Positives: Familienverhältnis

In meinem letzten Beitrag habe ich beschrieben, dass ich eher dazu neige, das negative (schriftlich) festzuhalten, was natürlich ein verzerrtes Bild von meinem Leben erzeugt. Ja, es stimmt, dass ich oft unter der Last anderer leide bzw. mitleide. Ich bin auch sehr oft am Limit, weshalb ich vieles nicht mehr so gebacken bekomme wie früher. Momentan bin ich es eigentlich auch, aber dennoch bin ich relativ stabil. Es entspricht also nicht ganz der Wahrheit, wenn ich die positiven Entwicklungen aus meinem Blog ausschließe, selbst wenn sie wie in meinem Fall ursprünglich negativen Gegebenheiten entsprungen sind und ich mich damit sehr schwer tue, sie in Worte zu fassen. Gerade dann sollte ich sie mir nämlich umso mehr bewusst machen.

So ist zum Beispiel meine Entwicklung innerhalb meiner Familie enorm und das Verhältnis zu meinen Eltern im Vergleich zu den Anfängen meines Blogs vor knapp 15 Jahren besser denn je. Zwar nenne ich meinen Vater immer noch nicht so, sondern nach wie vor bei seinem Vornamen „U.“, weil ich es eben mein Leben lang gewohnt bin. In der Regel vermeide ich es aber bzw. drücke mich um eine Ansprache herum, weil ich ihn jetzt in seinem Zustand einfach nicht verletzen möchte, indem ich ihn weiterhin so und nicht „Papa“ nenne. Ich kann das einfach nicht, selbst wenn ich es mittlerweile so fühle, und versuche es eben auf andere Weise zu zeigen. Das spürt er auch und äußert jedes Mal, dass er sich freut mich zu sehen.

Im Allgemeinen sind meine Eltern und ich uns seit dem ganzen Unfalldrama Anfang letzten Jahres näher denn je. Ich schaffe es zwar nach wie vor nicht so wirklich, die Streitereien zwischen den beiden beizulegen oder meine Mum zu bremsen, wenn sie ihn mal wieder knallhart mit Vorwürfen überhäuft, um ihrem jahrelang angestauten Frust Luft zu machen. Aber die Situation wäre wohl noch schlimmer, wenn ich nicht da wäre. Das sagt mir sogar meine Mum und ich merke, wie dankbar sie mir ist, dass ich da bin. Auch das tut gut.

Ich kann aber auch beide Seiten besser denn je verstehen und warum vieles so gekommen ist, wie es eben kam. Allerdings reagiere ich eher wie mein Vater mit Rückzug, als mit Angriff wie es meine Mum tut. Manchmal ist es daher anstrengend, die temperamentvollen Reaktionen von ihr nachzuvollziehen und sie gleichzeitig zu beruhigen, denn recht hat sie ja auch: Ihr Leben ist gerade wirklich nicht so berauschend. Es dreht sich nur um meinen Dad und dass er seine Tabletten nimmt, aufsteht, zu den Therapien geht, immer gut gepflegt aussieht, genug trinkt,… Sie glaubt kaum, dass da jemand auch mal nach ihr fragt, neigt aber auch dazu, sehr streng mit ihm zu sein und nicht locker zu lassen, weil dann in ihren Augen nichts mehr läuft.

Dass mein Dad bei all dem nicht durchdreht und vernünftig bleibt, jetzt wo er die meiste Zeit mit meiner Mum verbringt, anstatt in die Kneipe oder in andere Teile der Welt zu flüchten zu wollen, ist eigentlich ein Wunder und ein gutes Zeichen. Er ist sogar recht zufrieden mit seinem Leben, was meine Mum natürlich auch nervt. Alles in allem läuft es aber und ich hoffe, dass das so bleibt.

Unser Familienverhältnis ist also trotz des ganzen Stresses und der vielen unangenehmen Dinge, die im Laufe der letzten Jahrzehnte vorgefallen sind, ein sehr gutes, was durchaus positiv zu sehen ist. Mir jedoch fällt es schwer, das so anzuerkennen. Seit meiner Kindheit wollte ich mit all dem nichts zu tun haben und ich denke auch jetzt noch ans Weglaufen, wenn mir mal wieder alles zu viel wird. Es wird aber weniger, denn ich habe auch gemerkt (vermutlich wie meine Mum), dass ich es nicht mehr kann. Diese Erkenntnis lässt mich bleiben und sorgt sogar dafür, dass mein Fokus ins Handeln geht. Ich fühle mich auch immer mehr gebraucht in einer Rolle als Tochter, die ich zwar nie haben wollte, aber wohl ganz gut meistere.

