Durch.

Ich habe schon lange nichts Neues mehr aus dem Nest berichtet. Vor allem von Jo war hier nicht mehr die Rede. Allerdings habe ich ihn auch schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen. Es hieß immer, er habe sich zurückgezogen, würde nur noch alleine zu Hause Alkohol trinken, sei „durch“, kaputt und man dürfe ihn auf keinen Fall besuchen. Ich tat es natürlich trotzdem.
Ich ging den Weg hinab Richtung Glastür, wie unzählige Male zuvor. Durch die Haustür bin ich erst einmal in meinem Leben gegangen. Bei Jo klingelt man auch nicht. Da wird an die Tür der „Veranda“ geklopft. Mein Herz hatte damals auch jedes Mal lauter geklopft, als ich mich der Glastür genähert habe. Doch es hatte immer auf Beton geschlagen und war nicht zu hören…
Trotz allem Vergangenen, das mir da so durch den Kopf schwirrte, war es ein Hauch von Nostalgie und somit etwas Besonderes, wieder da zu stehen. Aber es war nicht mehr das Herzklopfen wie früher. Ich war einfach nur gespannt, in welchen Zustand ich ihn vorfinden werde; Jo, meine damalige große Liebe.
Eigentlich sollte ich ihn ja nicht besuchen. Früher tat ich das zu oft, verfolgte ihn aus Liebe und Sorge. Ich hatte mir dann irgendwann geschworen, nie wieder hinzugehen. Doch nach all der Zeit und dem, was in meinem Leben vorgefallen ist, war es nicht mehr wie früher. Ich wusste, ich werde den Weg nach „Hause“, die 200 Meter nicht voller Tränen bestreiten, es würde kein pathetisches Drama an Jos Tisch geben. Es würde ganz anders sein. Als ich die Wohnung betrat, war alles jedoch wie immer, doch…auch irgendwie anders…

Ich trat in eine Rauchwolke, in vollkommene Dunkelheit, kein Tageslicht, nur das Licht einer 40 Watt Birne schien fahl die Decke herunter. Auf einem Stuhl saß Jos bester Kumpel A. Man bot mir ein Bier an. Ich setzte mich dazu und war sofort willkommen, als sei ich ebenfalls ein gleichgesinnter Kerl und wäre nur eben schnell Kippen holen gegangen. Es war irgendwie alles wie früher. Nur alles war dunkler, Jo war dünner und A. nicht netter. Ich fragte mich, was ich eigentlich hier wollte, trank mein Bier und warf ab und zu einige fragen in den Raum. Aber jede blieb unbeantwortet. Typisch Jo. Er würde eher sterben, als jemandem sein Herz auszuschütten. Immer hat man hart zu bleiben und alles zu verdrängen. Dass A. da war, ebenfalls hart blieb und mit gesoffen hat, passte mir zudem gar nicht. Doch ich konnte nur daneben sitzen und zusehen. Jo wich geschickt allem an Fragen aus. Es war wie früher. Nichts hatte sich verändert, doch dennoch alles verschlechtert.
Es war also eine spontane Aktion, die ich mir hätte sparen können.
Es tut mir nur nach wie vor Leid, dass ich ihm nicht helfen kann. Ich halte ihn für eine sehr intelligente Person und er hat mich von allen am meisten bisher geprägt. (Zum Glück habe ich aber nicht alles von ihm.) Der gute Teil in ihm wird jedenfalls immer weniger. Er wird stiller, seine Wohnung dunkler, seine Schulden größer. Er verzockt jede seiner Gehirnzellen. Für ihn ist es nur noch eine Frage von Jahren…eigentlich schade…ich habe ihm nämlich sehr viel zu verdanken, auch wenn er in mir ein Stück kaputt gemacht hat, was mich fast komplett kaputt gemacht hätte. Aber dank ihm lese ich wertvolle Bücher, hinterfrage vieles und er war mir so oft eine Muse gewesen.

Jedenfalls werde ich den Jo, so wie ich ihn damals an der Theke kennen gelernt habe, niemals vergessen. Er wird immer ein Teil in meinem Herzen haben, als ein sehr besonderer Freund.

Posted by Journey

Kategorie: Allgemein

Autor: Journey

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