Es ist der 1. Weihnachtsfeiertag. Mein Freund Observer und ich sitzen da, essen Chili und sehen uns die neuste Sendung mit Scobel und Welzer an. Hinterher unterhalten wir uns über die Entwicklung der Menschheit, was alles anders sein könnte und was uns wohl noch alles auf diesem Planeten erwarten wird. Und wir stellen fest, wie frustrierend das alles eigentlich ist, weil es noch gut 200 Jahre so weitergehen kann und sich alles zu langsam in die Richtung entwickelt, die wir uns vorstellen und die nicht nur wir für richtig halten…
Observer beschreibt das, was wir jetzt erleben, sehr schön mit einer Metapher, bei der durch ein bestimmtes Mittel das Pipi der Menschen in einem Schwimmbecken sichtbar gemacht wird und wie dann alle angewidert rausspringen, als sie es sehen. Das, was wir jetzt mit der Welt erleben, ist im Grunde genommen nichts Anderes: Der Klimawandel zeigt uns so langsam unsere eigene Pisse, in der wir seit Jahrzehnten schwimmen und macht sie nach und nach immer sichtbarer. Eigentlich unübersehbar.
Inspiriert von seiner Metapher fällt mir eine Geschichte ein, die auch wunderbar zur Darstellung des Klimaproblems passt…
Ich erinnere mich hierbei an meinen Kater, der eigentlich meinem Opa väterlicherseits gehört hat. Dieser wohnte damals im gleichen Haus in der Wohnung gegenüber von meinen Eltern und mir und hatte einen sehr großen Balkon, auf dem der Kater natürlich auch sehr gerne war; im Winter, wie im Sommer. (Wobei wir ihn zugegebenermaßen im Winter auch gerne in den hohen Schnee geworfen haben, den es damals zu Lebzeiten meines Opas auch noch weitaus häufiger gab..)
Dieser Kater jedenfalls, der meinen Opa um weitere Jahre überlebt hat, ist selbst seit über zehn Jahren tot und heute meine ganz persönliche Metapher für den Klimawandel.
Warum? Gestern, am 24.12.21, stand ich auf meiner eigenen Terrasse im Erdgeschoss. Barfuß im Regen. Mitten in der Nacht.
Jetzt nach dieser Sendung fühle ich mich gerade wie im Frühjahr zu Anfängen der 2000er Jahre, wenn der Schnee auf dem Balkon meines Opas weggeschmolzen ist und das zum Vorschein kam, was übrig geblieben ist: dutzende Kackhäufchen, schön in einer Reihe aufgestellt.
Und das ist genau das, was wir mit unserem Planeten machen: Wir scheißen ihn seit Jahren zu mit Wirtschaftswachstum, neuen iPhones, geplanter Obsoleszenz, Sollbruchstellen, mit „immer weiter, besser schneller, effizienter“, mit immer mehr zerstören und ausbeuten und abholzen und töten, weil das billige Regal ja im Regal verfügbar sein muss. Hauptsache der Mensch ist nach wie vor beschäftigt. Hauptsache er arbeitet und macht einmal im Jahr Urlaub. Hauptsache er scheißt alles so dermaßen zu, um es sich gut ergehen zu lassen. Besser zu fühlen. Sicher zu fühlen. Seine Wünsche erfüllen zu können, die er ohne die Werbung gar nicht hätte. Hauptsache neu und besser, denn neu ist ja immer besser. Sieht ja keiner die Auswirkungen für den Planeten. Fühlt sich halt auch leider zu geil an. Geht ja gar nicht seine Klamotten zu nähen oder irgendwo ein Loch zu haben. Sieht ja schäbig aus. Hauptsache Rolex am Arm. Hauptsache der erste Eindruck ist nicht der eines Penners, denn die sind ja arbeits- und nutzlos. Besser sie kleben Kartons von Amazon zu. Und wer nicht kauft, unterstützt nicht die Wirtschaft, unterstützt nicht das System, ist komisch, ein Kauz. Weltfremd!
Funfact: Der Schnee schmilzt seit Jahren und die Scheiße beginnt gerade erst…
Ich mag zwar Menschen. Ehrlich! Ich glaube auch an das Gute in ihnen, selbst wenn sie mir vor die Tür scheißen. Aber ich bin genauso überzeugt davon: Das größte Virus, das auf dieser Erde existiert, ist weder Corona noch irgendeine Variante davon, noch sonst irgendetwas. Es ist der Mensch.
Und während ich in dieser Stimmung bin, in der ich das so sehe, denke ich: Ach, wäre ich doch lieber mein toter Kater…