Am Donnerstag haben wir meinen Dad, der sich bis auf die langsam ansteigende Demenz von seinem Unfall gut erholt hat, in die Kurzzeitpflege gebracht, damit meine Mum mal zwei Wochen in den Urlaub kann. Ihm das nur wenige Tage davor mitzuteilen war unglaublich schwierig, da er erst mal nicht begreifen wollte, dass er sich einfach nicht mehr selbst versorgen kann und auf jemanden angewiesen ist, der ihm die Tabletten gibt, für ihn kocht, etc. Ich kann das mit Observer nicht leisten, denn beim letzten Mal, als sie nur eine Woche weg war und ich in der Zeit Urlaub hatte und mit Observer in meinem Elternhaus gewohnt habe, war das schon etwas viel für mich.

Als er begriffen hat, dass er aus dem Haus muss, hat er das alles total abgelehnt. Nachdem ich ihn dann mehrmals vorsichtig gebeten habe, es zumindest zu versuchen und wenn es gar nicht anders ginge, würden wir auch dafür eine Lösung finden, hat er dann eingewilligt. Meine Mum war derweil wieder im Vorwurfsmodus und nervlich am Ende und hätte das Gespräch wohl alleine nicht geschafft. Sie hat es so gesehen, dass er ihr ihren Urlaub nicht gönnt, obwohl das gar nicht sein Bestreben war. Er wollte einfach nicht raus aus der gewohnten Umgebung und wurde auch zum ersten Mal so richtig krass damit konfrontiert, dass sich die Dinge geändert haben. Eigentlich weiß er das auch… selbst wenn er das oft nicht wahrhaben will und nach wie vor dazu neigt so zu tun, als wäre alles wie immer.

Das Gespräch war also etwas schwierig und ich hatte einige schlaflose Nächte dadurch, aber noch heftiger war es dann, ihn tatsächlich dahin zu bringen, weil er da schon etwas fehl am Platz ist. Danach konnte ich dann kaum schlafen und es tat mir richtig weh, ihn da zurückzulassen. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass mir das so nahe geht. Klar kann er vieles nicht mehr selbst, an vieles muss man ihn aber nur erinnern und dann macht er es auch. Nicht immer so schnell, wie es sich meine Mum wünscht, aber er macht es. Zur Not muss man ihn ein paar Mal erinnern. Die Menschen, die dort jedoch sind, sind zwar in seinem Alter, aber auf viel mehr angewiesen. Ich hoffe nur, dass er da nicht noch mehr abbaut. Mein Bruder und ich werden ihn jedenfalls regelmäßig besuchen, sodass er jeden Tag jemanden von uns zu sehen bekommt und auch mal raus kommt. Ich halte das für sehr wichtig und obwohl es für mich stressig wird, da ich ab Donnerstag wieder arbeite, werde ich das schon irgendwie meistern. Mein Chef weiß ja Bescheid, wie die Situation ist und es wird wohl so sein, dass ich zwischen der Wohnung meiner Eltern (wo ich die zwei Wochen primär mit Observer wohne und auf die Katze aufpasse), meiner eigenen Wohnung (wo ich Homeoffice machen sollte), dem Pflegeheim und der eventuell der Arbeit im Studio pendle… das wird sich alles noch zeigen.

Es stimmt schon, dass ich mein Leben ohne Familykrams vermisse. Aber ich lerne immer besser, damit umzugehen, dass sich die Dinge nun mal geändert haben und so ist das ganze ein enormer Entwicklungsprozess. Ich bin auch das erste Mal wirklich eine Tochter von zwei Elternteilen, die mich auch auf Augenhöhe sehen und in vielem sogar zu mir aufblicken. Und das tut auch gut! : )

Posted by Journey

Kategorie: Allgemein

Autor: Journey

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