Zu voll zum Küssen…

Ich sitze da, höre dem Rauschen zu und dem Regen, der von meinem Zimmer aus nur gedämpft an mein Ohr dringt…und ich lasse den heutigen Tag – die nicht ganz volle Stunde des Tages – Revue passieren…

Viertel nach drei. Es wird Zeit sich auf den Weg um die Ecke zu machen und meinen Nachbarn zu besuchen. Herzklopfen begleitet mich auf meinem Weg. Ebenso wie die Musik, die leise aus meinem MP3-Player trällert. Kurz vor der Tür packe ich ihn mit zittrigen Händen ein. Ich klopfe kurz und warte. Werde mit jeder Sekunde nervöser, bis er aufmacht und sich dann wieder hinsetzt. Zwei gefühlte Sekunden stehe ich noch zwischen Tür und Angel, dann frage ich, ob ich rein darf. Er wirkt distanziert. „Ich bin betrunken“ bekomme ich als Antwort. Das erklärt alles. Ich trete ein, hänge meinen Ledermantel an einen Stuhl und setzte mich auf den rechts von Jo. Da sitze ich gut, denn im Rücken fühle ich den Pulli mit dem Holzfällermuster, der unordentlich ordentlich über dem Stuhl hängt.

Jo zockt Poker im Internet, während ich ihn aus den Augenwinkeln ansehe. Er sieht zurück und meint, ich soll mir Bier selbst holen, wenn ich will. Ich stehe auf, lächle ihn an und meine, dass ich ja wisse wo es ist. Als ich zurückkomme, frage ich Jo ganz lieb, ob er mir die Flasche aufmacht. Es wundert ihn, dass ich das mit dem Feuerzeug nicht kann. Doch ich beobachte ihn nun ganz genau dabei und weiß, was ich bis jetzt immer falsch gemacht habe…
Er reicht mir das Bier und wir stoßen an. Dann meint er als Entschuldigung für seine Zockerei, dass er damit seine Existenz sichern muss. Ich schweige, warte ab, bis er fertig ist. Zwischendurch meint er nochmal, er sei betrunken. Als er alle Fenster auf dem Laptop geschlossen hat, sieht er auf die Uhr und meint: „Scheisse, also jetzt haben wir schon seit ZEHN MINUTEN kein einziges Mal gestritten!“ Ich nicke ihm zu und meine, dass ich mir Mühe gebe nett zu sein. Darauf antwortet er mir nichts und ich frage ihn, was es denn Neues gibt.
Er: „Nichts. Und bei dir?“
Ich: „Ach, nichts…“
Stille.
„Ich hab am 20. Prüfung. Mit dem Auto…“
Er: „Beim T-Man?“
Ich: „Nee, ich habe gewechselt.“
Er: Wieso denn?“
Ich: „ Ich wollte es mal woanders versuchen.“
Er: „Bist du durchgeflogen?“
Ich: „Ja“
Er verzieht das Gesicht und meint: „Oh…dann viel Glück…“
Ich: „Danke“

