Vom Selbstwert, Selbstmitgefühl und Minus-Kalkulationen

Seit einiger Zeit beschäftige ich mich ja intensiv mit dem, was mir oftmals im Weg steht: Mit mir selbst und vor allem auch mit meinem Selbstwert. Dazu lese ich Bücher, rede viel mit Observer, denke über dies und das und vor allem über meine Kindheit nach… schreibe das ein oder andere eher nachdenkliche….

„Ein hohes Selbstwertgefühl, so wissen wir nämlich heute, geht einher mit einer geringen Fähigkeit, berechtigte Kritik anzunehmen, und dem Risiko, ein selbstbezogener Narzisst zu werden, dem es nur um das eigene Glück geht. Vor allem aber ist das Selbstwertgefühl nur ein »Schönwettergefühl«: Wenn es einem gut geht, wenn die Dinge gut laufen, wenn man erfolgreich ist oder viele Begabungen hat, dann kann man es sich erlauben, auf das Selbstwertgefühl zu setzen. Doch spätestens wenn nicht mehr alles rundläuft, dann zahlt man einen verdammt hohen Preis. Dann geht es einem plötzlich mies, weil der Selbstwert vom Erfolg und vom Übertreffen anderer abhängig ist. Wer sein ganzes Leben lang an seinem hohen Selbstwert gebastelt hat und dann arbeitslos oder berentet wird, Falten bekommt, krank wird und nicht mehr so viel leisten kann, der erleidet einen deutlichen Selbstwertverlust und wird möglicherweise depressiv und unglücklich. Nach allem, was wir heute wissen, ist es daher gar nicht wünschenswert, ein möglichst hohes Selbstwertgefühl zu haben, sondern viel sinnvoller und gesünder ist es, Mitgefühl mit sich selbst aufbringen zu können.“
[aus: Andreas Knuf: Sei nicht so hart zu dir selbst – Selbstmitgefühl in guten wie in schlechten Zeiten S.17-18]

Die letzten Jahre habe ich, wie mir auffällt, echt viel erreicht. Sehr viel, auf das ich stolz sein könnte. Ich bin ein positiverer Mensch geworden, in vielem gelassener, habe mich besser kennen gelernt … aber ich habe auch sehr gut kompensiert, was mein Kopf eigentlich von mir denkt. Ja, ich habe Erfolg auf der Arbeit (ich bin dort quasi unentbehrlich), habe meist die Dinge voll gut im Griff, habe sogar ein Buch zu Ende geschrieben und sogar selbst gesetzt, die Leitung der Literaturwerkstatt übernommen, war zweimal in der Zeitung, hatte eine Lesung, habe immer wieder mal Zuspruch von außen bekommen, gelernt mich bei Misserfolgen nicht selbst auszupeitschen,… das sind die Fakten… aber im Grunde genommen ist sie nach wie vor da, meine innere Kritikerin und Mobberin Madame S. (wer es noch nicht weiß, das S. steht für Selbstzerstörung…).
Dass mein Außen mich bestätigt und mein tolles Leben lobt, das ich mir aufgebaut habe und so erfolgreich scheint, ändert nämlich nicht wirklich etwas an meinem Innenleben, das nach wie vor auf mein Scheitern wartet und die Dinge auch gerne mal so hinbiegt, dass etwas Negatives oder eben nichts dabei heraus kommt (wie so oft beim Schreiben…).

Ich habe sie im Grunde genommen recht gut unterdrückt, diese miesen Gedanken über meine Person. Aber um sie auf diese Weise komplett zum Verschwinden zu bringen, ist all das dann doch etwas zu lange in mir und die Bestätigung im Außen zu unsicher. Klar, die Depressionen sind nicht mehr Teil meines Alltags und ich bin um einiges mutiger geworden, klüger, cooler, selbstbewusster, weiß mit so vielem besser umzugehen und bin sogar die meiste Zeit glücklich… aber im Grunde genommen ist mein negatives Selbstbild etwas, das mich von klein auf begleitet und sich nach wie vor durch jeden Bereich zieht.

