Das „Drama“ um die Hauptschulen II – Die Story

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Hey ihr da draußen. Mein Name ist, sagen wir mal, Julia X. und ich will euch jetzt mal meine Story erzählen… Sie handelt vom Schulwechsel, Schulsystem, Vorurteilen und Zufällen. Und vielleicht auch dem Schicksal. Und dass manche Wege erst durch Umwege interessant werden.

Alles begann – wie bei jedem auch – in der vierten Klasse, als es ans Eingemachte ging: Hauptschule, Realschule oder Gymnasium? Meine Noten waren damals so schlecht, dass ich eigentlich auf eine Hauptschule kommen sollte bzw. auf der Schule bleiben sollte, da es eine Grund- und Hauptsschule war. Das wollte meine Mum jedoch nicht. Nein. Ich musste einen Begabungstest bei einem Beratungslehrer machen, um dem zu entgehen. Und erstaunlicherweise hatte ich nach diesem Test eine Empfehlung fürs Gymnasium. Doch ich war noch klein und wusste es nicht besser, als ich mich für den Mittelweg – die Realschule – entschied. Ich dachte damals, ich könnte ja dann noch wechseln. Das tat ich auch. Und zwar auf eine Hauptschule.

Meine Noten auf der Realschule waren nach wenigen Jahren so mies, dass ich heute immer noch den Eindruck habe, dass durch mich irgendein Rekord gebrochen wurde: Fünf Fünfen! Und davon zwei in den Hauptfächern. Mathe war eben schon immer mein Problem. Meinten damals auch mein Lehrer und die Nachhilfe. Der Test war für mich Müll. Ich hakte ihn ab. Von wegen logisches Denken!

Und so kam es, dass ich in der Achten die Schule gewechselt habe. Auf eine Hauptschule. Ich beschloss bei dieser Gelegenheit noch einmal ganz von vorne zu beginnen, stiller und unscheinbarer zu werden. Ich kam in die Ganztagsschule, aß dort zu Mittag und verbrachte meine Mittagspause immer mal wieder mit anderen Leuten. Manchmal auch alleine. Dann las ich ein Buch oder begann schon mit den Hausaufgaben, um sie nicht zu Hause machen zu müssen. Das wunderte oft die anderen Schüler, weil es selten vorkam, dass jemand lieber ein Buch in die Hand nahm als zu chillen.

An meinem ersten Mittwoch – ich hatte mich für den freiwilligen Nachmittag eingetragen – irrte ich erst einmal planlos durch die Schule. Denn das alles war neu für mich und ich wusste nicht, in welchem Projekt ich eigentlich war. Irgendwann schickte man mich per Zufall die Schülerzeitung. Ich dachte mir: ‚Okay, versuch’s einfach mal.‘ und setzte mich zu dem Rest, der aus vereinzelten sehr gelangweilt aussehenden Schülern bestand. Ich begann mich für das Projekt zu interessieren. Begann mich mit dem Leben Goethes zu befassen.

Ich besserte mich enorm auf dieser Schule. Zwar war es eine ganz andere Schulform, aber ich bekam mehr Mut. Da ich viel auf Anhieb verstand, wollte ich immer mehr wissen. Die Schule wurde zu einer Art zu Hause für mich, da ich dort die meiste Zeit verbrachte. Meine Klasse war anfangs auch ganz okay. Besser als die auf der letzten Schule auf jeden Fall. Jedoch fand man sie hier auch wieder: Die „Mobber“, die Heuchler und die kleinen Kids, die einem mit blöden Sprüchen auf die Nerven gingen Doch ich hatte dazu gelernt. Ich schwieg.
Ich begann mit dichten und einem Donnerstagsprojekt namens Poetry Slam. Und auf einmal merkte ich, wie wieder Leben in mir erwachte. Es kam zu einem Gespräch nach dem Deutschunterricht mit meiner Lehrerin, an das ich mich bis heute noch erinnere, weil es mich wirklich weitergebracht hat. Sie meinte, meine Noten seien gut, aber sie glaube, dass ich noch mehr könne. Ich dachte nach. Und wurde besser. Deutsch wurde mein Lieblingsfach. Mit Herz und Seele.
Und so wurde ich immer mehr zum Deutschtalent. Das Projekt Schülerzeitung war die erste Anlaufstation dorthin gewesen. Zum ersten Mal in meinem Leben sagte mir jemand, dass ich etwas gut kann.
Ich nahm ich auch am ersten Poetry Slam an unserer Schule teil. Und gewann einen ersten Platz. Das war in der achten Klasse, im ersten Jahr an der neuen Schule. In der Neunten bekam ich dann zum ersten Mal eine eins auf meinem Zeugnis: In Deutsch. Ich schrieb in einem Diktat eine Eins, während sich alle anderen um mich herum an diesem Text die Zähne ausbissen. Und alles blieb auch so gut wie fehlerlos. Meine Rechtschreibung war erstaunlich. Ich wurde zur Chefredakteurin der Schülerzeitung und durfte mit zu Preisverleihungen nach Stuttgart und Berlin, wo sogar mein allererstes Gedicht im Bundesrat vorgelesen wurde.

