In Kürze beobachtete ich an allen meinen Bekannten dieselbe Erscheinung – das Ergebnis des Umstandes, daß jeder eine Person, eine klare Figur vorzustellen genötigt wird, während doch keiner sein eigenstes Wesen kennt.
[Hermann Hesse – Peter Camenzind]
Und ich kenne das auch.
Ich kenne das Gefühl nur zu gut, „mehrere“ zu sein. Nicht geteilt in grundverschiedene Persönlichkeiten, wie es z.B. nach diversen Traumata der Fall ist. Nein, meine Persönlichkeit bleibt dieselbe. (Denke ich zumindest…) Nur etwas anderes in mir verändert sich, versucht alles zu hinterfragen und „beide Seiten zu sehen“, bis die gewaltige Masse an Möglichkeiten mein verwirrtes und zerschlissenes Selbst erdrückt und ich mich mehr denn je frage, wer ich denn nun eigentlich bin, wo meine Prinzipien liegen und warum ich sie eigentlich breche, als gäbe es keine und als wäre alles möglich und erwünscht und keineswegs seltsam.
Und immerzu hallt in der einsamen und doch von Charakterzügen überfüllten Stille dieselbe Antwort wider:
alles und nichts!
Ich bin alles und nichts, gut und böse, ehrlich und verlogen, schadenfroh und mitleidend, arrogant und schuldbewusst…ständig hin- und hergerissen zwischen Traum und Wirklichkeit und außer Stande, ein klares Bild von mir zu skizzieren.
Natürlich ist all dies ebenso wie dieser Text hier mal wieder subjektiv und nur von mir so empfunden. Andere könnten das vielleicht objektiv beurteilen, aber sie sehen nur, was ich zeige, nie was ich bin.
Dies ist bei allen Menschen so, denen ich begegne. Je länger ich die Menschen kenne, desto festgefahrener ist ihr Bild von mir und desto schwieriger ist es, sie andere Seiten an mir sehen und erkennen zu lassen.
Was mir daher gut tut, ist das Ausbrechen aus meinem Leben. Das Neue in Form von einer anderen Situation mit neuen Menschen, die mich nicht, nur gering, oder nur eine meiner vielen Seiten kennen.
Das tut gut. Unendlich gut unter Menschen zu sein, die mich mit ersten Blicken betrachten, deren Augen noch nicht von dem verseucht sind, was gestern und vorgestern war. Diese Personen sehen mich im jetzt, ebenfalls nie vollständig, aber neu.
Früher war es zudem ein wunderbares Spiel für mich, in die Kneipen zu gehen und mit meiner Art zu überraschen, da mein Innen nie zum Außen gepasst hatte und das auch heute nicht tut. Ich fand es grandios und habe die ersten Blicke in meine Richtung, die Vorurteile durch meine Art versucht zu widerlegen oder absolut zu bestätigen und mich wie meine damalige große Liebe, mein Vorbild der inneren Zerrüttung Jo, verhalten.
Heute praktiziere ich das zwar nicht mehr in Kneipen, bin aber dafür im täglichen Leben unterwegs und nach wie vor begeistert von Menschenschicksalen.
Bei Fremden kann man sich holen, was Bekannte an einem nicht mehr sehen können. Man bekommt die Chance, einen „guten ersten Eindruck“ zu hinterlassen, neue Rollen auszuprobieren, ganz beflügelt von einem Mut, der vertrauen entstehen lässt gerade zu solchen Menschen, die einen absolut nicht kennen. Man traut sich hier eher mal Dinge zu sagen, die man selbst den besten Freunden nicht so sagen kann. Weil das nicht ins Bild dessen passt, was man darstellen will. Und weil man vielleicht keine ehrliche Antwort erhält? Das ha nichts mit Verlogenheit zu tun. Man will nur nicht verletzen…
Vielleicht irre ich mich auch und keiner meiner Leser sieht das so wie ich mit den vielen verschiedenen Seiten an sich selbst. Vielleicht sind manche in der glücklichen Position zu wissen wer sie sind, ohne festgefahren zu sein und dabei noch in der Lage, selbst bei den besten Freunden so sein zu können, wie sie sind.
