Ich arbeite, also bin ich

Eines der ersten Dinge, die Menschen interessieren, wenn sie anderen Menschen begegnen, ist die Frage nach der Arbeit.

„Und was machst du so im Leben?“ (Machst du auch was „Sinnvolles“?)

Wir verbinden automatisch die Persönlichkeit eines Menschen mit seinem Job und seiner Art, die begrenzte Zeit auf dieser Welt zu verbringen. So kommt es, dass die Arbeit einem Menschen eine gewisse gesellschaftliche „Akzeptanz“ in dieser Leistungsgesellschaft verschafft. Akademiker bewundern wir, bei Müllmännern und Putzfrauen rümpfen wir die Nase („Was, du schaffst es nicht, mehr aus deinem Leben zu machen?“)

Wer arbeitet kommt klar, macht keine Schwierigkeiten, leistet etwas, lebt nicht sinnlos auf Kosten anderer vor sich hin. Problematisch ist es daher, wenn man keinen Job hat, ob man sich dies nun ausgesucht hat oder nicht. Unvorstellbar erscheinen die Gründe dafür und so begegnet man diesen Menschen oft mit sehr vielen Vorurteilen, bevor man ihnen überhaupt die Chance gibt sich als Mensch vorzustellen.
Man schreibt ihnen zum Beispiel Eigenschaften zu wie faul, unreif (nicht erwachsen), undiszipliniert, unangepasst, zu wählerisch (weil überqualifiziert), zu unqualifiziert/dumm/ungeschickt,… Sie gelten zudem als Schmarotzer und werden angefeindet, weil sie vom Staat oft mehr bekommen als jemand, der täglich seine 8h abarbeitet. Außerdem seien sie ja alle psychisch nicht ganz dicht bzw. seltsam, selbst schuld, Alkoholiker und bestimmt auch drogenabhängig, denn sonst würden sie ja etwas „auf die Reihe bekommen“, was in erster Linie gleichgesetzt wird mit: Arbeiten gehen.
Wenn wir es genau nehmen, entziehen wir diesen Menschen dadurch jedoch ihren Lebenswert, mit dem sie – so vermute ich – ohnehin bereits selbst zu kämpfen haben. Und wie sollte man, wo eh schon alles egal ist, dann diese Welt noch nüchtern erleben wollen?

Doch warum ist das so? Warum beurteilen wir einen anderen Menschen aufgrund seines Lebenslaufs und gehen ehrfurchtsvoll in die Knie, wenn wir sehen, dass er Abitur und an X Unis (am besten auch im Ausland) studiert hat und was er noch so alles geleistet hat? Warum stempeln wir lückenhafte oder leere Lebensläufe so dermaßen ab, anstatt einmal zu hinterfragen, warum die Person bisher nicht gearbeitet hat und auch jetzt nicht arbeiten geht oder arbeiten gehen kann? Warum definieren wir uns eigentlich hauptsächlich durch Leistung und setzen dies gleich mit Arbeit? Wo wird denn die Hausfrau und Mutter gewürdigt? Wo werden all die wirklich psychisch vorbelasteten Menschen gewürdigt, die sich durch den Arbeitsalltag durchschlagen (und nicht selten daran zerbrechen)? Wo werden die Denker und Philosophen gewürdigt, wenn sie keiner kennt?
Was ist eigentlich „systemrelevant“? Und wenn wir mal wirklich ehrlich zu uns selbst sind…: Ist unser Beruf, den wir ausüben, denn systemrelevant? Ich wurde das neulich in einem Interview zur Studie zur Lebensqualität und sozialen Sicherung gefragt und habe festgestellt: Meiner ist es nicht. Er ist zur Zeit relevant, gewiss. Aber Bilder zu machen für die Werbung und Photoshopfakes zu zaubern ist nichts, was die Welt wirklich braucht. Einen Banker, dessen Fokus darauf liegt noch mehr Geld zu generieren, braucht auch keiner. Und dennoch ist er mit seinem Porsche angesehener als jemand, der bescheiden lebt (egal wie glücklich er oder sie damit ist) und um einiges mehr angesehen als jemand, der nur existiert und keinen Job hat.

Und wieder einmal frage ich mich: Warum?

 

An dieser Stelle möchte ich auch auf meinen Artikel zum Grundeinkommen verweisen. Denn wieder einmal mehr denke ich, dass sich durch ein Grundeinkommen sehr vieles auflösen würde…
Ich bin der Meinung: Wenn ein Mensch sich nur durch Leistung definiert, dessen Relevanz wiederum gesellschaftlich irgendwie festgelegt wurde, kann er nur zerbrechen, wenn er seinen Job verliert.

Posted by Journey

Kategorie: Allgemein

Autor: Journey

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