Ein Beispiel:
Eine der ganz großen Herausforderungen in meinem Leben ist jene, für meine Leistung Geld zu verlangen. Ich mag es überhaupt nicht mir darüber Gedanken zu machen und gerate immer wieder in Stress, wenn ich jemandem einen Gefallen tue und z.B. etwas retuschiere oder wie neulich ein Buchcover gestalte. Ich hänge mich da nämlich auch ohne die Vorstellung von Gegenleistung total rein. Irgendwann fragt mich die Person dann, was ich dafür haben möchte und dann gerate ich in Panik. In mir sind dann zwei gegensätzliche Meinungen: Die mächtigere will das gar nicht und auch niemand sein, der irgendetwas verlangt. („Du solltest nichts verdienen! Für das bisschen Retusche was zu erwarten, also bitte. Andere machen das besser. Aber du hast einfach mal irgendwie irgendwas gemacht. Das hat keinen Wert.“) Ich muss zugeben, es dann etwas zu bereuen, dass ich mich darauf eingelassen habe, auch wenn es mir total Spaß gemacht hat, mich da so reinzuhängen. (Überzeugt bin ich dennoch nicht von mir. „Du könntest 10 Stunden an dem Bild verbringen, besser würde es auch nicht werden…“) Der andere Teil in mir hingegen freut sich über jede Form von Dankbarkeit und Wertschätzung, die vor allem ich nicht vorschlagen muss. („Wow, aber verdient hast du es trotzdem nicht.“)
Diese Geld-gegen-Leistung-Problematik hatte ich schon immer und vor allem in meiner Ausbildung hatte ich dadurch immense Probleme mit hypothetischen Kalkulationsaufgaben und der Vorstellung, Geld zu verdienen. Ich habe tatsächlich vor Lehrern argumentiert, dass ich als selbstständige Fotografin keinen Gewinn machen möchte und daher meine Kalkulation demnach so bescheiden passt. (zum Glück bin ich nicht selbstständig…)
Als ich meinem Chef MR von der Sache mit dem Buchcover erzählt habe, meinte er, ich solle mir mal darüber Gedanken machen, woran das liegen könnte, dass ich mich so unter Wert verkaufe. Naja, ich denke, ich weiß es…: Ich habe absolut keine Vorstellung vom Wert meiner Leistung und wehre mich auch vehement dagegen eine zu haben. In meiner Vorstellung will darf(?) ich weder etwas erwarten noch verlangen. Vielleicht will ich auch einfach klein bleiben, weil ich mich auch so fühle?

Aber woher kommt das alles eigentlich?

Von Selbstzweifeln und dem sogenannten inneren Kritiker (in meinem Fall Madame S.) sind vor allem jene Menschen betroffen, deren Kindheit und Jugend eben von viel Kritik geprägt ist (von Eltern/Familienmitgliedern, Klassenkameraden, Lehrern,…).
Im Grunde gehe ich heute zwar im großen und ganzen besser mit mir um, aber oft auch wieder nicht… Sonst würde ich ja nicht so krass reagieren in jenen Situationen, in denen mir einfach jemand etwas zurückgeben möchte für die Lebenszeit, die ich ihm und seiner Aufgabe widme…

Mal sehen, ob mich das Buch bei all meinen Fragen weiterbringt… Ich versuche es jedenfalls mal mit der Frage, wie ich denn jetzt mehr Selbstmitgefühl erlangen kann. An die Vergangenheit und vor allem meine Kindheit kann ich mich ja leider kaum erinnern… daher ist das mit dem „Akzeptieren und hinter mir lassen“ nicht ganz so einfach.

Posted by Journey

Kategorie: Allgemein

Autor: Journey

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1 Kommentar        

Hi du!Du bist wertvoll und liebenswert. Leistungsunabhäng. Dein Wert ist NICHT kalkulierbar. Ein anderer hätt´s anders gemacht, du so ,und siehe es war gut.Vielleicht hilft´s Dir dir klarzumachen, dass du deinem Gegenüber mit der Nennung einer Gegenleistung die möglichkeit schaffst entscheiden zu können.Ob Ihm das das Wert ist oder nicht. Anderenfalls, bei einfach machen, erzeugst Du bei deinem Gegenüber das Gefühl einer „Bringschuld“.Dein Gegenüber kann emotional nie so richtig einen Strich unter das Projekt machen. Unser Gegenleistungsprinzip ist nunmal Geld. Also gib deinem Gegenüber die Möglichkeit diese Gegenleistung zu erbringen. Oder schenk`s. Dann aber auch ganz klar kommuniziert. Das schafft auch viel Klarheit in den Beziehungsdickichten welche sowieso schon verworren genug sind.Dein Gegenüber bezahlt nach seinem Gefühl. Woher soll er, der ja nicht in der Materie ist, ein angemessenes Salär bezahlen?Diese Entscheidung bürgst Du ihm auf.Nochmal: Du bist nicht bezahlbar. Auch nicht kalkulierbar  :-). Aber Berechenbarkeit macht den Umgang miteinander einfacher. -> Bernd…Deinen Stundensatz festzulegen, diesen Selbstbewusst zu nennen und dazu zu stehen macht alles für alle einfacher. Und dein Selbstwertgefühl kriegt immer was mit.Prüf mal ob du unterbewusst UNTERBEWUSST doch immer irgendwie irgenwas von deinem Gegenüber erwartest. Durch diese Unterbewusste Grauzone ist es deinem Gegenüber quasi gar nicht möglich deine Erwartung zu erfüllen, zurück bleibt ein schales Gefühl…Menschen honorieren gern eine gute Arbeit. Aus Respekt und um Ihre Dankbarkeit und Anerkennung zu zeigen. Nicht weil Sie`s müssen. Weil Sie`s wollen.Lass Sie das doch tun. Dein Martin  

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