Kindheits-Kram

Ich denke, ich habe noch nicht geschrieben, was ich vor über einem Monat so liebes gelesen habe. Mir ist nämlich wieder eingefallen, dass ich doch mal mit 15 bei einer Psychologin gewesen bin. Und da es mir nur logisch erschien, dass es aus der Zeit einen Arztbrief geben musste, habe ich mal in dem Kinderkrankenhaus angerufen, wo ich damals betreut wurde. Wahrheitsgemäß sagte ich der Sekretärin, dass ich so gut wie keine Erinnerungen an meine Kindheit und Jugend habe und das gerne ändern würde. Ich kenne nur einige Schlüsselmomente, von denen ich mir allerdings nicht mal sicher bin, ob sie wirklich geschehen sind. Meine Kindheit ist nämlich wie ein Puzzle mit 1000 Teilen, von denen ich nicht einmal 50 zusammenbekomme, da ich irgendwann einfach beschlossen habe, alles zu vergessen…
Was also den Arztbrief angeht, da ist es wohl unnötig hinzuzufügen, dass ich den Wisch in meinem Leben noch nie gesehen habe. Ich weiß nur, dass es von meiner Mum aus hieß: „Das ist eine schlechte Psychologin! Die sagt, ich bin an allem Schuld…blahblah Psychologen sind schlecht, sowas braucht man nicht!!“

Tja. Was soll ich sagen? Was ich in dem Brief gelesen habe wusste ich fast alles schon. Ich war 15, hatte die schlimmste Zeit überhaupt hinter mir, seit 2 Jahren Selbstmordgedanken in meinem Kopf, habe mich damals geritzt, denselben Schmerz wie heute gespürt, wenn ich mich davon abgehalten habe und war einfach nur dumm, denn ich habe auf meine Mum gehört und beschlossen, dass ich keinen Psychologen brauche….

„Von dritten hat die Mutter erfahren, dass J. in der Klasse massiv gemobbt wurde. J. selbst habe es nicht erzählt.“

Gemobbt wurde ich seit der ersten Klasse, habe es aber nicht realisiert, bis es auf der Realschule echt heftig wurde. Ich habe dann mit etwa 13 angefangen mich abzukapseln, habe geraucht, weil ich cool sein wollte, habe mich geschminkt, damit sie endlich still sind. Wurden sie aber nie…
Ich hatte irgendwann keine Lust mehr in die Schule zu gehen, wurde ständig krank und hatte Ende der 8. Klasse somit fünf Fünfen auf meinem Zeugnis und verließ diese Schule, um wo anders einen Neuanfang zu machen…

„Seit etwa einem Jahr drohe J. immer wieder, dass sie sich umbringen würde, die Eltern nehmen dies nicht ernst und sehen dies als Versuch, Aufmerksamkeit zu erregen. Sie würde dann eher mit ihr schimpfen. Frau X ist jetzt auch von der Lehrerin angerufen worden, weil J. in der Schule geäußert habe, sie würde aus dem Fenster springen. Die Mutter erscheint diesbezüglich nicht besonders besorgt.“

Liest sich nett, oder?
Wie meine Mum das ganze sieht, ist allerdings eine ganz andere Geschichte. Ihrer Meinung nach hat sie alles richtig gemacht und man könne ja nicht immer alles auf die Kindheit schieben. – Ich frage mich: Auf was denn bitte dann? Auf Freunde? Hatte ich nicht wirklich. Schlechten Umgang? Hatte ich auch nicht…bis auf meine Mitschüler, die mich gemobbt haben. Klar, das kommt alles von den bösen Mitschülern. – Ich sage: Hätte ich irgendwie vorher ein gutes Verhältnis zu meiner Mum gehabt, dann hätte ich mit ihr darüber reden können. Habe ich aber nicht. Und was sagt uns das? Was sagt uns der zweiseitige Arztbrief? Meine Mum würde jetzt sagen, dass ich doch alles hatte. Ich sage: Tja, ich wollte aber nicht alles in Form von Geld, auch wenn das anfangs noch bei mir so war. Ich wollte Liebe, Verständnis, Familie sein. Ich war ein Kind, das die Welt nicht verstand und das quasi alles in den Arsch geschoben bekam und fast immer alles durfte.

