Als einleitendes Beispiel zu diesem Thema möchte ich aus dem Buch „Wie man einen verdammt guten Roman schreibt 2“ von James Frey zitieren. Diese kleine „Anekdote“ findet sich in der Auflistung der sieben Todsünden für einen Schriftsteller unter dem Punkt „der falsche Lebensstil“:
Nachdem ich einmal vor einer Gruppe von Autoren und solchen, die es gern werden wollten, einen Vortrag über das Schriftstellerdasein gehalten hatte, kam eine gutgekleidete Frau Anfang Dreißig auf mich zu und sagte, es sei immer schon ihr Wunsch gewesen, Schriftstellerin zu werden. Sie hätte auch ein paar gute Ideen für Romane, die sie gern schreiben würde, aber es gäbe da ein Problem, und sie hoffte, daß ich ihr helfen könnte.
Jeden Tag war sie anderthalb Stunden unterwegs zur Arbeit und zurück, arbeitete normalerweise neun bis zehn Stunden pro Tag und erledigte die meiste Hausarbeit. Die einzige Zeit, wo sie sich mal an ihre Schreibmaschine setzen konnte, war an den Wochenenden, und da wollte ihr Mann immer was unternehmen, weil auch er die ganze Woche über hart arbeitete.
Ich fragte sie, ob sie Kinder habe.
Nein, hätte sie nicht, antwortete sie.
Ich schlug ihr vor, sie solle ihren Job aufgeben.
Sie lächelte schüchtern und sagte, das könne sie nicht. Sie hätten eine hohe Hypothek aufgenommen, und ihr Mann würde gern verreisen, deshalb zahlten sie auch noch ein Wohnmobil ab. Ihr Mann würde sie umbringen, wenn sie ihren Job aufgäbe. Da schlug ich vor, sie solle sich einen anderen Mann suchen.
Sie blickte mich mit großen Augen an und meinte, ich mache doch wohl Witze.
Ich sagte, ich machte keine Witze. Es gäbe genug potentielle Ehemänner – sie solle sich einen suchen, der ihr Schreiben unterstützt.
Sie rauschte davon und murmelte dabei vor sich hin, ich sei ja wohl verrückt.
Das mag schon sein, aber es ändert nichts an den Tatsachen. Man kann nicht Schriftsteller werden, wenn man von Leuten umgeben ist, die das nicht akzeptieren. Wenn ihr Ehepartner, Lebensgefährte oder Mitbewohner Sie nicht unterstützt, müssen Sie ihn oder sie entweder umstimmen oder sich nach einer anderen Bleibe umsehen.
Für „normale Menschen“ mag seine Reaktion vielleicht hart klingen, ich hingegen kann diese radikale Sichtweise auf das Problem der Frau absolut verstehen.
Ich erinnere mich an Beziehungen, in denen ich früh morgens vor meinem Partner aufgestanden bin und geschrieben habe… und in denen es mir immer schlechter ging, wenn das nicht möglich war oder nicht gewürdigt wurde. Natürlich hat das auch an meinen Kräften gezehrt. Ich erkenne auch erst jetzt, dass das in dem Fall einfach nicht die richtigen Partner waren. Das habe ich ja immer auch irgendwann gespürt und die Beziehung beendet… bisher habe ich allerdings das Ende immer darauf bezogen, dass ich eben ein spezielles Wesen habe das mehr Ruhe und Zeit für sich braucht und nicht bedrängt werden darf und schon gar nicht von der Aussicht auf mehr als eine Übernachtung…
Durch Observer habe ich aber eine ganz neue Erfahrung gemacht. Ihn habe ich über diesen Blog kennen gelernt und durch das Schreiben. Mit ihm wurden es letztes und dieses Jahr fast 200 Übernachtungen am Stück! Bei ihm kann ich einfach mitten im Gespräch aufstehen und sagen „Aaah, ich muss JETZT schreiben!“ und er versteht das. Kein anderer Mensch auf der Welt freut sich auch so sehr und so ehrlich über einen neuen Blogeintrag von mir oder wenn ich ihn bei einem Text von um Rat bitte und das spüre ich einfach… dieses Gefühl hatte ich einfach bisher noch bei keinem Menschen.
Wie sieht es nun aber mit Freunden und Familie bzw. allgemein mit dem (Sozial)Leben eines Autors aus?
Einen Roman zu schreiben, nimmt eine Menge Zeit in Anspruch und erfordert viel emotionale und mentale Energie. Zeit, die man normalerweise mit Freunden oder mit der Familie verbringt, muss geopfert werden. Wenige Schriftsteller spielen Golf, gehen kegeln oder sehen viel fern. Romane schreiben ist wie heroinsüchtig sein: Es nimmt Sie total in Anspruch.
In seinem Buch The Craft of Fiction stellt William C. Knott die rhetorische Frage: »Wie viel Hingabe ist erforderlich?« Seine Antwort lautet:
Die Art von Hingabe, die wirklich nahezu jedes Bestreben und jedes Interesse (in Ihrem Leben) der Bemühung unterordnet, Ihr Handwerk zu beherrschen.
[aus: James Frey: Wie man einen verdammt guten Roman schreibt]
Und was heißt das nun konkret? Frey schlägt in seinem Kapitel über den falschen Lebensstil vor, dass man am besten in einer „großen Autorenszene“ allen mitteilen sollte, dass man beschlossen habe, Autor zu werden. Das bedeutet für die anderen:
[…] daß Sie sich stundenlang in Ihr Kabuff oder Arbeitszimmer, in den Keller oder den hinteren Teil der Garage einsperren werden und nicht gestört werden dürfen. Sie werden zu Autorengruppen gehen, Kurse besuchen, sehr viel lesen, und wenn dann die unvermeidlichen Ablehnungsschreiben kommen, brauchen Sie einen kräftigen Tritt in den Hintern, um nicht aufzugeben.
