Es ist alles gut. Denkt man. Man denkt ebenso, dass alles Vergangene so kommen musste. Es ging eben nicht anders. Und man kann ja so einiges seelisch verkraften. Was ich aber seit dem Ende der Jo-Story mache ist verdrängen.
Ich habe schon vorher Leute verlassen. Meinen ersten Freund, den Spießer, diverse andere Männer, Freundinnen, dessen Interessen einfach im Laufe des Erwachsenwerdens in eine andere Richtung tendiert haben. Das war normal für mich. Wenn was nicht richtig läuft, wird es eben grob unter den Teppich gekehrt und vergessen. Gestern allerdings war kein Platz mehr darunter. Es kam nichts Neues dazu, was ja an und für sich relativ schlüssig wäre. Nein. Es kam nichts. Ich lag einfach nur neben Dingsbums im Bett, er hörte nicht auf mich grob zu massieren und mich zu kitzeln, wenn ich am Einschlafen war. Ich wurde immer gereizter. Ich war müde. Und nach dem x-ten Mal verstand er das auch und ließ mich in Ruhe. Ich konnte trotzdem nicht schlafen. Seine Arme waren zu schwer. Sauschwer. Neben mir lag eine „Kampfmaschine“ wie Mary das nennen würde. Ich schlief erst um kurz nach fünf ein…und um sechs war ich wach. Und es ging nicht mehr. Ich konnte da nicht mehr liegen. Mary ist ja okay. Neben Mary oder einer anderen Freundin zu liegen macht mir nichts aus. Aber wenn ein Kerl neben mir schläft, kann ich nicht schlafen. Ich fühle mich nicht sicher und bekomme einen psychischen Knacks. Es sei denn es sind 3 Promille im Blut wie letzte Woche. Da schlief ich aber auch nicht. Da lag ich im Koma.
Aber hier…neben einem Mann zu liegen fällt mir irre schwer. Ich weiß nicht, warum das so ist. Aber es ist mir sehr unangenehm einen Kerl neben mir zu haben. Zwei heiße Körper. Das mag ich nicht. Obwohl…Dingsbums musste ich gestern wärmen. Er steckte seine arschkalten Füße so zwischen meine Schenkel, damit ihm warm wurde. Das macht mir nichts aus. Aber dann wurde es mir echt zu heiß in dem Bett. Um 6:30 stand ich auf, frühstückte, las, und sagte dann Axe, dass ich spazieren gehe. Dann dachte ich noch mal über das Ganze nach.
Ich habe geweint, als Dingsbums den Punkt meines Körpers suchte, bei dem ich dahinschmelze. Hat er nicht gefunden. Nirgends. Und alles war okay, weil den Punkt noch keiner gefunden hat und es den bei mir wohl gar nicht gibt. Egal. Muss er ja nicht wissen. Ich spielte mit, solange bis ein Kuss am Hals mich erstarren ließ. Schlagartig wurde mir schlecht. Ich merkte, dass mein Kissen nass wurde. Ich weinte. Ich dachte an…Kai. Ich dachte an Fasnacht. Den Vampir. Ich dachte an alles Vergangene. Die Erinnerungen durchfluteten mich und meine Augen. Keiner merkte etwas. Auch Mary nicht, die aber immer wieder mal meine Hand hielt und Dingsbums merkte eh nichts. Ich hätte sterben können. Wäre ihm nicht aufgefallen. Wuahh…Nihilisten…
Jedenfalls dachte ich an Kai. Lange und viel. Und dem Kerl gab ich zu verstehen, dass ich schlafen will. Ich bekam aber kein Auge zu. Erstens wegen den Gedanken und zweitens wegen Dingsbums, da er nicht aufhörte, mich zu berühren. Mir ging das echt auf die Eierstöcke…
Und jetzt sitze ich hier auf meinem Sofa in meinem Reich, meiner Wohnung und heule. Heule wegen Vergangenem. Wegen Maze, wegen Kai, wegen jedem Menschen, dem ich unrecht getan und den ich verlassen habe, weil ich die derzeitige Situation nicht aushalten konnte. Ich habe alles beendet aus Angst, dass etwas vor mir beendet wird. Aus Angst vor Routine.
