Ich habe in meinem 30-jährigen Leben ja bisher schon so einiges überwunden und bewältigt. Aber eine Sache verfolgt mich bis heute mehr als mir lieb ist: Sport!
„Du musst was tun!“ höre ich immer wieder von Ärzten, Therapeuten, Freunden und natürlich meiner Mutter. Für sie alle scheint das kein Problem zu sein und nur eine Sache des „inneren Schweinehunds“, den man halt mal überwinden müsse. Manche berichten mir auch, wie toll es sei und dass mir das bestimmt auch gut tun würde. Ich weiß dann gar nicht, was ich sagen soll. Einerseits will ich nicht so klingen, als würde ich nur Ausreden suchen. Und andererseits bin ich auch echt überfragt und weiß nicht, wie ich das schreckliche Gefühl in Worte fassen soll, das ich empfinde, wenn mich die Realität einholt. Und die sagt mir jedes Mal: „Du bist nun mal anders. Schwach. Zerbrechlich. Das war schon immer so. Und daran wird sich auch nicht viel ändern…“
Aber ich muss wohl mal von vorne beginnen, warum Sport in mir keine Glückshormone auslöst (wie es der Fall sein sollte) sondern mich immer wieder in Depressionen stürzt, egal wie sehr ich es auch mit was Neuem versuche und neutral an die Sache rangehen will.
Begonnen hat das alles in der Grundschule. Da war ich im Sportunterricht so schlecht, dass ich irgendwann befreit wurde und keine Noten mehr bekommen habe. Leider musste ich dennoch anwesend sein… Und ich war immer die schwächste, die schlechteste, die langsamste, wurde als letzte gewählt, habe einfach Stunde um Stunde signalisiert bekommen, dass ich nichts bin und es im Grunde keinen Unterschied macht ob ich mich anstrenge oder nicht. Das zog sich dann durch die weiterführende Realschule, wo nur einer schlechter war als ich: ein kleiner dicker Junge, der den Kasten im Sportunterricht umgerannt hat. Immerhin, denn ich kam nicht mal über den niedrigsten und hätte mir beim Versuch einen mittelhohen zu überspringen vermutlich den Arm gebrochen. Denn ich war ja so zerbrechlich…
Und obwohl ich auch da im Sportunterricht keine Noten bekommen habe, flog ich irgendwann von der Schule. Vielleicht war es im Nachhinein nicht nur das Mobbing, das mich davon abhielt das Bett zu verlassen und gesund zu werden, sondern auch die Torturen, die ich jedes Mal im Sportunterricht mitmachen musste.
Auf der Hauptschule ließ ich das dann mit der Notenbefreiung. Da war dann eh alles egal. Und ich verkraftete das etwas besser, weil ich woanders Selbstbewusstsein sammeln konnte und gute Wege fand mich zu drücken. Dennoch gab ich mir einmal sogar echt Mühe an Ausdauer zu gewinnen und joggte eine Weile privat. Nur um dann immer noch die letzte zu sein. Aber die Lehrerin sah immerhin meine Bemühungen und gab mir eine drei.
Und wie war es dann auf dem Gymnasium? Da stieg die Anforderung für mich ins Unermessliche. Meine Depressionen im Allgemeinen wurden schlimmer und ich konnte teilweise einfach nicht mehr das Bett verlassen und mich Situationen stellen, die mich in meinem Versagen bestätigt haben. Wegen meinen Fehlzeiten (besonders im Sportunterricht) wurde ich dann auch für zwei Wochen suspendiert.
Ich wohnte sogar gegenüber der Schule. Kam mittags in meine Wohnung. Legte mich hin, zog mir die Decke über den Kopf und ich weiß auch nicht, was ich da dachte… dass es keiner bemerkt, wenn ich nicht am Nachmittag in Sport bin? Meinen Klassenkameradinnen und Lehrern habe ich jedenfalls nicht die Tür geöffnet, als sie geklingelt haben…
Man könnte jetzt sagen: „Hey, das ist echt Jahre her! Und das war Sportunterricht! Das ist was anderes…!“
Es wäre schön, wenn es wirklich so wäre… Aber auch wenn ich heute nicht mehr benotet werde und mir keine Lehrerin sagt, dass meine Leistung nicht mal zwei Punkte wert ist (sie mir aber jetzt mal fünf gibt, damit ich nicht ganz so mies dastehe)… ich werde auch heute noch immer wieder darin bestätigt, dass ich ein Wrack bin, egal wie neutral ich an etwas Neues rangehe. Ob es nun eine Fitnessgruppe mit überwiegendem Rehaanteil ist, wo jede ältere Dame mit Hüftleiden agiler ist als ich. Oder Yoga. Oder oder oder…
Und ich lege mich ja mittlerweile wirklich ungern fest, aber vielleicht sollte ich mich endlich damit abfinden, dass das meiste, das mit Sport zu tun hat, einfach nichts für mich ist. Besonders jene Dinge, bei denen sich meine Psyche vergleicht und im Negativen bestätigt wird.
Ich könnte jetzt natürlich Zeit und Nerven investieren und leiden… oder es einfach sein lassen. Denn ehrlich gesagt ist es mir wichtiger, dass es mir psychisch gut geht als irgendein „Sport-Soll“ zu erfüllen.
