Das erste, was ich in Erfurt erlebte, war das Treppenrätsel am Bahnhof. Als ich das Gleis verlassen wollte und eine Treppe runterging, kam ich nämlich irgendwie an ähnlicher Stelle wieder hoch. Es hatte etwas von M.C. Escher. Ich weiß auch jetzt nicht mehr, wie ich das geschafft habe, aber vielleicht lag es auch daran, dass einfach zu viele Menschen unterwegs waren und mich das Gewusel in dem Moment durcheinander gebracht hat. Letzten Endes fand ich dann irgendwann doch noch aus dem Bahnhof raus.
Insgesamt war ich in Erfurt, wo ich in der ersten Zeit übernachtet habe, gar nicht so viel unterwegs. Ich habe es eher als guten Startpunkt gesehen, weil von dort aus alles andere gut zu erreichen war. Mit der Lage meiner Unterkunft hatte ich auch richtig viel Glück, da sie nur wenige Minuten vom Bahnhof entfernt sein sollte.
Allerdings verirrte ich mich auch hier etwas und verbrachte etwa zehn Minuten damit, durch das halbe Viertel zu laufen und den Hauseingang zu suchen. Da sich dieser jedoch nach innen versetzt befand, konnte man die Hausnummer nur sehen, wenn man direkt daran vorbei lief, was ich zunächst nicht getan hatte, weil sich davor ein Parkplatz befand und mir nicht klar war, zu welcher Straße das Haus überhaupt gehörte. Von außen sah es auch eher wie ein großer Bürokomplex aus und Google Maps war sich da auch nicht so gaz sicher.
Nachdem ich nach meinem „kleinen“ Spaziergang dann doch endlich vor den gefühlt Millionen Klingelschildern und Briefkästen stand, realisierte ich, dass da wirklich seeeeehr viele Menschen wohnen mussten. Ich war daher dankbar, dass die Wohnungen auch noch zusätzlich nummeriert waren und mir die Frau, bei der ich wohnen würde, vorab ihre Nummer mitgeteilt hatte. So musste ich nicht alle Klingelschilder lesen und nur die entsprechende Zahl finden und dort klingeln.
Meine Gastgeberin teilte mir daraufhin mit, wo ich die Tür zu ihrer Wohnung finden würde. Während sie eine ellenlange Wegbeschreibung in kürze zusammenfasste, dachte ich mir nur: Fuck, wie soll ich mir das merken?! Vielleicht war ich doch durcher von der Fahrt als gedacht…? Okay, im Aufzug die vier drücken, dann durch eine Glastür und anschließend im Gang D die Treppe hoch und die erste Tür rechts… Während ich mir das immer und immer wieder vorbetete, stellte ich fest, dass man nicht alle Stockwerke mit dem Aufzug erreichen konnte. Die meisten Knöpfe waren einfach nicht vorhanden. Immerhin gab es neben dem Erdgeschoss und noch einer anderen Zahl, die vergessen habe, auch die Vier. Ich kam mir irgendwie saudämlich vor, diese Logik nicht zu begreifen.
Im vierten Stock bewegte ich mich daher auch eher schleichend, vorsichtig und unsicher. Die Glastür übersah ich zunächst, weil sie offen stand. Ich sah mir vielmehr alles ganz genau an und versuchte mir irgendetwas einzuprägen, was jedoch bei den unzähligen Türen, die alle gleich aussahen, vergebene Liebesmühe war. Keine Deko an der Tür, kein Fußabtreter vor der Tür, nichts. Was mir daher sofort auffiel war, dass die Wohnungen vollkommen willkürlich nummeriert waren. Es befanden sich Zahlen mit 500irgendwas neben 400irgendwas. Irgendwie wurde das immer kurioser. Da ich bis jetzt jedoch der Anweisung gefolgt war und man bei einem Gang zum Glück nicht so wahnsinnig viel falsch machen konnte, lief ich weiter bis zur ersten Abbiegung, über der ein großes „E“ stand. In der Hoffnung, dass die nächste Abbiegung mich zu Gang „D“ führen würde, setzte ich meinen Weg fort und freute mich darüber, dass zumindest hier wieder eine logische Reihenfolge eingehalten wurde und ich nicht auf ein „Ä“ traf. Bevor ich die schmalen Treppen hinaufstieg, blickte ich kurz zurück entlang der monotonen weißen Wand mit den monotonen weißen Türen und hoffte, dass ich hier jemals wieder herausfinden würde…
Aber ich war trotz des holprigen Starts in Erfurt guter Dinge und versuchte es sogar noch am selben Abend und deckte mich bei Rossmann, der tatsächlich am Sonntag offen hatte, mit Hafermilch und Müsli fürs Frühstück ein. Den Weg zur Unterkunft und in die Wohnung hatte ich also schon mal raus. Und die Aussicht war auch nicht so schlecht.