das Du Dich besser und wertvoller fühlst.

Zu anderen, wenn Du etwas wirklich willst, dann machts Du es auch, egal unter welchen Umständen. Es gibt ein schönes Sprichwort dazu: „Wer will findet Wege, wer nicht will findet Gründe“.

Herzliche Grüße
Siegfried

Lieber Siegfried,

ich denke schon, dass ich in vielen Dingen Selbstvertrauen habe, in vielen anderen aber auch nicht. Wenn ich mich so mit mir selbst vergleiche, dann habe ich auf jeden Fall mehr davon als noch vor einigen Jahren. Doch als 100% selbstbewusst sehe ich mich nicht. Mich wirft zwar nicht mehr so viel aus der Bahn wie früher, allerdings schwankt das alles nach wie vor etwas bei mir; je nach dem, was gerade in meinem Leben so los ist und wie viel mich beschäftigt.
Und das Abi ist schon sehr lange mein „wunder Punkt“, der mich immer wieder zweifeln lässt, obwohl alles andere scheinbar gut läuft…

Ich hatte aber auch schon den Gedanken, dass das mit dem Abitur vielleicht nur etwas ist, von dem ich eben nur annehme, dass ich es brauche, um mich „besser und stärker zu fühlen“. Es kann durchaus sein, dass es dann wirklich nur ein kurzer Effekt wäre, falls ich es denn schaffe und dass ich mir dann quasi „etwas anderes suche“, von dem ich denke, dass ich es irgendwie bewältigen muss.
Und im schlimmsten Fall wirft es mich richtig aus der Bahn, wenn ich es eben nicht schaffen sollte.

Stärker wäre es gewiss, wenn ich von vorne herein aus Überzeugung sagen könnte, dass ich es eben nicht brauche und mich dabei auch noch so sicher fühlen könnte, dass ich darüber gar nicht mehr nachdenken und es in Frage stellen müsste.
Ich frage mich nun, wie das zu bewerkstelligen ist und wo ich ansetzen sollte, um diese Überzeugung zu gewinnen. Oder was eben das „Problem“ hinter all dem ist…

Herzliche Grüße
Lui

Liebe Lui,

wie das zu bewerkstelligen ist oder was das Problem bzw. die Probleme hinter all dem ist/sind… das sind Fragen, die nicht so einfach zu beantworten sind. Daran scheitern oft auch die sogenannten Fachleute, da das Thema sehr komplex ist. Eines weiß ich aber ganz sicher, dass ein Abitur alleine nicht das Selbstwertgefühl eines Menschen stärkt und stabilisiert und auch Du solltest sowas nicht denken. Das ist nicht der richtige Weg, um sich besser und wertvoller zu fühlen.

Ich glaube Du verläufts Dich manchmal in Deiner Gedanken- und Gefühlswelt, dann wird alles nebulös und das ist dann so wie in einem Irrgarten aus dem Du nicht mehr herausfindest. Mit Achtsamkeit, Klarheit und Konsequenz in Deiner Entscheidungsfindung welchen Weg Du gehen willst/musst, würdest Du den Irrgarten verlassen können. Die Frage Abitur ja oder nein ist nicht so schwer zu beantworten. Frage nach Deiner Motivation und Deinem Ziel, dann Du bekommst die Antwort.

Mache Dir nicht so viele Sorgen und unnötige Gedanken, Du bist ganz sicher eine tolle Frau.

Herzliche Grüße
Siegfried

Lieber Siegfried,

ich dachte einfach, dass es mir dabei helfen könnte irgendwie noch sicherer zu werden, indem ich es endlich abließe und mir damit selbst beweise, dass ich nicht zu dumm oder zu unfähig bin. Irgendwas in mir denkt das nämlich nach wie vor und richtet gelegentlich meine Wahrnehmung in genau diese Richtung.
Mich so ohne weiteres selbst davon zu überzeugen, dass das eigentlich Quatsch ist und mein Selbstwertgefühl woanders herkommen sollte, ist aber gar nicht so leicht bzw. weiß ich spontan gar nicht, wo ich da anfangen sollte… „Du hast aber kein Abitur“ taucht nämlich immer wieder in meinen Gedanken auf und ist leider ein Fakt, gegen den ich bis jetzt nicht ankomme. Mit dem Abitur hätte ich einfach etwas Konkretes in der Hand gehabt. Das Problem ist natürlich nicht alleine dadurch gelöst, aber es wäre vielleicht hilfreich gewesen, der inneren „Mobberin“ in mir mit diesem Erfolg etwas entgegen zu bringen.

Das Suchen nach eine Lösung, wie ich das Abitur nachholen könnte, hat mir aber vieles gezeigt und ich konnte so den Entschluss fassen, dass ich das Abitur unter all diesen Umständen nicht nachholen möchte. Und nach einigem Überlegen sind mein Ziel und meine Motivation eigentlich auch klar: Ich will das Thema endlich hinter mir lassen und mich nicht immer automatisch weniger wert fühlen neben jenen mit Abitur. Keiner von ihnen denkt so von mir, im Gegenteil… Ich bin es eher selbst, die mir das immer wieder vorwirft.

Ich danke dir an dieser Stelle übrigens sehr für deine konstruktiven Kommentare und dein Ohr und deine Geduld, weil ich mir mit dem Antworten oft so lange Zeit lasse!

Herzliche Grüße
Lui

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