Ich bin auch wie ich bin. Nur ist das eben nicht immer so gefestigt, wie es aussieht. Würde man meine Freunde zum Beispiel alle auf eine „Überraschungsparty“ einladen, so kämen erstens fast nur Männer und zweitens gäbe es nur Stress…sie alle hätten nämlich als einzige gemeinsame Basis… mich. Und ich würde total zusammenklappen, weil jeder dieser Menschen einen Teil von mir kennt, den der andere bisher noch nicht so sehr wahrgenommen hat. Und was wäre, wenn ich mit meinem Schulkameraden total abgehen würde mit Sprüchen wie „Ey aldaaa, halt de Gosch!“ „Die MUDDA!“ und das neben Leuten, die meine vernünftige, intelligente und belesene Seite schätzen? Das geht gar nicht! Ich bin nun mal wandelbar. Seeeehr wandelbar. Und dennoch immer „ich“. Bloß kommt dieses Ich nicht mit solchen Situationen zurecht, in denen mindestens zwei meiner Welten aufeinanderprallen.
Zum ersten Mal habe ich das gemerkt, als ich meine Eltern zu meiner Abschlussfeier mitnehmen sollte. Undenkbar! Auf der Hauptschule war ich bei den Lehrern sehr geschätzt und eben jenes belesene und hilfsbereite intelligente Mädchen, das die Schülerzeitung gerettet hat. Meine Eltern kannten mich zwar schon länger, aber der Gedanke, mein garstiges biestiges Kinder-Selbst mit der Schulstreberin zu kombinieren raubte mir den Verstand. Ich wollte damals mit Menschen hin, die mich wirklich kannten und hielt meine Eltern nicht dafür geeignet…Und so ging ich alleine hin.
Selbst heute noch verreise ich gerne alleine und verbringe Zeit mit mir selbst. Ich bin auch nicht der „Beziehungstyp“ und froh darüber, dass Mr. Chocolate auch so ist. Zwar habe ich ab und an ein schlechtes Gewissen, wenn ich alleine verreise. Aber ihm steht das ebenso frei. Wir sind eben beide Einzelgänger. Und das mag ich, denn kein fremder Aktionismus hält mich somit von meinen Zielen ab. Angst habe ich nur davor, wenn ich eines Tages jemand anderes sein sollte als diejenige, in die er sich damals verliebt hat. Ich habe schon jetzt das Gefühl eine andere zu sein…in diesen drei Jahren ist aber auch viel passiert…sehr viel…
Und ich irre weiterhin umher…
In den ersten 11 Zeilen erkenne ich mich ein wenig wieder. Ich bin auch sehr oft zwischen zwei Seiten hin und her gerissen. Habe meine Prinzipien, die ich dann aber wohl doch manchmal nicht so ernst nehme oder hinterfragen muss.
Das Foto ist unglaublich toll! Selbstgemacht?
Darf ich dich etwas persönliches fragen? (Gerne per Mail!?)
Hallo Kazi,
Ja das Foto ist von mir. Danke, dass du das so siehst! Ich bin da immer so skeptisch…perfektionistisch. Einerseits weiß ich, dass es gut ist, andererseits ist nie etwas gut genug…das ist auch ein ziemlicher Zwiespalt in mir…es ist gut nach dem besten zu streben, aber schlecht, wenn man nie stolz auf sein Werk sein kann…
Und du darfst mich gerne alles fragen. ; *
Interessanter Text.
Auch ich bin nicht bei allen Menschen gleich. Bei dem einen mache ich Witze, die ich mir bei anderen nicht erlaube, den einen drücke ich doll zur Begrüßung, dem nächsten gebe ich bewusst nur die Hand, mit verschiedenen Leuten rede ich verschieden und über verschiedene Dinge.
Und wenn die dann alle zusammenkommen, gibt es schon komische Situationen 🙂
> … und mit meiner Art zu überraschen …
Tja, so habe ich das wohl noch nie gemacht. Bei neuen Menschen ist es eher ein gegenseitiges „Abtasten“, was so geht und was nicht. Und dann finde ich diese oder jene Eigenschaft am anderen, mit der ich auf eine bestimmte Art harmoniere, die mir etwas gibt, während es andere Dinge gibt, die mit demjenigen gar nicht gehen.
Will sagen: meine Andersartigkeit verschiedenen Menschen gegenüber wächst nicht nur auf meinem Mist. Ich will nicht ausschließen, dass mein Gegenüber meine Art, mich zu geben, oft mehr beeinflusst als ich selbst. Hat vielleicht zu tun mit dominanten Personen und weniger dominanten.
> … da mein Innen nie zum Außen gepasst hatte und das auch heute nicht tut.
Aha. Wie muss man sich das denn vorstellen?