Es gibt sie noch, die Momente, in denen ich mir einfach wünsche, nicht zu existieren. In denen ich mich hilflos fühle. Machtlos. Komplett überfordert mit einer Situation, aus der ich nicht rauskomme, keinen Ausweg finde, solange ich lebe. Weil meine Existenz keine Hilfe ist. Weil vielleicht ohne mich alles einfacher wäre…
Manchmal frage ich mich, ob ich es schon geahnt hatte, dass der Umgang mit dem Älterwerden der Eltern keine Erfahrung ist, mit der ich je zurechtkommen werde. Woran ich das gemerkt haben könnte? Ich war nie ein Familienkind. Immer lieber mal auf Abstand. Mit 19 bin ich ausgezogen, weggelaufen, musste da raus aus dem Elternhaus. Mit 21 habe ich für ca. ein Jahr den Kontakt zu meinen Eltern abgebrochen. Mit 22 habe ich ihn wieder aufgenommen. Mit 25 stand ich zum ersten Mal in meinem Leben in einer Wohnung, die ich von meinem eigenen Geld zahlen konnte, was für mich seit meinem 13. Lebensjahr der größte Traum überhaupt war. Mit 26 habe ich mir in den Kopf gesetzt, dänisch zu lernen, weil ich mit Anfang 30 schon längst ausgewandert sein wollte. Ich wollte irgendwie weg. Weit weg. Alleine sein. Auf eigenen Beinen stehen. Ein unabhängiges Leben führen. Deshalb habe ich auch ab einem gewissen Punkt immerzu Dinge von mir gewiesen, womit mir meine Eltern etwas Gutes tun wollten. Geschenke. Geld. Ich wollte nie, dass irgendjemand auch nur ansatzweise denken könnte, ich würde mir etwas durch meinen Status „Tochter“ erschleichen wollen. Im Gegenzug wollte ich aber auch frei sein, meine Ruhe und den Respekt dieser Ruhe.
Ich liebe meine Eltern… sehr. Bei meiner Mum habe ich mir auch die letzten Jahre sehr viel Mühe gegeben, sie kennenzulernen. Und ich weiß, dass unter ihrer harten bestimmten und oft extrem schnell wütenden Art ein unglaublich weicher von meinem Dad über Jahre hinweg verletzter Kern steckt. Mit meinen Dad konnte ich nie so wirklich reden. Es gab Zeiten, in denen ich ihn zu Hause zwei Wochen nicht gesehen habe und nicht mal wusste, dass er im Urlaub ist. Zu ihm bin ich selten tiefer durchgedrungen und werde es nun auch nicht mehr schaffen. Den tiefsten Moment hatte ich Anfang des Jahres auf der Intensivstation, als ich seine Hand gehalten und das erste Mal in meinem Leben „Papa, ich hab dich lieb“ gesagt hatte. Seit ich denken kann, nenne ich ihn nämlich beim Vornamen. Die weiteren tiefen Momente hatte ich, als ich ihn wöchentlich in der Klinik besucht hatte.
Leider bin ich ansonsten nicht wirklich fähig, meine Zuneigung in Taten umzuwandeln, ohne dass es sich manchmal so anfühlt, als würde ich mich verbiegen, was für mich unglaublich anstrengend werden kann. Weil ich spüre, dass ich eben nicht so eine Tochter bin, wie ich sollte und es auch nicht so einfach sein kann… Ich kann nicht einfach einen Schalter umlegen und das tun, was man von mir als Tochter erwartet. Das wäre zum Beispiel, öfters da zu sein. Sie mehr zu besuchen, meine Mum, meinen Bruder und seine Familie mehr zu unterstützen…
Und ja, damit fühle ich mich schlecht. Abgrundtief herzlos, undankbar und böse. Ich würde manchmal sogar alles an potentiellem Erbe schriftlich und unwiderruflich abtreten, damit man das einfach nicht erwartet. Damit man mich in Ruhe lässt…
Ja, ich bin schon wieder an dem Punkt, an dem ich am liebsten weglaufen würde. Weit, weit weg… aber mein Wille ist das gewiss nicht. Mein Wille ist, mein Leben so zu führen, wie es noch vor einem halben Jahr der Fall gewesen ist, bevor es aus den Fugen geriet. Nun löst nämlich jeder Anruf und jede Nachricht eines Familienmitglieds eine Panik in mir aus. Das schlimme daran ist nicht, dass etwas mit meinem Dad sein könnte… sondern dass ich befürchte, dass ich es mir eben doch zu bequem mache… dass von mir etwas erwartet wird, das ich nicht leisten kann.
Ich habe Angst. Große Angst zusammenzubrechen. Angst, Entscheidungen treffen und zu viel Verantwortung tragen zu müssen. Angst festzustellen, dass ich im Grunde ein liebloser egoistischer Mensch bin… weil mein Wunsch nach Ruhe und Flucht um einiges größer ist als jener, den anderen Familienmitgliedern zu helfen…
Und ich würde echt vieles dafür tun, damit mir irgendjemand all das abnimmt. Damit irgendjemand aufräumt in all dem Chaos, das mein Dad uns hinterlassen hat, während er zwar am Leben ist, aber nicht mehr der, der er einmal war. Und auch nie mehr fähig sein wird, aufzuräumen. Vielleicht war er es selbst aber auch nie…
Wer weiß, vielleicht war:
auch immer seine große Angst.
Wir alle sind schwach und irgendwann oder irgendwie eine Last für andere oder vielleicht wenigstens keine Hilfe. Hätten wir es gerne anders? Ja, natürlich. Geht aber nicht immer.
Das ist okay.
Das nicht. Weil es falsch ist.
Du brauchst Deinen Freiraum, wie jeder Mensch. Zum eigenen Überleben.
Niemandem ist geholfen, wenn Du Dich kaputt-kümmerst.
Danke für deinen Kommentar, lieber Pit!
Es fühlt sich gut an, damit nicht alleine zu sein… und dass das schlechte Gefühl, das daraus entsteht okay ist… außer eben den ziemlich krassen Selbstvorwürfen, die ich mir da zusätzlich mache.