Logbuch #51

Es sollte nicht schlimm sein, wenn man sich herausnimmt, die Zeit für sich zu brauchen, nicht zu antworten, manchmal auch einfach zu gehen und eine Situation zu verlassen… Und eigentlich sollte ich mich deshalb nicht schlecht fühlen. Warum passiert es dennoch immer wieder? Woher kommt dieses schlechte Gewissen? Dieses ständige Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen?

Ich weiß es nicht… aber es kommt bei mir oft vor, dass allein der Gedanke, jemanden mit meinem großen Bedürfnis nach Abstand wehtun zu können, in mir einen Gewissenskonflikt auslöst, der aber vermutlich mir mehr wehtut und schadet als die scheinbare Abweisung, die ich meinem Gegenüber entgegenbringe.
Daher würde ich mir auch wie ein gefühlskalter Egoist vorkommen wenn ich sagen würde: „Du sorry, ich will jetzt lieber meine Ruhe.“
Sowas sage ich sehr selten bis nie, weil ich auch nicht möchte, dass die Person das auf sich persönlich bezieht und gekränkt fühlt. Doch das passiert leider immer wieder mal…

Mir fällt es ja nicht so leicht Zuneigung zu zeigen und gleichzeitig will ich ein ehrlicher Mensch sein und der Gedanke jemandem was vorzuspielen, auch wenn es für ihn manchmal schöner zu hören wäre, widerstrebt mir zutiefst.
Was allerdings wohl weniger ehrlich (zu mir selbst) ist, ist das Schweigen und Ignorieren meines Bedürfnisses nach Ruhe. Aber ich erkenne das eben selten in dem Moment (gestehe es mir vielleicht auch nicht ein?), sondern erst, wenn ich total erschöpft bin und es eigentlich schon zu spät ist.

Und jetzt, wo ich wieder daran denke, dass alles irgendwann „nach Corona“ wieder relativ normal sein wird, bekomme ich nun doch immer mehr Angst davor, mich wieder an ein „stressigeres“ Leben anpassen zu müssen…
Aktuell sieht es so aus: Wenn es  nach mir ginge, würde ich vermutlich noch sehr lange am liebsten hier in meiner Wohnung bleiben und nur dann rausgehen, wenn ich bereit dafür bin. Aber ja… so funktioniert das Leben nun mal nicht.

Es ist nur so, dass ich in den vergangenen Wochen und der coronabedingten Ruhe wirklich so sehr mein Leben lieben gelernt habe. Nicht dass ich es vorher gehasst hätte bzw. unglücklich war, aber es war retrospektiv betrachtet doch von mehr Stress geprägt als ich es auf Dauer vertragen kann und eigentlich auch will.

Der Stress, den ich meine, ist aber kein typischer zwischen Freizeit und Arbeit, denn Überstunden mache ich ja nun wirklich nicht mehr so viel. Es ist vielmehr ein „zwischenmenschlicher Stress“. Selbst wenn ich nicht viel erreicht habe an so einem von „Kommunikation“ geprägten Tag (gemessen an dem, wofür ich bezahlt werde: Bilder beabeiten), so fühle ich mich am Abend kaputter denn je durch die ganzen Interaktionen mit meinem Chef und anderen (Azubi, Kundenanrufe/-mails/-besuche, seine Familie, manchmal reicht allein schon der klingelnde Postbote,…).

Damit will ich jetzt nicht anderen die Schuld geben an meinen Schwierigkeiten! Aber es ist ein mittlerweile ein unabstreitbarer Fakt, dass mir zwischenmenschlicher Kontakt nicht unbedingt immer gut tut.

Heute war mir zum Beispiel irgendwann alles zu viel, da ich nicht wirklich gearbeitet habe, aber ständig am Telefon mit meinem Chef war (etwa 6h?!). Ich kann nachvollziehen, dass viel von den Besprechungen und gemeinsamen Beschlüssen und allgemein das Miteinander zwar wichtig waren und es hat mir auch Spaß gemacht, aber irgendwie war mir persönlich das am Ende dann doch einfach viel zu viel. Ich habe auch erst eine Stunde vor Feierabend explizit gesagt, dass ich total um bin und jetzt mal meine Ruhe brauche…

Morgen werde ich das aber auf jeden Fall noch mal ansprechen und auch noch persönlich, da ich zum ersten Mal wieder auf der Arbeit sein werde an einem normalen Tag (für einen Tag). Und ich will ihm da keineswegs irgendwelche Vorwürfe machen oder Erwartungen hegen, es aber auch nicht unkommentiert lassen.

Mir ist es zum einen echt wichtig, nochmal zu verdeutlichen, dass ich einfach ganz anders bin als er, was das Maß an Kommunikation mit meinen Mitmenschen angeht. Nicht besser aber auch nicht schlechter! Er kann z.B. sehr gut den ganzen Tag reden und telefonieren und das auch noch während dem Arbeiten. Und er braucht das auch wie die Luft zum Atmen. Ich hingegen arbeite eben am effektivsten alleine und mit einer konkreten Aufgabe ohne Ablenkung. Je weniger Reize aus der Umwelt auf mich einfließen, desto entspannter verläuft mein Tag und desto weniger kaputt fühle ich mich am Abend.

Ebenso wichtig ist es mir aber auch zu sagen, dass ich sehe, wie sehr er sich bemüht mir entgegenzukommen und es mir so schön wie möglich auf der Arbeit zu machen. Und dafür und für so vieles andere auch schätze ich ihn als Chef, Mensch und verdammt guten Freund, so wie er mich schätzt und respektiert! Und ich möchte keinesfalls, dass er das persönlich nimmt und sich schlecht fühlt oder alleine verantwortlich dafür, dass meine Grenze erreicht ist.

Bisher habe ich ja meinen Job vor Ort geliebt und ich habe auch funktioniert unter normalen Bedingungen. Ich möchte aber einfach nicht mehr so kaputt am Abend sein, mich ebenso wenig fanatisch in die Arbeit steigern und auch lernen, früher meine Grenzen zu erkennen, von denen ich weiß, dass auch ich sie selbst immer und immer wieder teils unbewusst und automatisch überschreite.

Posted by Journey

Kategorie: Logbuch

Autor: Journey

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