„Du warst in Moe., stimmts?“ Er: „Ja, ich war in Moe… aber…*sieht mich überrascht an* woher…?!“ „A. hat’s mir gesagt.“ „Aha… das war klar…“ Nach einer kleinen Pause: „Wir sollten dich mit A. verkuppeln…dein Vater hat Geld, deine Mutter hat Geld… A. nicht.“ Mir ist klar, dass das wieder eine seiner Provokationen ist. Ich bin wohl seiner Meinung nach ein reiches, verwöhntes Töchterchen, dass alles in den Arsch geschoben und nie was auf die Reihe bekommt…anscheinend bin ich unselbstständig. Komisch. Ich habe einen Nebenjob, nein zwei: Einmal bei uns im Laden als Putzfrau und Assistentin der Sekretärin und dann noch den Job als Redakteurin in der Schule. Und wer hat sich denn um die Jobs bemüht? ICH!!! Wer hat in kürzester Zeit kochen gelernt? Wer lebt alleine, für sich. Nur in einem fremden Haus bei anderen, den Eltern? Wer würde, wenn er könnte sofort ausziehen? Er vergisst wohl, dass ich 19 bin! Und ich habe noch drei Jahre Abitur vor mir. Und ich werde bestimmt nicht alles abbrechen um Lastwagenfahrer zu werden – so wie er es mal gemacht hat.
Doch das alles will Jo gar nicht hören…also meine ich nur lasziv „Nein. Und du hast auch kein Geld!“ Er: „Oh doch, ich schwimme im Geld… man sieht’s nur nicht…“ Ich blicke demonstrativ auf seine Bierflasche, was er nicht zu bemerken scheint, denn er redet einfach weiter und schwärmt von seiner Ex-Penthousewohnung. Ich meine: „Du hattest mal Geld…“ Mein Blick haftet immer noch auf der Flasche. Er fragt mich, ob ich mich mit meiner Friseurin zerstritten habe, da sie ohne mich in den Urlaub geflogen ist. Ich erzähle ihm, dass mir Geld wichtiger als der Urlaub ist und er meint: „Ja…blöd wenn man selbst keins hat.“ Und ich denke mir nur: ‚Wenn du wüsstest!‘ Denn für den Urlaub, den ich abgesagt habe, habe ich hart gearbeitet, bei eBay verkauft, gespart,…Ich habe so 500 € in Sekundenschnelle aufgetrieben…und das nach Weihnachten.
Wir kommen auf das Thema Alkohol. Er streitet natürlich alles ab. Die Tatsache, dass er an einem Sonntagmittag betrunken ist beruht darauf, dass seine Kumpels vorher da waren. Ich lasse nicht locker. Und dann fängt er an zu erzählen: „Als ich in der Pubertät war… *fängt an zu lachen*“ Ich meine „Oh, wie lange ist das nochmal her?“ und fange auch an zu lachen. Er fährt fort und beginnt mir etwas von wegen als er in der Pubertät war wie ich (JETZT!) hatte er auch schon am Reiz des Verbotenen Interesse gehabt. Und er ist aus der Pubertät nie rausgekommen und immer noch drin. Und da er mich auch als pubertierend bezeichnet hatte, meine ich: „Oh, da haben wir ja was gemeinsam.“ Und dann erzählt er mir Geschichten – von seinem früher. Von seinem Geburtstag vor 15 Jahren an dem er nicht mehr wusste wie alt er war.
Er: „Ich bin glaube ich etwas unter 50?!“
Ich: „47.“
Er: „Hmm, das kann sein“.
Ich: „Du hast nächsten Monat Geburtstag.“
Er: *überlegt* „Stimmt…“
Ich: „Am 18.!“
Er: *sieht mich an* „Ja!“
Ich: „Und du bist 61 geboren…“
Damit war er dann überfordert und hat nichts mehr gesagt. Ich meinte nur, ich hätte schon Geburtstag gebabt. Er rechnete mit einer predigt, warum ER denn nicht wüsse, wann ich geboren bin. Aber ich blieb weiterhin lieb, lächelte. Und dann fiel mir etwas ein: „Vor einem Jahr hast du mir ein SPIEGEL-Abo versrochen…“ Er: „Hab ich das?! Mensch!! Was hab ich dir denn alles versprochen?!“
Dann erzählte er von seiner Ex-und-mittlerweile-VOLL-Ex. Dass sie damals seine Geliebte war, als er noch mit der anderen was hatte. Und er beginnt von seiner Eifersucht zu erzählen. Da fällt mir ein, dass er ja mal bei mir zu Besuch deswegen war. Wegen Kai. Und ich frage ihn, wann er mich denn mal wieder besuchen will. Und er: „Hab ich das schonmal!?“ Ich: Ja, wegen Kai.“ Er: „Oh je…da war ich wohl ganz schön betrunken…“

Es folgt eine Stille. Ich höre nur, wie Regentropfen gegen die Fensterscheibe prasseln, sehe ihn, wie er meine Zigarette raucht und fernsehen guckt. Lächle. Stille. Er: „Das war einer der ersten Farbfilme Neunzenhundert…äh…schießmichtot Zweiundfünfzig?!“ Während er verzweifelt nach der Zahl in seinem vollen Kopf sucht, blicke ich ihm immer noch in die Augen. Bis er meinen Blick erwidert, lächelt und meint: „Aber das interessiert dich wahrscheinlich gar nicht…“

