Nicht abschalten können

Irgendwie ist es in etwa so wie im letzten Jahr. Ich bin zwar über Weihnachten und Neujahr von allem und allen weit weg und habe wirklich mein verdammtes Smartphone zurückgelassen, aber ich komme einfach nicht zur Ruhe und kann absolut nicht abschalten. Wäre mein Körper in der Lage Stresshormone auszuschütten, so würde er das momentan 24/7 tun. Das Grundgefühl, das ich gerade in mir trage, ist einfach kein Gutes…

Ich bin in den letzten zwei Jahren durch alles um mich herum und die ganzen Gespräche, die ich geführt habe, sehr empfindlich geworden und etwas in mir ist (wenn auch ganz ganz unbewusst) ständig in Habachtstellung vor dem Super-GAU.
Seitdem ich bei Observer in Hamburg bin, ist kein Tag vergangen, an dem ich mir nicht gewünscht habe, dass mein im Grunde wertloses Leben endlich ein Ende nimmt. Ich wäre nicht mehr traurig darüber, keine Bücher mehr geschrieben zu haben, denn so wie es aussieht, werde ich das auch niemals tun können und selbst wenn, würde es nichts ändern, weil ich mich selbst furchtbar finde und nicht vermarkten kann.

Natürlich denke ich nicht die ganze Zeit so, aber es lässt sich nicht leugnen, dass ich im Grunde genommen nach wie vor depressiv und von Schuldgefühlen zerfressen bin, die kein Mensch nachvollziehen kann. Ebenso bin ich gefangen in meinen Zwangsstörungen, Mustern und mehr denn je in Selbstabwertung.

Der ganze Tag kann somit also okay sein, teilweise bin ich auch glücklich, aber wenn ich zusammenbreche, dann richtig. Dann kann ich mein komplettes Leben nicht mehr ertragen und diese Perspektivlosigkeit.
Ich ertrage dann einfach nicht mehr, was für ein schwacher Mensch ich bin und dass ich nicht einfach „normal“ funktionieren kann. Ich ertrage es nicht mehr, seit meiner Geburt mit einer Hypophyseninsuffizienz und auch noch mit AD(H)S gesegnet und bis an mein Lebensende krank und auf Medikamente angewiesen zu sein. Ich ertrage es nicht mehr, scheinbar unerfüllbare Lebenswünsche zu haben. Ich ertrage es nicht mehr, wenn andere sich aufregen oder unzufrieden sind und nichts daran ändern oder ändern können und auch ich nichts tun kann. (Es lähmt und erdrückt mich.) Ich ertrage diese Welt und wie sie funktioniert auch nicht mehr so gut wie früher. Ich ertrage es nicht mehr, Teil einer Familie zu sein. Ich ertrage den Gedanken nicht mehr, dass ich eigentlich die Verantwortung für so vieles tragen sollte und ich keinem irgendeine Hilfe bin und dass sich das nicht ändern wird. Mich bittet zwar keiner darum und es erwartet auch keiner von mir, aber ich erwarte es von mir.

Ich erwarte von mir, dass:

  • ich zwei Menschen von meinem Gehalt problemlos versorgen kann
  • ich den Haushalt wieder besser führe
  • ich gut und gesund koche
  • ich einkaufe
  • ich Observer dabei helfen kann, seine Träume zu verwirklichen (sowohl finanziell als auch im Sinne einer begleitenden Mentorin mit Ahnung, die ihm Sicherheit gibt)
  • ich meinen Bruder und seine Frau irgendwie entlasten kann
  • ich meiner Mum Sicherheit und Freiheit geben kann
  • mein Vater noch ein schönes restliches Leben hat
  • sich durch mein Zutun keiner mehr aufregt, streitet, hasst und Harmonie einkehrt
  • keine Missverständnisse durch blöde Kommunikation entstehen
  • ich Bücher schreiben kann
  • ich mehr Bücher lese
  • ich mich mehr bewege und in irgendeiner Form mit Sport anfange
  • ich meine Kankheiten und Tabletten im Griff habe
  • ich Zeit habe für das, was die Beziehung mit Observer auch noch ausmacht: gute philosophische Gespräche, gemeinsame Erlebnisse,…
  • ich meinen Eltern alles zurückzahlen kann, was ich ihnen an Sorgen und Geld jemals gekostet habe, weil sie ohne mich vermutlich ein besseres getrenntes Leben gehabt hätten und ich oft so große Schuldgefühle habe, dass es mich regelrecht zerreisst. Alleine die Vorstellung, sie um Geld bitten zu müssen oder eines Tages etwas so unverdient zu erben, weckt in mir den Wunsch, lieber tot zu sein…

