Abenteuer Zugfahren

Zugfahren ist für mich ja immer ein großes Highlight. Ich liebe es einfach, mich von A nach B transportieren zu lassen in vorgefertigten „Bahnen“. Und man mag es kaum glauben, aber irgendwie mag ich sogar die Schwierigkeiten, die sich ja immer wieder mal ergeben und die Herausforderungen, damit spontan umgehen zu müssen (solange sich das sich in Grenzen hält und ich auch wirklich noch irgendwie/irgendwann an meinem Ziel ankomme…)

Dass es auf meiner heutigen Fahrt nach Hamburg auch einige Probleme geben würde, zeichnete sich bereits gestern schon ab, als es hieß, dass mein zweiter Zug von Karlsruhe nach Hamburg ab Koblenz 30 Minuten Verspätung dazubekommen würde. Gut, das war nicht schön, aber da ich erst wieder in Hamburg mit Observer umsteigen musste, war das für mich noch okay. Irgendwie würden wir schon ankommen.

Womit ich allerdings nicht gerechnet hatte war, dass mein RE nach Karlsruhe auf einmal in Hausach ausging und erst mal stand. Scheinbar gab es eine Signalstörung bei einer Notbremse. Der Bahnmitarbeiter lief allerdings schon davor mit Tunnelblick herum. Nun lief er noch nervöser herum mit zwei Türe-Defekt-Schildern. Die Teens schräg gegenüber von mir planten aus Frust bereits ein Attentat auf ihn, waren aber zu gechillt, um aufzustehen.
Ich wurde noch nicht nervös, denn ich hatte ja gerade wegen sowas eine Route mit 25 min Umsteigezeit gewählt. Etwas nervös wurde ich erst, als es beim Losfahren hieß, dass wir nun 25 Minuten Verspätung hatten. Ich hoffte insgeheim, dass mein Anschlusszug auch Verspätung hatte, denn ich wollte nur ungern „Trainhopping“ betreiben und eigentlich in Ruhe mit dem EC6 durchfahren…

Da ich kein Internet hatte, sah Observer für mich von zu Hause aus nach und teilte mir via SMS mit, wie es um meine Züge stand. Ich hatte in Karlsruhe 7 Minuten zum Umsteigen, was ich wohl schaffen könnte, um von Gleis 13 auf Gleis drei zu kommen. Sportlich, aber machbar.
Ich stand etwa 30 Min vor Karlsruhe auf und trainierte schon mal Treppensteigen zur Toilette. Danach wendete ich mich in die andere Richtung, um auch mal andere Gesichter zu sehen. Allerdings entsprach keiner der Sitzplätze meinen Vorstellungen (auf einer Ebene mit der Ausgangstür und mit Platz für meinen Koffer neben mir) und so endete ich am Ende des Zugs bei den Fahrrädern.

Als Observer mir die aktuellen Zeiten durchgab, sah es jedoch noch schlechter aus als vorher. Mein RE würde um 1610 ankommen, mein EC um 1613 abfahren. Ich hatte also nur noch drei Minuten zum Umsteigen und was noch blöder war: mein EC6 fuhr nur noch bis Dortmund.
Ich war mir sicher, dass meine Zugbindung aufgehoben werden würde, wusste nur nicht, ob das schon jetzt der Fall war. Mein nächster Schritt war also, den Schaffner aufzusuchen und ihn zu fragen. Also stand ich wieder auf und stieg die Treppen hoch, bugsierte meinen Koffer in den nächsten Wagon, stieg die Treppen wieder runter, lief an all den Leuten erneut vorbei, stieg die Treppen wieder hoch,… und das zwei oder dreimal, bis ich mitten zwischen den Wagons nicht mehr weiterkam, weil vor mir die besagte defekte Tür war. Der Schaffner oder überhaupt ein Bahnmitarbeiter waren somit unerreichbar für mich. Ich befürchtete ja etwas, dass hier nur der eine war. Und der war auf der anderen Seite dieser Tür. Ich drehte mich also leise fluchend um und blickte in das irritierte Gesicht eines jungen langhaarigen Mannes, der mich wohl beobachtet hatte. Nun machte er hektisch etwas Platz für mich und ich ließ mich in den Sitz ihm gegenüber fallen. Er sah mich auch weiterhin stirnrunzelnd an. Wäre ich nicht so damit beschäftigt gewesen, mich mental für meinen bevorstehenden Sprint zu wappnen, so hätte sich bestimmt ein lustiges Gespräch ergeben. Ich stand stattdessen auf und wuchtete meinen Koffer wieder die Treppen runter. Immerhin hatte ich jetzt echt Übung darin. Aber eine ganze Treppe würden schon mehr sein als nur 5 Stufen… und diesmal war mein Koffer echt gigantisch schwer… Na ja, egal. Ich musste es versuchen!!!

Mich als alten Bahnprofi machte die Situation nun doch etwas nervös, weil ich nicht selbst nachgucken konnte, wie spät mein Zug gerade war bzw. wo mein EC gerade steckte und wie viele Minuten mir nun tatsächlich zum Umsteigen von Gleis 13 auf Gleis 3 bleiben würden… aber dafür hatte ich zum Glück Observer. Er schrieb: Abfahrt EC6 1614.