Er: „Weißt du…du bist eine Pfeife!“
Ich denke an das, was ich eigentlich mit ihm vorhatte und meine: „Nein, bin ich nicht!“
Er: „Doch!“
Ich: „Wieso?“
Er: „Wieso nicht?“
Ich: „Du hast angefangen!“
Er: „Nein du…warum solltest du keine Pfeife sein?“
Er macht mit seinen Händen eine Bewegung, die aussagt: Komm schon, du Pfeife, fang an dich aufzuregen!
Ich beende die Diskussion mit: „Okay, dann bin ich halt eine Pfeife.“ Er ist verzweifelt. Dann dreht er sich noch eine seiner Zigaretten. Oder besser gesagt: Er versucht es in seinem Zustand. Ich frage ihn, ob er noch eine von mir will. Doch er will keine mehr von mir.
Als er die Zigarette endlich fertig hat, meint er: „Ich bin müde. Alte Männer brauchen ihren Mittagsschlaf…“
Ich: „Du schmeißt mich jetzt einfach so raus?!“
Er: „Hmm…ich will schlafen.“
Ich: *ganz verdorben* „Für SCHLAFEN gibt es mehrere Definitionen…“
Er: „Hö?! Sex?! Mit dir…“
Ich lache daraufhin und blicke ihm anschließend tief in die Augen. Aber da war der Moment auch schon vorbei…
Er: „Nee, ich bin wirklich müde. Frühschoppen…und dein Vater hat mich gestern…“
Ich: „Ich weiß.“
Er: „Wie? War ich bei dir zu Hause?!“
Ich: „Nein. Aber er hat mir erzählt, wer alles unterwegs war.“
Er: „Ja…wir haben Würfel gespielt. Mit ohne Würfel.“ *lacht* „Nach der Zigarette muss ich dich leider vor die Tür setzen…“

Dann meint er plötzlich „Also, EX!“ und setzt mit seiner Bierflasche an. Ich auch. Und er gibt nicht nach. Ich auch nicht. Bis alles leer gesoffen ist. Ich kann zum Glück erstens gut aus Flaschen trinken und zweitens exen, wenn’s sein muss.
Er drückt seine Zigarette aus, sieht mich an „Also“ „Also dann…“ Ich stehe auf, ziehe meinen Mantel an. Er versucht mich nicht anzusehen, dann stehe ich vor ihm. Er sitzt auf seinem Stuhl. Und er reicht mir lasch die Hand, während ich die Arme ausbreite. Als er etwas begriffstutzig reagiert, meine ich: „Du sollst mich umarmen!“ Er will es aus dem Sitzen machen, doch ich weiche zurück und meine in liebstem Ton: „Aufstehen!“ Er murmelt nur etwas von wegen er würde umkippen und ich: „Ich halte dich.“ Er lacht, ich blicke ihm in die Augen und weil dann nichts kommt und der Moment nicht perfekt ist, umarme ich ihn. Sehr lange. Doch es kommt nichts zurück…er hat einfach keine Kraft mehr dazu.
Ich verabschiede mich und meine, dass ich wieder kommen würde. Am Dienstag. Jo lacht und meint jedoch, da sei er auf keinen Fall zu Hause. Ich: „Ich klopf dann mal…“

Ich hätte dem so gerne gesagt, was er mir wert ist
Ich hätte es einfach tun sollen
Dienstag… : *

Posted by Journey

Kategorie: Allgemein

Autor: Journey

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6 Kommentare        

Hallo Journey,da hast du dir echt was ausgesucht…Denkst du nicht, er weiß längst, dass du und was du für ihn empfindest?Gerade mit seiner Lebenserfahrung!Reizt dich nicht gerade das Unerreichbare an ihm, im Gegensatz zu denen, die sich um dich bemühen? Und dadurch, dass du weißt, die wollen was von dir, völlig unattraktiv sind(nicht unbedingt vom Aussehen gemeint) und nicht deine Neugier wecken?Ich will nicht „Spielverderber“ sein, aber du hast es, was ich so lesen kann, mit einem mehrfach-süchtigen Menschen zu tun, bei dem die Sucht schon chronisch ist und sehr lange besteht. Wenn du mit ihm zusammen kämest, wärst du in der Gefahr, Co-abhängig zu werden, wenn er nicht versuchen würde, aus der Sucht rauszukommen.Aber dazu müßte er einen immensen Leidensdruck haben und unbedingt raus wollen!Leider ist es so, dass die Sucht, egal ob stofflich(wie z.B.Alk.) oder nicht-stofflich, für denjenigen alles ist. Vater, Mutter , Partner(in),bester Freund etc. Auch, wenn er „Freunde“ hat, im Zweifel geht die Sucht vor!Ich rede nicht nur so daher, und möchte auch nicht klugscheißen, hab’s leider erleben müssen…Bei mir litt Sie an Anorexia nervosa(MagerSUCHT), ging auch ewig hin und her, wollte sie natürlich, so verknallt wie ich war(zumindest dachte ich, dass ich das war) als „der große Held“ erretten. „Ich schaff das schon“, dachte ich mir in meinem gefühlsbeduselten Hirn. Obwohl mir Ärzte und Therapeuten dringend abrieten, da ich selbst dabei mit in den Abgrund gehen könnte. „Lass die mal reden“, dachte ich mir… Hab sie dann doch an die Sucht verloren, ich konnte dann auch nicht mehr mit ansehen, wie sie sich selbst und mir damit auch immer mehr was vormachte, von wegen Essensmengen etc. und immer weniger wurde.Mir ging es sehr schlecht dabei, wurde auch fast krank.Sie konnte einen Menschen gar nicht lieben(Liebe=großes Wort), weil die MS ihre große Liebe war. So makaber und zynisch das auch klingen mag. Spiel nicht zu lange ein Spiel, was du nicht gewinnen kannst, mögen deine Texte auch noch so gut werden dadurch…LG stranger