Es ist echt ein Wunder, dass ich so tiefgründig bin bei einer Mum, die Psychologie für Schwachsinn hält und einem Vater, den ich beim Vornamen anrede und manchmal fast 2 Wochen am Stück nicht gesehen habe, obwohl wir in derselben Wohnung gewohnt haben. Zeitweise habe ich ihn gehasst, zweitweise meine Mum verachtet. Wie sollte es auch anders sein? Die zwei waren ja ständig gegeneinander und ständig „blöde Kuh“ und anderen Kram zu hören ist nicht gerade das beste Beispiel für ein Kind. Genauso wie auf schmerzliche Weise zu lernen, dass jeder sein eigenes Leben hat und es einem jetzt scheißegal ist, wie es dabei den anderen geht, wenn man zum 3. Mal im Jahr alleine Urlaub macht. Aus all diesen und viel mehr Gründen wäre es mir auch allemale lieber gewesen, ein Scheidungskind zu sein…
Ich muss allerdings sagen, dass ich es im Vergleich zu Dr. Hyde und so schon um einiges besser hatte. Es gab nie Schläge, etc., aber nur weil es nicht total schrecklich war, war alles gut. Ich hatte nie das Gefühl, geliebt zu werden wie ich bin und irgendwie hat sich durch meine Jugend der Ich-bin-nichts-wert-Gedanke in den Kopf gesetzt, denn das Gefühl habe ich heute immer noch.

Ich weiß, was meine Verwandten jetzt schreiben werden: Ich solle doch nicht übertreiben, meine Mum nicht schlecht machen, blah blah. Ich finde aber, dass ich in dieser Angelegenheit genau so eine Meinung habe wie jeder andere und ich bin verdammt noch mal nicht eingeschränkt, nur weil ich damals 15 war und heute erst 21 bin.

Ich bin nicht mehr das kleine Kind, das ihr all die Jahre in mir gesehen habt. Und ich bin auch kein Schauspieler mehr. Ich bin niemand mehr, der sich einschließt und Stunden im Zimmer heult. Ich bin ich. Und ich weiß, was mir gut tut und was nicht. Und vor allem weiß ich, wer mich im Ganzen mit meiner problematischen Psyche und meiner komplizierten Art ehrlich liebt.
Zwar habe ich noch nicht alles so recht im Griff, aber weiß, was getan werden muss, weil ich es schon mal geschafft habe, mich aus der Scheiße zu ziehen. Denn ich habe seit fast 8 Jahren Depressionen und trotz Mobbing auch nach der Realschule den Abschluss mit 2,0 und eine Schülerzeitungskarriere geschafft.

Ich kann was. Und das beste ist: Ich muss euch nichts davon beweisen!

…weil ich mein eigener Mensch bin.

Posted by Journey

Kategorie: Allgemein

Autor: Journey

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2 Kommentare        

Hi Journey,obwohl ich nun schon lange keinen Kommentar mehr geschrieben habe, war ich doch regelmäßig auf deinem blog. Ich habe mir auch oft die Mühe gemacht nachzuschauen und zu vergleichen, wie alles denn so immer vor einem Jahr bei dir war.
Jetzt halte ich es für angebracht, noch ein mal zu schreiben.

Deine Entscheidung, das Abi zu stecken und dich um eine vernünftige Therapie in einer Klinik zu kümmern, war vielleicht das Beste, was du je in deinem Leben für dich gemacht hast. Das ist zumindest mein Eindruck.
Ich finde es auch super, dass du dich mit deiner, in dir schon teilweise verschwommenen Vergangenheit ernsthaft auseinandersetzt und recherchierst, um Antworten zu erhalten.
Es ist beeindruckend, wie du deine sinngemäße Talfahrt gestoppt hast und nach vorne siehst. Das freut mich echt :-).

Ich glaube zwar, das was du denkst, das was du sagst und das was du schreibst, nicht immer ein und dasselbe sind. Denn manches von dem was du schreibst, kommt mir auch nicht richtig oder unvollständig vor. Aber das ist ja wohl mein Problem ;-).
Vielleicht sehe auch ich manches falsch, denn ich kenne dich ja nicht richtig und es ist alles ein Frage des Standpunkts.

Wie auch immer denke ich, dass du so weitermachen solltest. Du musst niemand etwas beweisen und du kannst was.
Ich wünsche dir ein noch besseres Jahr 2012 und weiterhin alles Gute.

Hallo „unbekannt“,
erst einmal danke ich dir für deinen Kommentar und für das Vergleichen!!
Ja, vor einem Jahr war wirklich alles noch ganz anders…und ich habe mich auch sehr verändert und fühle mich so, wie es jetzt ist, viel freier als noch vor einem Jahr. Ich versuche mich von dem zu trennen, was mir nicht gut tut oder was mich aufhält…nach und nach… : )
Leichter ist es allerdings nicht geworden…diese Berg- und Talfahrt muss ich immer noch sehr oft erleben und es gibt auch Tage, an denen mir einfach wieder alles zu viel wird. Aber ich lasse meine Gefühle dazu nicht mehr so raus wie früher…sprich: Ich versuche nicht durchzudrehen und Unsinn anzustellen, auch wenn es schwer ist.
Und dass mit dem „nicht richtigen Text“ kommt denke ich bei den Dingen vor, bei denen ich mir einfach nicht sicher bin. Alles, was mir so im Kopf herumgeistert, kann ich eben auch nicht so gut in Worte fassen…besonders nicht, wenn mein Kopf sich nicht auf einen Standpunkt einigen kann…

Ich wünsche dir auch ein gutes neues Jahr! : )

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