Dieses Jahr wird Weihnachten anders als die bisherigen, da ich an Heiligabend nicht wie sonst zu Lilith verreise, sondern hier bei mir zu Hause verbringe mit Observer, der nach wie vor bei mir ist und auch nicht zurück nach H. fährt.
Und wir werden nicht feiern bzw. nehmen uns die Freiheit heraus, uns da raus zu nehmen – Corona hin oder her.
Mir ist das folgende ein Blogeintrag wert, da mich das ganze Weihnachtsthema doch sehr beschäftigt. Ich habe auch sehr lange überlegt, wie ich das aufbauen soll, denn ich habe zu diesem Fest so unendlich viele Gedanken und Emotionen, die sich kaum ordnen ließen…
Um zu verstehen, warum ich nicht wie die meisten anderen hinnehmen kann, dass Weihnachten was Besonderes sein soll, muss ich wohl auch etwas weiter ausholen. Am besten fange ich also einfach mal am Anfang an… bei meiner Kindheit und wie ich damals Heiligabend verbracht habe und ab wann das „gekippt“ ist.
Erinnern kann ich mich ja nicht sonderlich gut an meine Kindheit, fand Weihnachten aber wie jedes andere Kind vermutlich oberflächlich unglaublich toll. Geschenke und Baum und blah. Später bestand das Fest dann aus Geschenken und Baum und Kneipe (Alkohol). Angetrunken war das ganze auch lustiger, besonders weil alle tranken.
Aber mit dem Alkohol kam irgendwann auch die Erkenntnis, wie traurig dieses Fest eigentlich ist, weil dennoch so viel Angespanntheit bei allem mitgeschwungen ist. Ich erkannte immer mehr den Zwang hinter all dem Besinnlichen und die Sinnlosigkeit dahinter, weil eben nicht alles gut wurde, nur weil man sich einen Tag zusammenriss. Das Motto von Weihnachten war für mich: „Heute ist Weihnachten, wir kommen also zusammen, schenken uns Kram zum Zeichen, dass wir an uns denken und haben uns alle lieb.“
Ich sah die Ironie dahinter, weil meine Familie genau das letzte, worum es eigentlich gehen sollte, in meinen Augen nicht tat oder zumindest nicht so zum Ausdruck bringen konnte, wie ich es mir vielleicht gewünscht habe. Für mich war das alles so gezwungen und ich fand es traurig, dass wir Menschen eine festgeschriebene Zeit brauchen, um „zur Besinnung“ zu kommen und zu lieben.
Mein Schlüsseljahr, in dem ich das alles erkannt habe, war dann 2008. Das war noch zu einer Zeit, in der ich nicht wirklich ehrlich zu allen sein konnte und mein Innerstes aus Selbstschutz vor allem vor meinen Eltern verborgen habe. Ich habe mich einfach jedes Mal unverstanden gefühlt, wenn ich gesagt habe, wie es mir geht. Also ließ ich es. Wie schrecklich Weihnachten für mich war, wurde mir erst bewusst, als meine beste Freundin Maze zum Weihnachtsfest meiner Familie dazukam und die von mir sehr angespannt empfundene Dynamik gelockert und für ein wirklich schönes Fest gesorgt hat.
In den folgenden Jahren habe ich dann rebelliert und allen vor den Latz geknallt, wie blöd ich Weihnachten finde. Wenn ich mir Texte aus der Zeit durchlese schwingt da wirklich sehr viel Hass mit… aber ich habe mir vermutlich jahrelang so sehr etwas anderes als Weihnachten gewünscht und mich einsam gefühlt, auch wenn ich Teil des ganzen Wahnsinns und unter Menschen war.
2009 habe ich einen Weihnachtsbrief geschrieben (den keiner gelesen hat) und mich so richtig ausgekotzt. Den Brief habe ich auch noch. Klingt oberflächlich voller Vorwürfe, aber im Kern absolut nach Verzweiflung
2010 habe ich ein Klodeckel-Gedicht geschrieben, das ich allen unterm Weihnachtsbaum vorgelesen habe. Ich habe es nicht mehr, kann mir aber denken, dass mein Geschenkpapier (eine Klorolle) etwa dem Inhalt gerecht wurde.
2011 habe ich bei meinem früheren besten Freund Kai verbracht. Das war das Jahr in dem ich nicht so wirklich viel Kontakt zu meinen Eltern hatte.
2012 waren mein damaliger Freund Mr. Chocolate und ich bei meiner Family, was auch ein ganz schönes Fiasko für mein Innenleben war, weil er so gar keinen Bock hatte und ich zu der Zeit auf sowas noch total hyperemotional reagiert habe.
2013 war ich das erste Mal bei Lilith zu Besuch und das war für mich eins der schönten Weihnachten, die ich je erlebt habe, weit weg von all dem.
2014 verbrachte ich die Zeit alleine mit Mr. Chocolate.
2015 war ich dann doch wieder bei meinen Eltern, weil ich ja mitten im Umzug war und nicht den Mumm hatte am 24.12. lieber alleine in einer leeren Wohnung mit Kartons, einem Wasserkocher und Babynahrung zu sein.
Und ab 2016 machte ich dann befreit von allen Zwängen und schlechtem Gewissen Weihnachten zu dem, was ich immer wollte: Zu meinem persönlichen Fest mit Dingen und Menschen, die mir sehr viel bedeuten. Ich reiste also jedes Jahr am heiligen Abend im Zug zu Lilith.