Hallo stranger,
ich denke schon, dass er das weiß. Aber er will es wohl nicht wahrhaben.
Und er wird immer irgendwo unerreichbar sein.
Mit der Sucht hast du allerdings absolut Recht. Doch ich glaube an ihn im Gegensatz zum Rest, der das auch noch unterstützt. Sein bester Feund säuft sich einen ab,
weil bei ihm alles zu Bruch gegangen ist. Seine Ex-Frendinnen haben alle mit ihn gesoffen um ihn zu halten. Seine Eltern machen sich denke ich Sorgen, aber sie sind auch kurz davor ihn
aufzugeben.
Ich will es nur versuchen, dieses eine Mal, zu ihm durchzukommen. Denn so wichtig wie er sind mir nur wenige Menschen. Also muss er etwas haben, was mich an ihm
fasziniert. Ich weiß, dass ich als 19-jährige schon dreimal kein Ohr zum Zuhören bekomme. Aber ich will nicht aufgeben.
Mir ist auch klar, dass ich, wenn ich es nicht schaffen werde, vielleicht daran selbst fast zu Grunde gehen werde. Doch…nie zuvor war ein Gefühl so stark wie
dieses. Mag nicht einsehen. Vermag nur sich zu steigern, zu lieben. Mag nicht aufgeben. Vermag nur zu glauben an das Unglabwürdigste…
Ich habe ewig mit mir gekämpft ob ich nun soll oder nicht. Doch Liebe lässt sich nicht steuern. Dann bin ich an dem Punkt gewesen, an dem ich einfach nur da sein
wollte. Und jetzt denke ich, dass nur da sein nicht ausreichen wird. Ich will um etwas kämpfen allein um des Wissens, dass es das wert ist.

Weißt du, mich interessieren Geschichten. Lebensgeschichten. Dramen. Und das danach. Und die meisten jungen Typen, die sich für mich interessieren sind mir
einfach darin zu unerfahren. Vielleicht sind sie dafür im Gegensatz nicht so kaputt wie Jo. Aber ich will sie alle nicht. Ich muss dann immer daran denken, dass ich die Typen jetzt mit irgendwas
glücklich mache und selbst dabei unglücklich bin. Da bleibe ich lieber alleine.

Danke fürs Lesen und liebe Grüße
Journey

Hallo Journey,gegen sein Herz kommt man eben einfach nicht an. Ich kann dich verstehen und wenn es für dich momentan so das richtige ist, dann ist es das auch, egal was andere sagen.Pass auf dich auf!Grüße einsamkeit

Hallo Einsamkeit!
Gegen sein Herz kommt man besonders nicht mit dem Verstand an. Irgendetwas von den beiden beschwert sich immer…
Und es ist für mich momenan wirklich das „richtige“. Mal sehen…ich glaube normalerweise nicht und bin schon gar nicht optimistisch. Aber das mit Jo ist mir mittlerweile so wichtig geworden,
dass ich naiv werde.
Danke, pass du auch auf dich auf!
Journey

Moin auch,also schreiben kannste ja,das muss man dir lassen.Allerdings halte ich einiges hier für Blogeinträge für zu lang geraten.Is‘ natürlich nur mein pers Eindruck,aber ich merke beispielsweise,dass,je länger die Beiträge sind,umso weniger Reaktionen kommen.Liegt wahrscheinlich an der Bloggerei itself,weil ja doch die meisten Leser selbst Blogger sind und auf ihrer Blogrunde mit so viel „Geschichte“ wenig anfangen können.Aber mir gefällts.Werd öfter mal hier reinschaun.

Hallo Demian,
danke für dein Kommentar.

Ich kann verstehen, wenn das, was ich schreibe, einigen zu viel ist. Aber mir geht es auch nicht nur um die Zahlen. Mir geht es gerade um „Geschichte“. Meine
Geschichte. Und ich will sie festhalten, da sie in meinen Augen etwas Besonderes ist. Weil man so etwas nicht jeden Tag liest. Es mag vielleicht anderen ähnlich ergehen, doch ist es nicht
dasselbe. Jeder hat seine ganz persönliche Lebensstory.
Danke fürs Lesen!
Journey

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