Und weil das alles jetzt insgesamt doch etwas trostlos klingt und es das aber nicht zu 100% ist:
Es gibt genau zwei Sachen im sportlichen Kontext, von denen ich denke, dass ich darin nicht so mies bin: 1. beim Fußball den richtigen Leuten im Weg stehen und das mit vollem Körpereinsatz von 45 kg. 2. schwimmen.
Da ersteres ein Mannschaftssport ist, bleibt nur schwimmen. Das hab ich mir jetzt auch mal vorgenommen für „nach Corona“. Und die doofen Übungen machen, die mir mein Physiotherapeut mal vor Jahren gezeigt hat… Und das muss reichen!
Das ist ein Problem mit der menschlichen Psyche, man sieht alles als Wettkampf.
In der Schule im Sport: weiter, höher, schneller…..und das obwohl gerade da die Körper sich total anders entwickeln, früh pubertierende vs spät pubertierende ….
Im Fitnesscenter: Da steckst du auch nach dem Training die Gewichte ein bisschen hoch, damit der nach dir denkt, du wärst besser.
Im Yoga: Du bist total verschwitzt und fertig während die anderen aussehen als hätten sie gerade einen kleinen Spaziergang erledigt.
Warum muss alles so ablaufen? Evolutionsbedingt könnte man sagen, damit der stärkste überlebt und sich auch nur die stärksten Gene fortpflanzen.
Aber inzwischen läuft das falsch, es werden immer noch die stärksten von anderen angehimmelt, nicht die schlauesten.
Ich kann hier nur den Film „Idiocracy“ empfehlen, da wird aus einem Spielfilm ganz schnell eine Dokumentation, wie die Welt in nicht allzuferner Zeit mal aussehen könnte.
Deswegen, mach ruhig Sport, aber mach ihn für dich, nicht für oder gegen andere.
Na zum Glück bestimmt die Evolution nicht alles. Ich finde Intelligenz z.B ungemein sexy!
Und wenn das letzte so leicht wäre. Hat ja alles einen psychischen Hintergrund.
Insofern mache ich erst mal nichts…und dann sehe ich weiter…
Auch wenn meine Meinung zum Sport jetzt nicht so negativ geprägt ist (wahrscheinlich, weil ich damals noch nicht mit Depression bzw. depressiver Verstimmung zu kämpfen hatte), kann ich doch so manches an Schulsport-Erfahrungen nachvollziehen. Meine Noten waren immer mittelprächtig und bei der Mannschaftsaufteilung saß ich meist bis zum Schluss auf der Bank, oft war ich dann der letzte, der in einer Mannschaft „zugeteilt“ wurde.
Ich weiß noch, dass ich einmal zum Ende der Oberstufe hin bei der Notenbekanntgabe vom Lehrer erfahren hatte, dass meine sportliche Leistung eigentlich was schlechter geworden ist, er aber sieht, dass ich mich bemüht habe und mir daher wie im vorherigen Halbjahr eine 3- gibt. Das Halbjahr war sehr viel vom verhassten Volleyball geprüft. Das Baggern tat immer so scheiße weh an den Armen, trotz dass ich vorwiegend was Langärmliges angezogen hab.
In der Berufsschule während der dreijährigen Ausbildung hatten wir auch ein halbes Jahr Sport. Da hat die ganze Klasse durchgängig volle Punktzahl bekommen, da der Lehrer die Motivation und Teilnahme bewertet hat, nicht die sportliche Leistung, was ich auch wesentlich sinnvoller finde. Nein, die 1 war nicht selbstverständlich, laut Sportlehrer gabs vor allem in anderen Berufen wesentlich unmotiviertere Klassen, die dann auch schlechtere und unterschiedliche Noten erhielten.
@ moin:
Ich glaub, dieses Wettbewerbsdenken ist bei mir nicht groß ausgeprägt. Selbst bei den Bundesjugendspielen gings mir meine ich vor allem darum, mich mit meinen früheren eigenen Werten zu vergleichen, da ich eh wusste, nicht vorne landen zu können. Da fällt mir ein, ich hab damals auch mehrere Jahre lang regelmäßig das Sportabzeichen gemacht. Wobei es dort vor allem darum geht, ein Mindestmaß entsprechend der eigenen Altersklasse zu erreichen. Da fand ich vor allem faszinierend, sich in den verschiedenen DIsziplinen wie Hochsprung zu versuchen und zurechtzufinden.
Huhu Schoko,
danke dir für deinen ergänzenden Kommentar! Es tut gut, eine andere und doch ähnliche (aber weniger deprimierte) Sicht zum Schulsport zu lesen. Volleyball hatte ich übrigens fast die ganzen drei Jahre auf der Hauptschule. Ich fand es aber besser als „Brennball mit Hindernissen“ oder den anderen Kram, bei dem immer was dabei war, das ich nicht konnte. Wirklich Spaß gemacht hat mir nur Fußball, aber das gab es leider zu selten.
Und die Motivation zu bewerten ist in meinen Augen auf jeden Fall die bessere Devise! Das sollte man echt überall einführen, zusätzlich mehr Rücksicht auf die Schwachen nehmen und weniger den Leistungscharakter vermitteln. Das kann einem nämlich – wie ich gemerkt habe – Sport für alle Zeiten kaputt machen…