Da dieses Jahr aber alles anders ist und mir Corona jetzt auch mal einen Strich durch die Journey-Rechnung macht, muss ich mir zwangsläufig die Frage stellen, wie ich das ganze nun werten soll. In mir hat lange Zeit alles nach einem Grund geschrien, an Weihnachten zu verschwinden, was mir auch zeigt, dass hinter meinen Reisen auch viel Flucht steckt.
Das „klassische Weihnachten“ mit der eigenen Familie fand ja nie besonders toll oder sinnvoll. Eher habe ich es halt mitgemacht, weil das eben dazugehört. Und ich weiß, dass ich ein Teil einer Gesellschaft bin, die nun mal Weihnachten einen so hohen Stellenwert zuschreibt und das so feiert.
Aber ganz ehrlich? Mich macht es stellenweise etwas wütend, dass es so ist. Denn zum einen katapultiert es sehr viele Menschen in ein gefühltes Aus, weil es ihnen noch einmal eine ganz andere Form von Einsamkeit bewusst werden lässt. Und zum anderen bringt es mich in Zugzwang. In eine Erklärungsnot. („Warum kommst du nicht an Weihnachten?!“) Es drängt mich in eine defensive Rolle, die ich gar nicht einnehmen will. (An meinem Geburtstag geht es mir übrigens ganz genau so…)
Ich will eigentlich einfach nur meine Ruhe und das machen, was mich entspannt und was mir gut tut. Und ich will das sagen können ohne Schuldgefühle. Ohne schlechtes Gewissen. Ohne „Ausreden“ wie Corona. Ohne das Land verlassen zu müssen, damit mich keiner erreichen kann.
Wenn ich mir also eins wünsche an Weihnachten, dann ist es einfach nur verstanden zu werden und Menschen an meiner Seite zu wissen, die verstehen, dass ich in dieser Zeit einfach niemanden von hier sehen und meine Ruhe haben will. Denn ich will mich weder erklären noch rechtfertigen müssen.
Und ich will keinen festgeschriebenen Tag, an dem ich irgendetwas gerecht werden muss. Ich will das selber von mir aus wollen an welchem Tag des Jahres auch immer! Denn darin liegt für mich der Wert einer Beziehung (egal zu wem). Und nicht in einer verdammten Zeitspanne.
Amen.
„Die meisten Leute feiern Weihnachten, weil die meisten Leute Weihnachten feiern.“
[Kurt Tucholsky]
Ich wünsche dir bzw. euch schöne Tage, auch ohne deine ganz eigene Tradition ?
Vielen Dank, Schoko! Wir wünschen dir ebenso schöne Tage! : )
Gestern noch musste auch ich mich erklären. Vor einem Menschen, der mich eigentlich sehr gut kennt. Ich musste erklären, warum ich wie in jedem Jahr froh bin, wenn Weihnachten vorbei ist. Ja, auch ich mag es zu schenken, aber nicht Weihnachten. Auch ich mag Geschenke, aber nicht Weihnachten. Ich mag Familie, Besuche, gutes Essen, aber nicht Weihnachten. Daher sind meine Wünsche nach einer stillen Nacht dieselben wie Deine.Ich habe mir übrigens in der Vergangenheit etwas zugelegt (so wie Du Deine Zugfahrt), das mich das alles aushalten lässt: Die Stelle als ehrenamtlicher Haupt-Tontechniker einer großen Heiligabend-Veranstaltung im Stadttheater. Dass dies eine weihnachtliche Veranstaltung ist, kann ich gut übersehen, da es einfach im Technik-Team Mega-Arbeit ist. Das ist das Einzige, auf das ich mich Weihnachten freue. Fällt leider dieses Jahr auch weg …
Es freut mich zu lesen, dass ich da nicht alleine bin mit meinen Gedanken. : ) Ich glaube wir sind das auch nicht… bei so einigen trifft wirklich Tucholskys Satz ins Schwarze…
Ich hoffe du hattest dennoch schöne Tage und hast es geschafft das beste für dich daraus zu machen! Mir ist es zumindest gelungen etwas abzuschalten und mich rauszunehmen auch ohne Fluchtmöglichkeit.
Hm, na ja. Der unerzogene Hund meiner Schwiegereltern hat mir zum zweiten Mal einen Schuh zerbissen, und meinen Vater habe ich unnötig scharf angefahren, weil ich mit den Nerven runter war nach drei Tagen Weihnachten. Ja, es gab auch schöne Momente, aber der Rest war rumsitzen und abwarten, bis alles vorbei ist …
Diesen Satz von Dir hatte ich ganz oft im Kopf über die Weihnachtstage. Ich will mich nicht immer erklären müssen, ich will auch nicht fliehen, einfach nur zu Hause meinen Tag leben. Punkt. In Weihnachten komme ich einfach nicht vor. Da mache ich mir lieber eine gemütliche Zeit zu Hause. Zur Not auch allein.
Oh je, ich kann das so gut nachvollziehen! …und ich würde mir so sehr für dich wünschen, dass du es schaffst, dich auch irgendwann sanft durchzusetzen und die Tage unabhängig von anderen so zu gestalten, wie du es dir wünschst. Ohne Rechtfertigungen.
Leicht ist das leider nicht immer und ich habe selbst nach all den Jahren noch Bammel davor und fühle mich den anderen gegenüber schlecht, wenn ich nicht bei all diesen Feiern dabei bin… (auch wenn sie es mittlerweile akzeptieren). Dieses Jahr habe ich die Menschen ein paar Tage davor gesehen und mich dann nicht mehr groß gemeldet um Weihnachten rum. Quasi um mein „Gewissen zu beruhigen“. Tat insgesamt auf jeden Fall sehr gut!