Ich sehe nichtsahnend in mein Postfach bei wer-kennt-wen, wo ich nur eine Person kenne (Kai), und falle fast vom Stuhl. Heute morgen habe ich nämlich aus Frust einen Satz bei „Das Neuste“ hingeschrieben. Kleine Anmerkung: Alle können das lesen und minütlich schreibt irgendjemand aus Deutschland bei sich ins Neuste. Auf einer extra Seite werden dann die ganzen Neuigkeiten aufglistet. Ich habe folgendes geschrieben:
Irgendwo gibt es einen Ort
An dem ich jemand bin
Auch wenn das bedeuten mag
Dass ich dann nicht mehr ich
Sondern irgendjemand anders bin
Jedenfalls fühle ich mich jetzt in meiner Vermutung bestätigt, dass es Leute gibt, die sich „das Neuste“ von anderen durchlesen…
In meinem Fall haben mir sieben, mir völlig unbekannte Männer, geschrieben.
Das war der eine Schock. Der zweite: Ich habe heute etwas getan. Und ich bereue es nicht im Geringsten, denn ich habe das gebraucht. Und auch, wenn es ein völlig anderes Gefühl war, als es sonst ist. Ich habe Jo besucht. Man kann jetzt spekulieren und meinen, dass ich Angst vor dem Vergessen hätte. Habe ich auch. Aber ich will nicht mit diesem Gedanken leben müssen, ihn nicht mehr zu sehen. Dann würde nämlich etwas fehlen. Und auch, wenn ich nichts mit ihm anfangen kann, anfangen darf, muss ich ihn trotzdem sehen. Mit ihm reden.
Und der Schock war: Er war nüchtern. Und schüchtern. Und war tatsächlich am Aufräumen…Aber: Er hat sich gefreut mich zu sehen.
Ich habe wie jedes Mal an die Scheibe von der Glastür geklopft. Erst hat er mich nicht gehört, dann habe ich nochmal geklopft. Und ich dachte nicht, dass er allein wäre. Denn das Auto von seinem Kumpel stand vor der Tür. Doch er war es… Er hat gelächelt, als er mich sah. Und ich fragte ihn, ob ich reinkommen dürfe. Er meinte. „Ja selbstverständlich!“
Ich setzte mich auf den „einen Stuhl“ und er setzte sich links von mir auf seinen. Aber er schwieg. Dann fragte ich ihn, ob er endlich mal einen anderen Sender reinbekommen hätte, da ZDF und nicht KIKA lief. Er meinte: „Da läuft sowieso nur scheiß…“ und zappte. Schweigen. Und dann stellte ich in pädagogischen Abständen Fragen. Fragen, dessen Antworten nicht länger als 1 bis zwei Sätze gingen. Am Ende kam es mir vor, wie in einem Verhör und gab mich geschlagen. Denn im Grunde kannte ich die wahren Antworten, doch er ging nicht ins Detail. Ich wollte das alles nur von ihm selbst hören. Dass er endgültig mit seiner Freundin Schluss gemacht hat. Dass ihn alle hassen und er zu keiner Party mehr eingeladen wird. Er saß allerdings still da, während ich vollkommen aktiv und interessiert wirkte. Ich denke, das war der Kontrast. Und nein, ich bin nicht fies indem ich ihn absichtlich an sein Schicksal erinnere. Ich bin…nur jemand, der sich Sorgen macht. Und ich bin jemand, der diese Fragen sanft stellt. So formuliert, dass er selbst entscheiden kann, ob er sie so oder so beantwortet. Keine ins Detail gehende Fragen. Wie kann ich da detaillierte Antworten erwarten? Aber okay, das gibt mir natürlich zu denken. Er will nicht reden.
Mir wird klar, dass wir uns ähnlicher sind, als ich angenommen hatte. Wir sind beide Leute, die Probleme mit sich ausmachen. Aber ich mache mir Sorgen, dass er sie einfach vergräbt und sich nicht mit ihnen auseinandersetzt. So wie ich beim Schreiben zum Beispiel. Er ertränkt sie, bläst sie in die Luft und verspielt sie.
Irgendwann meinte ich: „Soll ich gehen?“ Er meinte dann, es tue ihm Leid (!), aber er müsse jetzt noch aufräumen. Ich habe ihn wohl genauso schockiert, wie er mich. Kein Alkohol auf dem Tisch oder überhaupt irgendwo. Nur geraucht hat er. Ich sah beschäftigt auf mein Handy, dass ich extra auf lautlos gestellt hatte und sah, dass meine beste Freundin Maze mich bereits zweimal versucht hat anzurufen. Nach dem gestrigen Auftritt war das auch verständlich. Also meinte ich: „Ich gehe mal…“ Und er meinte wieder, dass es ihm Leid tue. Ich frage mich, was wirklich hinter diesen Worten steckt.
Als ich meinen Mantel wieder angezogen hatte, wollte ich eigentlich noch nicht gehen. Ich stand also da. Und ich wusste, es war richtig „das“ hinauszuzögern. Er stand auf und machte mir die Glastür auf, was ich selbst natürlich auch hinbekommen hätte. Und ich ging ein, zwei Schritte auf ihn zu, sah ihm in die Augen und umarmte ihn. Einfach so. Er hätte das in seinem Zustand nicht hinbekommen. Er war…er ist, um es ehrlich zu sagen, kaputt. Zerstört. Am Ende. Und so etwas biegt man nicht hin. Jedenfalls nicht auf einmal.
Ich hoffe nur, ich mache nicht alles noch schlimmer, denn das will ich nicht.