Auch außerhalb der Schule schrieb ich viel. Per Zufall kam ich auf einen Wettbewerb. Ich dachte mir, dass ich es ja mal versuchen könnte. Und gewann dort einen Anerkennungspreis: 500 €. Zur Preisverleihung nahm ich den Lehrer mit, der damals das Poetry-Slam-Projekt geleitet hatte, und meine Deutschlehrerin. Ich war die einzige Hauptschülerin unter den Preisträgern. Alle anderen waren entweder Gymnasiasten oder bereits erwachsen und im Berufsleben. Dadurch erweckte ich das Interesse einer Zeitung. Der Redakteur sah mich sehr überrascht an und meinte: „Sie sind die einzige Hauptschülerin…Wie kommt denn das?!“

Da ich in der A-Klasse war, durfte ich automatisch auch die zehnte Klasse machen: Werkrealschule. Die B und C-Klassen machen nur den Hauptschulabschluss. Unsere Klasse veränderte sich etwas. Einige gingen, neue kamen. Und ich sah, wie alles auf einmal anders wurde. Ich weiß nicht, wie die Klasse vor meinem auftauchen war, aber in den letzten zwei Jahren kam ich eigentlich gut mit allen aus. Das änderte sich etwas, als die Fronten geteilt wurden. Ich war auf der einen Seite, während ein Mitschüler die andere anführte. Ich weiß bis heute nicht, was eigentlich sein Problem war. Ich ließ mich ärgern, weil ich von meiner alten Schule wusste, dass solche Leute sowieso nicht zu belehren sind. Doch irgendwann platze mir der Kragen, da er demonstrativ von mir weg wich. Ich fragte ihn, ob er ein Problem habe. Er meinte nur „Was maaaan?“ und ich äffte ihn nach: „Was maaaaaaaan?!“ Dann bekam er Ärger vom Lehrer und ich hatte das Gefühl endlich meine Ruhe zu haben.

Ich begann mich dann irgendwie für Mathe zu interessieren. Und ich lernte hart für die Mathe-Prüfung. Sehr hart. Brannte mir Sinus, Kosinus und Tangens ins Hirn. Ich lernte alleine, stundenlang. Zu Hause. In der Schule. In der Mittagspause. Und es machte nach für nach klick in meinem Kopf. Am Tag der Prüfung hatte ich ein gutes Gefühl. Ich gab mir auch Mühe. Und ich schaffte es auch in Mathe auf die eins zu kommen. Allerdings wieder durch einen Zufall: Mein Mathelehrer hatte die Arbeit korrigiert und war auf eine 1,5 gekommen. Da ich aber bereits auf einer 1,5 stand bedeutete das für mich, dass ich in die mündliche Prüfung für die eins müsste. Doch der Zweitkorrektor fand noch etwas und am Ende kam auf die 1,4. in der Prüfung. Das bedeutete: Mathe: 1!
Ich wurde in den letzten Jahren zu einer von den besten Schülerinnen. Vieles fiel mir leicht. Bei vielem gab ich mir zusätzlich Mühe. Ich dachte, dass die Chemie-Prüfung für mich schlecht ausgehen würde, weil ich nicht hundertprozentig vorbereitet war, aber ich kam durch. Und schaffte es auf die Zwei.
An welcher Prüfung mir noch sehr viel lag, war die Ethik-Prüfung. Ich finde, Ethik hat etwas Philosophisches an sich. Man kann sich über Dinge Gedanken machen, diskutieren. Ethik beeinhaltet für mich Leben und Tod – Positiv und Negativ, normal und verrückt, alles und nichts. Und man wird nie auf ein wirkliches „Ergebnis“ kommen. Aber allein die Suche danach ist es wert, weil man dabei viel lernen kann. Die Ethikprüfung war für mich eine der besten. Ich habe viel geschrieben. Drei Seiten auf dem PC, von denen ich nicht einmal die Hälfte vorgetragen habe, weil die Zeit dann schon um war. Aber ich finde, es hat sich gelohnt mir selbst etwas zu beweisen.
Wenn ich recht überlege, war die Prüfungszeit eine der schönsten an dieser Schule, die so sehr meine Persönlichkeit geprägt hat. Die mir ein zu Hause geschenkt hat.

Zum Abschluss schreib ich die einzige und wohl auch erste Abschlussrede an dieser Schule. Es waren viele Seiten, die viel gekürzt werden. Aber eigentlich ließ sich das Ergebnis hören. Nicht von mir. Aber egal. Mein Name wurde erwähnt.
Mein nächstes Ziel: Abitur!

Wie oft habt ihr das Wort Zufall in diesem Text gelesen? Glaubt ihr, dass das alles hier wirklich Zufall oder am Ende vielleicht doch ein Wink des Schicksals war? Ich kann euch nur raten: Nehmt was kommt und gebt euch Mühe, findet heraus, was ihr wollt. Irgendwann kommt es zurück! Und dabei ist es völlig egal, welche Schulform ihr eingeschlagen habt. Hauptsache ihr steht dazu und lasst euch nicht von anderen sagen, dass eine Hauptschule nicht gut genug ist.

 

~ Nach einer wahren (meiner eigenen) Geschichte ~

Posted by Journey

Kategorie: (Kurz)geschichten

Autor: Journey

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