Und genau in diesem Moment denke ich an den Ort, der mir so lange ein zu Hause war und an dem die Menschen, sind, die ich am meisten und aus tiefsten Herzen liebe, wenn ich denn überhaupt Ahnung von Liebe habe. Aber ich glaube, es ist wirklich Liebe, die ich jeder einzelnen Person dort entgegenbringe und es ist auch Liebe, wenn ich an vergangene Situationen zurückdenke. Mit Jo, hinter dem ich zwei Jahre her war, mit seinem besten Freund A., der mich immer ärgert, mit Dieter, mit dem ich zur Zeit einfach viel zu wenig Kontakt habe und mit einfach jeder anderen Person. Mit dem Wirten, meiner Friseurin, Teesorte,…und mir fällt gerade jetzt eine Antwort auf eine bestimmte Frage von Dr.D. ein. Er hat mich gefragt, wie es sein kann, dass man mit irgendwelchen Kneipenbekannten mehr gemeinsam hat, als mit seinem eigenen Vater. Liebe ist da kein Argument. Liebe ist Liebe. Mehr oder weniger eben. Aber was verbindet denn einen mit Menschen? Was lässt sie zusammenwachsen? Und was macht ein Neuanfang für viele so schwer? Fremde Stadt, fremde Menschen, keine Erinnerungen! Es verbindet mich einfach so gut wie keine Erinnerung mit U. und mit meiner Mum ebenso wenig. Aber mit den Menschen aus dem Nest verbindet mich Leben, Schicksal, das Kneipentagebuch. Keiner von ihnen weiß, was drinsteht. Es sind einfach nur genau beschriebene Situationen. Sie sind so wertvoll für mich…es gibt nichts vergleichbar wertvolleres, als die Feder und der Block in meinem Kopf, die alles wissen. Erinnerungen, vergangene Momente. Man könnte mir alles andrehen. Für nichts auf der Welt würde ich das alles hergeben. Und ich glaube, das ist auch ein großes Problem. Denn statistisch gesehen sterben alle meine Freunde vor mir. Und davor habe ich Angst. Dass alles vorbeigeht, ich auch vorbei gehe und alles verschwindet…
Komisch. Ich bin selbstmordgefährdet und trotzdem habe ich Angst vor dem Ende. …
Nächste Woche kommt Dieter jedenfalls vorbei und ich freue mich. Er fährt hierher. Danach soll er mich mitnehmen nach V. und ich gehe raus. Richtig raus. Ohne Morgen. Bis auch der letzte Gast geht. Und dann gehe ich in die Kneipen, die noch offen sind. Das Chaos-Café zum Beispiel. Geplant ist außerdem der erste Bus von V. nach Kö. Ich will nicht in V. übernachten. Nee. Bloß nicht. Ich will leben…Erleben. Mary bekommt das zwar ganz gut hin, sodass ich mit jungen Leuten wieder einigermaßen gut klarkomme, aber nichts geht gegen das Nest. Es kommt nichts gegen meine Freunde im Nest an, gegen alles Verworrene, gegen die Schicksale, die jeder mit sich trägt und mein Wissen um alles. Mein Wissen, dass alles so ist wie immer. Mein Wissen, dass ich jede einzelne Person kenne, die in die Kneipe kommt.
Dieter, wie er Mittags an der Theke mit seinem Bier hockt, Jo, der einfach Jo ist und allen in Diskussionen auf die Nerven geht, der Maserati-Fahrer, der über seine Witze immer am lautesten lacht, Wal-E mit seinem Spruch „So isch’s gworde…“ und seine Frau, die mal einen Puff hatte und Mister, den ich bis vor einem Jahr gar nicht kannte und der Nein schreit bevor ich was sage, wenn er betrunken ist. Es ist einfach mein zu Hause. So kurios das auch klingen mag. Und wir alle sind eine Familie. Jeder hat mit jedem was zu tun. Und das vermisse ich so sehr.
Ich war schon so lange nicht mehr unterwegs. Richtig unterwegs. Es ist so lange her…es wird wieder Zeit. Wenn ich mein suizidales Referat fertig habe, wird erst mal richtig rausgegangen. Ohne morgen.