Stolpern für Anfänger

Im Grunde rennt man Tag für Tag um sein Leben.
Der Zeit davon.
Immer vorwärts…

Doch es ist nicht immer nur ein Wettlauf mit der Zeit. An manchen Tagen hüpft man geradezu leicht und unbeschwert nach vorne und erfreut sich seiner bisherigen Erfolge. Freut sich über das was ist und auf das was kommen wird.
Und dann gibt es wiederum Momente, in denen man stolpert. Ins Straucheln gerät. Vielleicht sogar hinfällt und auf dem steinharten, kalten und brutalen Boden der Realität aufschlägt.
Plötzlich begreift man dann, dass das Leben eigentlich ein ständiges Stolpern ist. Ein ewiger Kreislauf des Hinfallens und wieder Aufstehens. Für jeden einzelnen von uns.
Mal sind wir stärker, widerstandsfähiger und mal sind wir schwächer und instabiler.
Mal geht es uns so, als könnten wir wirklich die Welt verändern mit unseren Worten und Taten und mit unserem Einfluss Berge versetzen. Und mal schaffen wir es nicht mal die leichtesten Entscheidungen für uns selbst zu treffen, eine Aussage neutral zu deuten, geschweige denn uns von den destruktiven Mustern zu lösen, derer wir uns so oft so sehr bewusst sind und denen wir uns dennoch ausgeliefert fühlen können.
Mal ist das Leben so federleicht, der Luftwiderstand gering und alles scheint möglich. Und mal schlägt uns dieselbe Feder nieder, als wäre sie aus Blei.
Wird zum Problem.
Urplötzlich und scheinbar ohne Vorwarnung.

Und dabei ist alles um uns herum immer noch Luft, doch kein leerer Raum. Denn alles ist erfüllt mit unserem Sein, unseren Gedanken und unseren Gefühlen. Und der Pfad, auf dem wir sonst so unbeschwert hüpfen, so träumerisch schlendern, so gehetzt rennen, liegt nach wie vor vor uns.
Und wartet.
Warum fällt es uns dann oft so schwer, einfach wieder aufzustehen und  weiterzumachen?
Warum sind die Federn, die zunächst wie schwerelos leicht an diesem Pfad entlang umherwirbeln, je nach Gemütszustand entweder eine Aufgabe, an der wir wachsen können, oder ein problematisches unendlich schweres Bleigewicht?
Warum kann dies schöne und ästhetische Bild einerseits eine gewisse Leichtigkeit unseres Seins verkörpern und warum kann genau dasselbe Bild uns auch so sehr niederdrücken?
Während wir stolpern.
Und dann hinfallen.
Manchmal sogar bis in den tiefsten Abgrund.
Neben dem Pfad.

Wenn das geschieht, dann fallen wir erst einmal. Überschlagen uns. Versuchen aus diesem heftigen Stolpern heraus einen Halt zu finden. Klammern uns fest an das, was wir in die Finger bekommen. Wollen zurückkehren, indem wir alles daran setzen, die Klippe wieder hochzuspringen. Wollen um jeden Preis dem Aufschlag entkommen. Denn all das bisherige darf einfach nicht umsonst gewesen sein!  Also bloß nicht vom Weg abkommen! Bloß nicht mehr an den Anfang zurück! Oder noch schlimmer: Ins komplett Ungewisse!
Doch wenn wir einmal fallen, wird es umso schwerer, wieder auf unseren ursprünglichen Pfad zurückzukehren. Wenn wir Glück haben, landen wir relativ unbeschadet, nicht allzu weit entfernt und schaffen es, eben ab diesem Punkt weiterzulaufen und uns auch mit diesem neuen Weg anzufreunden.
Und dann beginnt das Spiel von vorne…

Aber auch wenn wir diesmal um einige Erfahrungen reicher sind als vor unserem Fall, schützen sie uns nicht davor, dass wir erneut fallen könnten. Denn das Fallen ist allgegenwärtig.
Das macht natürlich Angst und zwingt uns zu handeln und Strategien zu entwickeln, wie wir mit diesen Federn aus Blei und dem Stolpern erneut umgehen können. Denn natürlich wollen wir lieber in unserer federleichten Wirklichkeit und auf unserem Weg bleiben und das unangenehme Stolpern und Hinfallen vermeiden.
Doch es gibt es keine Flucht vor diesen Stolpersteinen, kein allgemein gültiges Rezept dagegen, sosehr wir uns im Grunde auch danach sehnen.
Und am Ende dieser Sehnsucht ist der von Angst genährte Wahn, den Problemen lieber ganz aus dem Weg gehen zu wollen und alles damit noch schwerer werden zu lassen. Noch komplizierter und verworrener. Denn je mehr wir versuchen, den Federn auszuweichen, desto mehr wird einfach alles zu viel, was früher so leicht schien. Desto mehr fällt uns auf, was uns daran hindert weiterzugehen. Desto größer wird tief verborgen im inneren die Angst und bahnt sich ihren Weg nach außen, verschleiert und nur erkennbar in den feinen Nuancen widersprüchlicher Handlungen.

Und je mehr ich versuche in meinem eigenen Wahn all die umherwirbelnden Federn zu fangen und mit meinen Zwängen zu ordnen, sie zu kontrollieren und zu unterwerfen, desto mehr spüre ich das Blei in meinen eigenen Händen. Das eigentliche Nichts, das mich runterdrückt. Handlungsunfähig macht. Lähmt.
Ich merke, wie sich alles bisher zurechtgelegte irgendwie beginnt zu verschieben. Aufzulösen. So unendlich schwer und unklar zu werden. Mir das Gefühl zu geben, nichts mehr im Griff zu haben und da einfach raus zu wollen.
Raus aus allem…

Doch außer für einen kurzen Moment des Abstands ist ein Weglaufen keine Option. Denn im Grunde bedeutet das alles hier „leben“.
Der Kreislauf wird sich wieder und wieder wiederholen. Und es ist unsere Aufgabe, auch immer und immer wieder aufzustehen, weiterzugehen und uns vom bleischweren und erdrückenden Sein zu lösen. Es nicht zu verfluchen und zu versuchen, es mit Tricks zu umgehen. Es anzunehmen als geschehen und als einen Teil von uns.
Somit ist es auch unsere Aufgabe all die Federn um uns herum sehen zu lernen und auch sie anzunehmen wie sie fallen. Sie vor allem als Herausforderungen zu sehen und nicht als Last.

