Diese Geschichte habe ich noch einmal neu geschrieben, da man mein Pädagogiklehrer MS mich auf einige nicht ganz so schlüssige Gedanken aufmerksam gemacht hat. Die ältere Version findet sich im übrigen hier.
Eine Frau räumte die Wohnung ihres neuen Freunds auf, der wie es aussieht, lange Junggeselle war. Er hatte vieles einfach schleifen gelassen, Dinge lieblos in die Ecke geworfen und sich einfach nicht mehr darum gekümmert. Und irgendwann wurde ihm der gesamte Haushalt einfach zu viel und er hatte letztendlich resigniert.
So ziemlich jede Frau wäre beim Anblick dieser Wohnung schockiert gewesen und nie wieder aufgetaucht. Doch diese Frau ist geblieben. Seltsamerweise kribbelte es in ihren Fingern, das Chaos aufzuräumen und sich irgendwie nützlich zu machen. Sie begann beim Wohnzimmer. Alben sortieren, Videos zusammensuchen, DVDs irgendwo hinstellen, abstauben, … Was sich so einfach anhört, war eine Arbeit von acht Stunden. Als der Mann am Abend nach Hause kam, erkannte er das Zimmer nicht mehr. Die paar Kleinigkeiten hatten es wohnlich gemacht. Auf einmal konnte man wieder laufen und alles hatte seinen Platz und seine Ordnung. Die Frau war stolz auf sich, es war ein Wunder geschehen. Am nächsten Tag war das nächste Zimmer dran. Schubladen ausräumen, Feuerzeuge sortieren und Werkzeug neu einordnen. Und da sie neugierige Ader besaß, öffnete sie einige ältere Briefe und las sie sich durch. Es fielen ihr vor allem jene mit Herzchen und schnörkelhaften Verzierungen in die Augen. Normalerweise stellt eine Frau in dieser Situation ein eher beklemmendes oder unangenehmes Gefühl fest. Bei ihr war es ein eher paradoxes Gefühl. Einerseits war ihr bewusst, dass es gut war, über solche älteren Briefe Bescheid zu wissen. Andererseits wäre es ihr auch irgendwie lieber, sie hätte das alles nie gesehen.
Es ist doch seltsam. Denn eigentlich will man nicht hinter die Dinge kommen, die man irgendwo im Bewusstsein nicht wissen will. Doch was ist besser? Verdrängung oder den Tatsachen ins Auge blicken? Ist das alles etwas Ernstes oder nicht? Es werden Handys ausspioniert, E-Mail Konten gehackt und Ähnliches veranstaltet, nur um sich mit einer Mischung von verschiedenen Gefühlen zu befassen, die eher unangenehm sind. Zum einen wäre da das schlechte Gewissen, weil man das Vertrauen gebrochen und in die Privatsphäre einer anderen Person eingetreten ist. Und zum anderen sind da noch die Wut und die Trauer, falls man dann doch etwas gefunden hat, was man im Prinzip auch „gesucht“ hat. Doch kann man überhaupt noch beruhigt sein, wenn man nichts findet? Wenn man sich mit Gewalt zutritt zum Handy-Postfach des Partners verschafft hat und nichts Spektakuläres drin ist?
Hier in der Geschichte war es zum Glück nicht an diesem verzweifelten Punkt, sondern noch relativ am Anfang. Alles lag zugegebenermaßen offen herum und war veraltet. Und diese Frau hatte nicht nach irgendwelchen Indizien gesucht. Sie hatte es nicht darauf angelegt, in der Vergangenheit zu wühlen. Dennoch stellte sich die Frau diverse Eifersuchtszenen vor, die an diesem Ikea-Tisch schon stattgefunden haben könnten. Und es überkam sie ein Lächeln, das sie sich nicht erklären konnte. Keine Spur von Unwohlsein beim Lesen dieser Liebesbriefe, in denen Frauen ihre Gefühle kundtaten, ihre Ängste äußerten, ihre Gedanken darlegten. Vielleicht lächelte sie auch nur über die Zeilen, in denen sich die andere wünschte, dass diese Beziehung für immer halten würde und darüber, dass sie nun an derselben Stelle stand; in dem Wissen, dass eine Beziehung offenbar nicht für immer hält. Die Frau fand es amüsant, naiv und auch irgendwie süß zu lesen, wie andere Frauen denken und versorgte die ganzen Briefe in einer Schublade, die gerade frei geworden war.
Sie fragte sich, ob das alles wohl etwas mit Vertrauen zu tun hatte. Denn sie entdeckte viel in der Wohnung und der Mann ließ sie dennoch weiter aufräumen, obwohl er selbst nicht wusste, was sich all die Jahre dort angesammelt hatte. Diese Vertrauensfrage blieb ihr noch den ganzen Tag im Hinterkopf und sie stellte sie sich jedes Mal aufs Neue. In Gedanken war sie dabei stets bei den Liebesbotschaften, die der Vergangenheit angehören. Ist die Liebe von heute etwa nur die Vergangenheit von morgen? Sie würde mit Sicherheit nicht solche Briefe schreiben, denn dazu ist ihr der Gedanke an genau diese Vergänglichkeit zu sehr bewusst. Doch das Unterbewusstsein schreibt Tag für Tag Romane, die nicht an die Oberfläche gelangen.