Gespräche beginnen

Vor einiger Zeit hatte ich bereits einen Artikel über die einfallsreiche Frage „Wie geht’s?“ geschrieben. Man versucht immer wieder ein Gespräch auf diese Weise in Gang zu bringen. Allerdings ist es fragwürdig, wie das gelingen soll. Denn meistens wird mit dem Wörtchen „gut“ geantwortet, was nun wirklich nicht viel Spielraum für ein Gespräch bietet. Ich finde es dennoch immer wieder faszinierend, wie trotzdem eines entsteht…

Über was ich ebenfalls fasziniert bin, sind die ersten Worte am Tresen einer Kneipe, in der sich alle kennen. Im Stammtischkreis sind Gesprächsanfänge nämlich ziemlich individuell. Da kommen dann Fragen wie:
„Haste den Sinn des Lebens gefunden?“ (an mich gerichtet)
„Ist dein Laptop schon explodiert?“
„Das Altersheim ist woanders!“ (an Jo gerichtet)
„Das ist ein Vieh! Lebt das noch?!“ (Jo zu mir, als von meinem Kater die Rede war)
„Waaah, Journey, zieh dir was an, mich friert’s!!!“ (wenn Teesorte oder meine Friseurin mich sehen, wie ich bei Wind und Wetter im T-Shirt herum renne)
„Dein Kleid ist zu lang!“ (A. zu mir)
„Journey! Was hast du vor?“ (Der Wirt, wenn er mein Outfit sieht)

Außerhalb vom üblichen Stammtisch, weit abseits im Chaos-Café oder HK, bin ich es meistens, die ein Gespräch mit völlig fremden beginnt. Ich bin die, die sich mitten zur Diskussion über die politische Geschichte der Türkei dazu setzt. Einfach nur, weil es mich interessiert und ich denke, dass das alles sogar noch interessanter wird und ich dabei vielleicht etwas lerne. Ich weiß nicht, ob mein Mut am Alkoholpegel liegt oder ob ich es im Allgemeinen für wertvoll halte, wildfremde Leute nach ihrer Lebensgeschichte zu interviewen, aber ich denke, es ist eine Mischung aus beidem. Eigentlich bin ich ja eher still und zurückhaltend. Das liegt aber an der Anzahl der Personen, die am Gespräch beteiligt sind. Ich rede lieber mit einem Menschen unter vier Augen. Sobald es mehr werden, wird es für mich unangenehm.

Wie ich die Leute anspreche, ist oft recht unterschiedlich. Manchmal frage ich direkt nach dem Namen. Oder ich lasse mir etwas Dämliches, aber Plausibles einfallen. Zum Beispiel etwas über die Musik oder allgemein die Atmosphäre in einer Kneipe. Irgendwie finde ich immer einen Draht. Und dieser hat sich schon mal so weit ausgedehnt, dass ich einen Mann zum Weinen gebracht habe, weil er mir seine Lebensgeschichte erzählt hat und sich derer in dem Moment bewusst wurde. Er war eher ein Verdränger. Ich habe ihn wohl zu sehr mit sich selbst konfrontiert….

Was mich allerdings stört: Es sind meistens nur Männer unterwegs. Das bedeutet, mit Frauen unterhalte ich mich nicht so oft (eigentlich schade). Und da weniger Frauen da sind, spreche ich logischerweise viel mehr Männer an. Und diese gehen sehr oft davon aus, dass ich sie nur anspreche, weil ich mit ihnen in die Kiste springen will. Dabei denke ich nicht eine Sekunde daran. Ich suche mir meine Gesprächspartner auch nicht nach Aussehen aus, sondern nach Interesse und Laune.

Am lustigsten fand ich den, der dachte, ich wollte nur über ihn an Drogen kommen worauf er auf der Toilette was gekauft hat und sich dann aufgeregt hat, weil ich nichts konsumiere – genau wie er.

Am selben Abend hat mich zur Abwechslung einer auf zugegebenermaßen unhöfliche Weise versucht einen Drink auszugeben. Er begann das „Gespräch“ folgendermaßen: „Du bist doch erst 14, komm ich tue dir einen Gefallen und gebe dir einen Drink aus!“ Nach langem hin und her habe ich ihm gepflegt eine Ohrfeige gegeben und das Lokal verlassen. Ich bin sehr empfindlich, was das Alter angeht. Da ich relativ jung aussehe und das Alter einfach nicht zu meinem Inneren passt, habe ich es somit nicht gerade einfach, mich zu beweisen und durchzusetzen. Aber 14 grenzt für mich an Beleidigung…

Letzten Freitagabend war ich nach langer Zeit mal wieder richtig unterwegs gewesen, da der beste Freund vom Langen Geburtstag hatte. Es waren ziemlich viele Leute da. Ich kannte natürlich alle – bis auf einen. Und da ich Lust hatte, mal wieder zu reden, überfiel ich regelrecht den Kerl, der mich auf den ersten Blick an Nick Hornby, gute Musik und Literatur erinnerte. Aber er war nur ein Arbeitskollege vom Geburtstagskind, der sich nicht für Bücher interessierte. So kann man sich irren.

Ich setzte mich zu ihm unter dem Vorwand, dass er alleine saß und ich alleine saß und wir uns ja unterhalten könnten. Er fand es amüsant, dass ich das ganze so geschwollen formuliert habe und dass ich ihn sieze, was er mir sofort verboten hat. Der Kerl war irgendwann – so kam es mir vor – leicht genervt von mir. Ihm fiel nicht ein, worüber man hätte reden können. Er wollte wohl auch nicht wirklich reden. Ich brach das Eis, als ich meinte, dass ich beim Genesis-Konzert vor ein paar Jahren dabei war. Er machte große Augen und wir fanden etwas Gemeinsames: Musik.

Ich weiß nicht, aber bei mir ist es so, dass mich jede Lebensgeschichte interessiert und ich sehr gerne Leute kennen lerne. Allerdings sieht man dieses Verhalten eher selten. Es gibt jedenfalls wenige Leute, die mich nach meiner Geschichte fragen…

Posted by Journey

Kategorie: Allgemein

Autor: Journey

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