Unterm Strich bekomme ich nicht mal eine Sache von all dem zu meiner Zufriedenheit hin. Und dabei ist das noch längst nicht alles und nur ein Bruchteil der Liste… darin enthalten sind weder soziale Kontakte noch der Wunsch nach Reisen alleine. Der Wunsch nach Meditation, Ausgeglichenheit und Entspannung klingt bei all dem auch irgendwie wie ein schlechter Witz…

Klar weiß ich, dass meine Ansprüche an mich selbst utopisch sind. Aber ein „so darfst du nicht denken, du machst dir zu viel Druck, das ist falsch, du bist nicht alleine, hier hast du mal etwas Geld und mach dir eine schöne Zeit und genieß es…“ hilft mir absolut nicht weiter, weil ich das einfach nicht abstellen kann. Ich glaube wirklich, dass das das mindeste ist, was ich leisten muss und kann mir nicht vorstellen, wie es anders funktionieren soll…

Die ganze Unsicherheit der Zukunft und mit Observer darüber zu reden macht alles nur noch schlimmer. Jedes Gespräch, dass wir über unsere gemeinsame Zukunft führen, endet nämlich gleich: Ich breche vollkommen hoffnungslos zusammen. Es gibt zwar 1000 Möglichkeiten und Wege, die wir gehen könnten, aber nichts davon scheint umsetzbar zu sein, alles hat Haken und ist mit Glück und einer gewissen Bereitschaft verbunden, womöglich Abstriche bei den eigenen Wünschen zu machen. Und dass das geschieht und dass wir beide damit auch noch glücklich sind, darauf kann ich mich einfach nicht verlassen. Genauso wenig können wir uns darauf verlassen, dass ich überhaupt einen Job finde und ich es wert bin, bezahlt zu werden…

Und nun?

Klar könnte ich wieder zu meinem Psychiater gehen. Ich will aber nicht wieder Tabletten nehmen, denn diese waren einfach nicht die Lösung. Ich konnte trotzdem nicht mit Observer über unsere Zukunft reden.
Da es mir die meiste Zeit aber auch nicht schlimm genug geht, ist es schwierig für mich, die Notwendigkeit zu erkennen und zu verdeutlichen. Auch wenn ich mir in letzter Zeit wieder öfter wünsche, nicht auf der Welt zu sein, ist es nicht akut genug. Ich fühle mich somit „nur“ phasenweise so. Der Großteil fühlt sich noch safe… noch… solange ich noch meinen Job habe und eben nicht nachdenke, was in Gesprächen über die Zukunft mit Observer einfach unvermeidbar ist. Er stellt zwar berechtigte Fragen und äußert seine Bedenken, vermittelt mir (dadurch) aber auch keine Hoffnung. Ich brauche in solchen Momenten aber Lösungen und die Sicherheit, dass sie auch umgesetzt werden können. Ich brauche eine Entscheidung und dass etwas passiert. Observer kann aber letzteres nicht umsetzen. Dazu ist er zu gefangen in seiner eigenen Situation und in seinen Ängsten und er wird an seiner Situation nichts ändern, solange ich unsicher bin. Und ich kann keine Sicherheit gewinnen, wenn die Aussicht auf eine gemeinsame Zukunft entweder alleine auf meinen Schultern lastet oder auf denen meiner Eltern, auf deren Geld ich lieber verzichte.

Ich will aber weder ein Leben in Schuld noch am Limit führen… ich will aber diese Beziehung führen. Und ich will schreiben können. Aus jetziger Sicht jedoch kann ich nichts tun…

Posted by Journey

Kategorie: Allgemein

Autor: Journey

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1 Kommentar        

Liebste Journey,

ohne die ganze Situation oder dein Innenleben zu bewerten oder zu beurteilen (wer wäre ich denn?) muss ich sagen, allein dein Ansatz, dir eine Liste mit Punkten zu erstellen, ist doch schon ein riesiger Schritt in die richtige Richtung. Ich habe gelernt, dass in unüberschaubaren Zeiten für mich Checklisten eine große Hilfe sind. Dazu breche ich einfach alles in kleinstmögliche Tasks herunter, deren Erfüllung sich tatsächlich kontrollieren lässt. Vielleicht hilft dir das ja als Ansatz.

Grüße aus dem Osten (noch)

Fe

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