Manchmal kommt das nach einem Mal nicht an… manchmal braucht es mehrere dieser Szenen.
Ich persönlich hatte keine so expliziten Szenen, habe meinen Wunsch aber immer wieder mal eingeworfen und das wichtigste: Es auch „gelebt“. Ich handle aber auch schon lange so und bin von Natur aus eher ein Eremit, der sich schon immer lieber mit sich selbst beschäftigt als groß mit anderen. So gut wie alles, was ich mache, hat auch etwas mit dem Schreiben zu tun:
Wenn ich Menschen treffe, habe ich auch im Hinterkopf das Schreiben und dass mich etwas inspirieren könnte. Wenn ich mir etwas ansehe, dann zu Themen, von denen ich denke, dass sie mich gedanklich weiterbringen und somit auch im Schreiben.
Ich bin mehr als bereit mich zurückzuziehen. Ich bin bereit alles zu geben und wünsche mir an meiner Seite Menschen, die das verstehen und mich ermutigen, wenn ich aufgebe, egal wie lange es dauert und ob sie nun auf Anhieb Fortschritte sehen oder nicht. Letzteres muss nicht immer der Fall sein, denn das kann ich auch von keinem erwarten. Oft muss ich mir selbst in den Hintern treten, sonst wird das auch nichts. Aber das Verständnis ist mir ungemein wichtig, jetzt wo ich weiß, dass es das geben kann.
Alles zu geben, was man hat, bedeutet, daß man sehr viel Zeit investieren muß. Und um diese Zeit in das Schreiben stecken zu können, muß man sie eben von anderen Dingen abziehen, zum Beispiel von anderen Jobs, von Freunden, von der Familie, vom Kloputzen.
Das Schreiben muss das Zentrum Ihres Lebens sein.
Das mag nun vielleicht alles sehr extrem klingen, aber für mich sind diese Sätze auf der Feder von James Frey wie ein Geschenk, weil sie mir aufzeigen, was ich unbewusst schon lange fühle und denke, aber nicht wirklich in mein Bewusstsein gelassen habe, weil ich nur Menschen kenne, die eben keine Ambitionen haben ein Autor zu werden oder nicht danach leben. Ich fühle mich somit in diesen Zeilen quasi zu Hause und es tut einfach gut zu lesen, dass es Gleichgesinnte gibt. Das „rechtfertigt“ für mich etwas meinen Rückzug und verschafft mir ein besseres Gewissen, da es für einen guten Zweck ist und nicht, weil ich jemanden vor den Kopf stoßen oder gar verletzen will, indem ich mich rar mache.
Die Kunst liegt für mich wohl eher darin, mich nicht komplett zurückzuziehen, wozu ich ja auch gelegentlich neige.
Doch wer nichts erlebt und sich mit niemandem trifft, kann halt auch nicht wirklich über etwas schreiben…
So hat zum Beispiel Dorothea Brande in ihrem Buch „Schriftsteller werden“ geschrieben:
Ein allzu anregendes Sozialleben kann einem zarten Talent ebenso schaden, wie überhaupt keines.
Observer hat das auch in einer seiner Mails sehr schön zusammengefasst:
Die sozialen Kontakte können dabei maßgeblich motivierend sein, die persönlichen Erlebnisse im eigenen Leben (oder das Erleben anderer Schicksale) können ebenso unverzichtbar sein. Ich würde schon sagen, dass es notwendig ist, dem reinen Schreiben das Drumherum unterzuordnen, aber das sind im Grunde genommen temporäre Phasen, die dann auch wieder vom „Leben“ abgewechselt werden.
Damit hat er natürlich recht. Wichtig ist das Gleichgewicht, denn will ich mehr Zeit ins Schreiben investieren, so bedeutet das, weniger Zeit zum „leben“ zu haben. Doch um schreiben zu können, muss ich auch „leben“…
Die Bücher über Technik, Stil und Handlungsaufbau werden Ihnen völlig anders erscheinen und auch wesentlich nutzbringender sein, wenn Sie erst einmal erkannt haben, was es bedeutet, ein Schriftsteller zu sein, wie die Persönlichkeit eines Künstlers funktioniert, und wenn Sie gelernt haben, sich wie einer zu verhalten und Ihr tägliches Leben sowie Ihr soziales Umfeld so zu gestalten, daß es im Hinblick auf Ihr Ziel hilfreich statt hinderlich ist.
[aus: Dorothea Brande – Schriftsteller werden]
Mich fordert das mehr, als ich zugeben möchte. Ich habe zwar trotz ADS gelernt, mich zu organisieren, was ja schon eine enorme Leistung ist, aber ich habe eben nach wie vor so meine Schwierigkeiten. Das Schreiben ist mir jedoch so wichtig, dass ich das bewältigen möchte. Die Angst, dass mir alles außer Kontrolle gerät, ist natürlich immer noch da… aber seitdem ich meinen Schreibkurs mache und ich meinen Vorsatz formuliert habe, ist sie deutlich weniger geworden.
Und ich werde diesen Roman nicht nur anfangen, sondern auch beenden und während des Projekts lernen mich zu organisieren, um mit eiserner Disziplin dran zu bleiben. Ich werde mich den Herausforderungen stellen und sie bewältigen!
Alles in allem ist und bleibt das Schreiben ein einsames Handwerk, denn hinsetzen und es tun muss man letztendlich mit sich und für sich alleine. Aber es ist eines, das ich definitiv nicht mehr missen möchte in meinem Leben! Es macht mich aus und ist ein Teil von mir… : )