Leben bedeutet, der Realität ins Auge zu blicken, sie zu akzeptieren:
Dass man als Mensch nie alles immer im Griff haben kann.
Dass es immer Federn geben wird, die einem entgleiten und zu bleiernen Stolpersteinen werden können.
Dass man nicht alles immer unter Kontrolle haben kann.
Dass man immer wieder stolpern und hinfallen wird. Manchmal auch den Abhang hinab.
Dass dieser Kontrast dazu gehört.
Dass das alles normal ist.
Dass das „leben“ ausmacht.
Und dass das in Ordnung ist.
Solange man nicht liegen bleibt.
Und immer und immer wieder aufsteht und weitergeht.
So schwer und unmöglich es einem auch manchmal erscheinen mag.

Wenn es sein muss auf einen anderen Weg…

 


Danke an Siegfried für die Inspiration zu diesem Text!

Posted by Journey

Kategorie: Allgemein

Autor: Journey

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2 Kommentare        

Hallo liebe Lui,

schön wieder was von Dir zu lesen und wie immer, sehr treffend formuliert. Danke auch an Dich, denn Du inspirierst mich ebenso mit Deinen Texten zum Nachdenken. Du zeigst mir andere Sichtweisen auf die Welt, auf das Leben und die Konflikte die wir im Grunde alle mit den Höhen und Tiefen des Lebens haben. Die große Kunst ist es eben, damit zurecht zu kommen, ohne selber großen Schaden zu erleiden, also für den Rest des Lebens in der Niederlage zu verweilen und liegen zu bleiben.

Ja und ein allgemeines Rezept im Umgang mit den Höhen und Tiefen des Lebens gibt es sicher nicht. Das muss jeder für sich selber herausfinden. Ich glaube aber, dass zum Herausfinden gewisse Voraussetzungen geben sollte. Dazu eine kleine Geschichte aus dem Zen-Buddhismus: Ein Mönch hatte sich in die Einsamkeit zurückgezogen, um sich fern vom lärmenden Leben ganz der Meditation und dem Gebet widmen zu können. Einmal kam ein Wanderer zu seiner Einsiedelei, und bat ihn um etwas Wasser. Der Mönch ging mit ihm zur Zisterne. Dankbar trank der Fremde den ihm gereichten Becher leer, und fragte dann: “Sag’ mir, welchen Sinn siehst du in deinem Leben in der Stille?” Der Mönch wies mit einer Geste auf das aufgewühlte Wasser und antwortete: “Schau’ in die Zisterne. Was siehst du?” Der Wanderer blickte hinein, hob dann den Kopf und sagte: “Ich sehe nichts.” Nach einer kleinen Weile forderte der Mönch ihn nochmal auf: “Schau’ in das Wasser der Zisterne. Was siehst du jetzt?” Noch einmal blickte der Fremde auf das Wasser und antwortete: “Jetzt sehe ich mich selber!” “Damit ist deine Frage beantwortet”, erklärte der Mönch. “Als du zum ersten Mal in die Zisterne schautest, war das Wasser vom Schöpfen unruhig, und du konntest nichts erkennen. Jetzt ist das Wasser ruhig – und das ist die Erfahrung der Stille: Man sieht und erkennt sich selbst!”

Ich glaube schon, dass Du auf dem für Dich richtigen Weg bist. Dazu gehört auch, sich mal zu verirren, Fehler zu machen, hinzufallen usw. Denn Du nimmst das Scheidern zum Anlass, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, sich zu ändern und neu aufzustellen. Wenn Fehler und Scheitern eine Chance sind, dann deshalb, weil man eben gerade nicht schnell aus ihnen lernen kann, sondern weil sie zur tieferen Beschäftigung mit sich selbst führen.

Sei ganz lieb gegrüßt, Siegfried

Hallo lieber Siegfried,

es freut und ehrt mich, dass ich dich inspiriere und zum Nachdenken anrege!

Ich danke dir auch für die kleine Geschichte, die mich irgendwie auch darin bestätigt, dass im meist hektischen Treiben des Alltags vieles gar nicht gesehen werden kann…und dass man manchmal Abstand und Stille braucht, um sich mancher Dinge bewusst zu werden. Oder einen Tapetenwechsel. Doch die Einsamkeit zu ertragen scheint für einige Menschen so undenkbar…ich hingegen genieße sie irgendwie. Aber ich sehe es auch nicht so negativ und gezwungen. Vielleicht, weil ich sie manchmal selbst wähle, um wieder klarer sehen zu können?

Was das Scheitern angeht, so ziehe ich daraus definitiv die tiefere Beschäftigung mit mir selbst. Und in irgendeiner Weise auch eine Erkenntnis.
Ich bin auch der Meinung: Wer keine Fehler macht, scheitert oder an seine Grenzen stößt, lernt auch nichts dazu.
Es hat zwar eine Weile gedauert, um das so zu erkennen und bei manchen Themen gelingt mir diese lockere Distanz dazu auch weniger gut, aber im Vergleich zu damals bin ich mir dessen bewusst.

Sei du ebenso lieb gegrüßt
Lui

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