Ich sah auf die Uhr… 1609… Karlsruhe wurde angekündigt… 1610… ich sah aus dem Fenster, wie ebenfalls mein EC in den Bahnhof einfuhr. Vielleicht schaffte ich es ja doch noch ihn zu erreichen?! 1611. Ich tippelte von einem Fuß auf den anderen und machte mich bereit, gleich aus dem Zug zu springen, den Koffer nicht auszuziehen, sondern auf seinen vier Rädern als Rammbock vor mich herzuschieben. Das funktionierte auch fantastisch. Ich fiel zur Abwechslung mal nicht mitsamt Koffer aus dem Zug, sondern schaffte es auf die eleganteste Art und Weise den Koffer auf den Bahnsteig zu bugsieren und mit ihm blind loszurennen… an allen vorbei. Einfach geradeaus. Bis auf ein paar Teens, die mich sehr knapp an der Bahnsteigkante eintlangrennen ließen, sprangen auch alle brav zur Seite. Ich rannte um mein Leben und sah einen Aufzug, in dem nur noch ein Platz frei war. Vermutlich nahm ich einer Frau diesen Platz weg, aber ich glaube, mein Ehrgeiz, mit dem ich quasi angeflogen kam, beeindruckte alle.
Unten in der Halle zog sich der Weg dann gefühlt ewig bis zum anderen Aufzug, vor dem jedoch die Zeugen Jehovas standen. Ich machte mich schon innerlich bereit, sie komplett niederzumähen, erkannte aber, dass der Eingang auf der Rückseite war. Dann drückte ich den Knopf. Und drückte. Und dachte: ‚Fuck. Da bin ich echt schneller zu Fuß!‘
Als ich geradeaus am Aufzug und den großen Pappschildern vorbeisah, erkannte ich das schönste, was ich seit langem gesehen habe: Rolltreppen!! Das musste ein Zeichen sein, dass ich es schaffen würde! (Nein, ich glaube nicht, dass die Zeugen deshalb davor standen! : D). Ich sprintete also auf die Treppen zu, jagte noch einem Menschen Todesangst ein, wuchtete den Koffer darauf, sah meinen EC und rannte auf ihn zu. Meinen 100kg-Koffer wuchtete ich die Zugtreppe hoch und mich hinterher. Dann fiel alles von mir ab und ich wollte mich nur noch hinlegen. Hier, mitten im Gang, war ich tatsächlich kurz davor, vor einem Kinderwagen zusammenzubrechen. Die dazugehörige Mutter sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an und verließ rasch den engen Raum samt Kinderwagen, Kind und Mann. Dann schlossen sich mit einem Mal alle Türen und ich sah, wie wir losfuhren. Ich fasste es nicht. Alles an mir glühte. Alles kribbelte. Ich konnte es nicht fassen. Ich fuhr. ICH HATTE ES TATSÄCHLICH GESCHAFFT!
Und ich glaube, ich war echt die einzige aus meinem Zug… keiner hatte sich vermutlich so einen Stress gegeben, nicht mal ohne großen Koffer…

Noch vollkommen außer Atem setzte ich mich in Bewegung und suchte mir einen Sitzplatz, von denen es hier wirklich zur Genüge gab und pflanzte mich in einen Viererbereich. Dort riss ich mir erst mal alles unnötige an Klamotten vom Leib und kam wieder zur Ruhe…

Als dann der Schaffner vorbeikam, sprach er einen Mann an. Ich dachte erst, es ging um die Ticketkontrolle, aber er rüffelte ihn einfach nur aufgrund seiner fehlenden Maske. Ich hielt ihm also mein Ticket hin. Er war allerdings wohl wirklich nicht der Kontrolleur, aber ich sah wohl so aus, als bräuchte ich Hilfe. Also wendete er sich mir zu und ich plapperte sofort aufgeregt darauflos wegen der Verspätung und ob meine Zugbindung aufgehoben sei und ich umsteigen dürfe, da der Zug ja nun nur noch bis Dortmund verkehre. Er unterbrach seinen Weg (wohin auch immer) und widmete sich voll und ganz meinem Problem. Er meinte, ich müsse sogar umsteigen, wenn ich noch in Hamburg ankommen wolle. Dann suchte er mir eine neue Zugverbindung ab Mannheim und stellte mir sogar einen offiziellen Beleg aus und meinte, jetzt sollte es mit der Zugbindung keine Probleme geben und falls doch, dann bekäme sein Kollege Probleme mit ihm. Ich war mir sicher, dass das auch ohne Beleg keine Probleme geben würde, da die Schaffner in der Regel Bescheid wissen und ich daher sowas noch nie benötigt hatte. Und dennoch war ich so unendlich dankbar… so glücklich.

Kurz vor Mannheim meldete sich der Schaffner via Funk und teilte auch den anderen Fahrgästen mit, wie man nach Hamburg kommt. Ich lächelte. Da war jemand, der seinen Job mit Leidenschaft macht und das an Heiligabend!

Dank Observer und ihm sitze ich nun im ICE und durch all die ungeplanten Umstände komme ich nun sogar fast zwei Stunden früher an als mit dem EC. Und ich habe, da ich bei meiner Buchung vor über einem Monat noch Glück hatte, nur 23,90 € gezahlt. Allerdings war das auch die einzige günstige Verbindung. Hätte ich noch früher gebucht, so hätte ich auf jeden Fall noch mehr Auswahl gehabt… und gleich den ICE genommen. Aber tja, that’s Deutsche Bahn! Man weiß eben vorher nie, was einen erwartet und es muss nicht immer schlechter enden als geplant… : )

Posted by Journey

Kategorie: Allgemein

Autor: Journey

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