Ich bin normalerweise ein friedlicher Mensch, der Harmonie mehr als alles andere schätzt und Gewalt und Aggressionen aus dem Weg geht. Mein Weltbild ist daher eher positiv als negativ. Ich verzeihe Menschen auch viele ihrer Eigenheiten, versuche sie zu verstehen und nicht zu verurteilen oder gar zu hassen. Bei mir selbst sieht das jedoch ganz anders aus…
Da stehe ich nun, mitten im Kampfgeschehen. Mir gegenüber sehe ich mich selbst. Ich und ich umkreisen einander, fixieren uns. Während ich schützend die Boxhandschuhe vor mein Gesicht halte und abwarte, wirkt mein anderes Ich eher gelassen. In mir brennt jedoch die Anspannung, mich jederzeit zur Wehr zu setzen, gnadenlos zuzuschlagen.
„Du musst dich besser abgrenzen!“, sage ich sanft zu mir selbst. „Es sind deren Probleme und nicht deine. Sie müssen sie lösen!“
Mein Puls schlägt höher, ich tipple von einem Fuß auf den anderen und schlage zu. Doch mein Gegner blockt mich ab und ergänzt fast schon in einem engelsgleichen eigentlich beruhigendem Singsang, der mich jedoch rasend macht: „Wem nützt es denn, wenn du auch daran verzweifelst?“
„Ja soll ich einfach nur zusehen und nichts tun?!“ kreische ich und versuche erneut mich zu treffen, doch wieder weiche ich mir geschickt aus. Als hätte ich es vorausgesehen.
In den kommenden Minuten kreische, tobe und schlage ich wild um mich. Ich bin wütend. Richtig wütend. Aber eigentlich… fühle ich mich hilflos. Hilflos, nutzlos, klein und schwach, weil ich nichts tun kann, um denen, die ich liebe, zu helfen. Und das macht mich wütend. Auf mich und meine Inkompetenz. Auf mich und meine Schwäche.
Klar, ich könnte auch auf andere wütend sein, ihnen die Schuld geben, denn schließlich sind es auch ihre Probleme, die sie selbst zu verantworten haben. Ich könnte auch irgendjemandem die Schuld geben und auf diese Person dann all meine Wut richten.
Aber wozu? Was können die für meine Unzulänglichkeit?
Also schlage ich auf mich ein. Immer und immer wieder. Und irgendwann… treffe ich. Und all der Hass entlädt sich. Ich vernichte mich. Stück für Stück, auf die brutalste Art und Weise. Doch das ist nicht das schlimmste. Das schlimmste daran ist nämlich nicht die Brutalität, mit der ich mir die Zähne ausschlage, mich an den Haaren hochziehe und mit übermenschlicher von Wut genährter Kraft von mir wegschleudere. Das schlimmste ist, dass ein viel zu großer Teil in mir davon überzeugt ist, dass ich es genau so und nicht anders verdient habe. Und dieser Teil verspürt Genugtuung.
Da können andere mir noch so sehr sagen, wie sehr sie mich schätzen und mögen und froh sind, dass es mich gibt… sie können mir noch so sehr versichern, dass es ihnen einfach nur hilft, dass ich da bin, auch wenn ich nicht ihre Probleme lösen kann… da kann man mich noch so sehr lieben… ich verachte mich einfach in manchen Momenten mit jeder Faser meines Körpers.
Ich weiß, wie schrecklich das alles klingt, wie unverständlich für Außenstehende… wie irrational. Aber ich werde diesen Selbsthassmist einfach nicht los… ich kam gut in den letzten Jahren zurecht und hatte das Glück so zu leben, dass er sich eben nicht ausgebreitet und mich vergiftet hat. Hätte ich ihn jedoch wirklich überwunden, sähe das jedoch anders aus…
Die Frage ist nur… lässt er sich jemals wirklich überwinden oder immer nur oberflächlich eindämmen?