„Das Leben ist scheiße..“ sagt Mou. Mou ist ein junger Mann arabischer Herkunft, der mich an der Friedhofsbushaltestelle bei strömendem Regen aufgegabelt hat. Er stand da einfach mit seinem kleinen roten Auto und hat sich erst nicht getraut, mich anzusprechen. Allerdings hat er immer wieder mal zu mir rübergelinst und mir irgendwann ein Zeichen gegeben, die Fensterscheiben runtergelassen und gefragt, wo ich denn hinwolle. Und obwohl er selbst gerade aus S. kam und in V. gewohnt hat, fuhr er mich dann tatsächlich von V. nach S. bis nach Hause. Klar hätte ich den Bus nehmen können. Klar war er ein Fremder und er war glaube ich ebenso überrascht, dass ich einstieg wie ich. Aber mir war irgendwie danach, mich mit jemandem zu unterhalten, mit dem ich ansonten vermutlich nicht ins Gespräch gekommen wäre. Zufälligerweise arbeitete er bei einer Firma, für die wir fotografieren. Ansonsten redeten wir Smalltalk. Ein bisschen über unser Alter, unsere Herkunft. Ich meinte, ich schreibe Bücher, lese gerne… Was er so in seiner Freizeit machte, wusste er mir irgendwie nicht zu sagen. Aber das war auch nicht so wichtig.
„Das Leben ist scheiße..“ sagt Mou.
„Ach, nicht immer..“ sage ich.
Wir schweigen. Und ich denke nach. Sehe ich das wirklich so oder versuche ich nur mit einer positiven Sicht die negative auzugleichen? Wie sehe ich das Leben eigentlich wirklich? Sehe ich es im Grunde genommen sehr oft nicht auch so scheiße? Teils teils…
Als ich gestern wie jedes Jahr am 10.09. vor Dieters Grabstätte an der Urnenwand stand, in strömendem Regen mit seinem Lieblingstrack „Locomotive Breath“ von Jethro Tull im Ohr und ihm mit meinem alkoholfreien Getränk zuprostete, fragte ich mich mal wieder, wie er die Welt heute sehen würde, wenn er noch leben würde.
Ich habe das Gefühl, dass alles schwieriger geworden ist. Komplizierter. Beängstigender. Unsicherer. Und dass es davon kein zurück mehr gibt. Dass im Gegenteil immer mehr dazu kommt, das mein Hirn verarbeiten muss. Manchmal reicht schon eine kleine Frage, die mich aus dem Gleichgewicht wirft, weil sie mich dazu bringt, mich mit einem Thema auseinanderzusetzen, wofür ich gerade keinen Kopf habe(n will). Dann möchte ich am liebsten weglaufen vor diesem „zu viel“, das auch dafür sorgt, dass ich Menschen nicht mehr so zeitig antworten kann. Dass mich Kontakte so viel Kraft kosten. Dass ich mich deshalb in allem so stark reduziere.
„Okay, du hast recht. Manchmal ist das Leben echt scheiße…alles ist irgendwie schwieriger geworden…“ ergänze ich an Mou gewandt.
Und ich merke wieder einmal, wie nicht nur ich an diesem Limit kratze… dass viele andere dieses Gefühl teilen.
Immerhin… dass ich in Mous Auto gestiegen bin, zeigt mir, dass ich immer noch ein offener Mensch bin, was mir das kurze Gespräch auch bestätigt hat. Das Vertrauen, das ich ihm entgegengebracht habe, wusste er denke ich ebenso zu schätzen. Es ist nicht selbstversständlich. Es ist heutzutage sogar eher unüblich, was echt traurig ist.
Fragt sich nur, ob am Ende geteiltes Leid wirklich halbes Leid ist…und wie wir aus diesem Leid wieder herausfinden…