Eine Entschuldigung und ein neuer Heiratsantrag

Ich wusste nicht, was ich mit diesem Samstag anfangen sollte. Geschrieben habe ich schon, gelesen auch, aber was ich wirklich wollte, war wie immer unter die Leute gehen. Also rief ich U. an und fragte ihn, was er mache. Er sagte, er treffe sich mit Jo und A. im Parkhotel. Ich meinte, ich komme mit und machte mich auch auf den Weg dorthin. Nur, dass noch niemand da war. Ich rief ihn also noch einmal an und natürlich waren sie alle noch bei Jo. Geduldig wartete ich, bis die drei um die Ecke kamen. Jo fing natürlich sofort an zu grinsen. Und ich konnte nicht anders als ebenfalls zu grinsen.
Wir gingen ins Hotel und begrüßten erstmal alle, die wir kannten. Dann bestellten wir Schorle für Jo und A., Bier für meinen Dad und Radler für mich. A. machte mal wieder irgendwelche dummen Anmerkungen betreffend Jo, und meiner Wenigkeit Doch das war ich mittlerweile gewohnt und nahm das daher hin.
Ich brachte Jo dazu sich bei mir wegen der Beleidigung betreffend der Marie-Antoinette-Bluse zu entschuldigen. Und A. meinte, ich könne mir nun etwas darauf einbilden, da er sich sonst nie so entschuldigt. Er meinte auch noch, ich solle lieber dafür sorgen, dass Jo ein Wasser statt einem Schorle bekommt. Ich sagte ihm, er würde ausflippen, wenn er kein Schorle bekommen würde. Und da nahm er Jo in Schutz und meinte, dass ich das nicht sagen solle. Damit traf er natürlich ins Schwarze und ich hatte wieder Mitleid mit Jo. Und es ist ein wortwörtliches Mitleid. Ich leide wirklich mit ihm mit. Obwohl er nicht immer so aussieht, als würde er leiden. Er vertuscht wohl das Ganze durch seinen paradoxen Charakter.
Ich fragte Jo jedenfalls, ob er am Abend gut heimgekommen sei. Und er fragte einfach nur: „Wirst du wieder frech?“ Obwohl, so frech war die Frage gar nicht. Sie war keineswegs zynisch gestellt. Aber für Jo ist das wohl eine der schlimmsten Fragen überhaupt, die man ihm stellen kann. Egal wie sie gemeint ist. Aber was ihn noch mehr reizt ist die Frage, wie er denn geschlafen habe. Als ich zuletzt diese Frage gestellt habe, hat er sich richtig aufgeregt und meinte irgendwann, er habe gar nicht geschlafen und die ganze Nacht Poker im Internet gespielt.

Wenig später zogen wir ins Raucherzimmer um, wo nur eine Frau von der Feuerwehr-Band saß. Wir grüßten freundlich und Jo begann wieder zu diskutieren. Er fragte sie, was man bei Wasserschaden, wahrscheinlich durch einen Feuerwehreinsatz, machen könne. Ich hörte eigentlich gar nicht richtig zu. Nur das, was Jo von sich gab. Denn ich wusste, dass er eigentlich selbst seine Wohnung unter Wasser gesetzt hat. Die Frau nahm ihn allerdings ernst.
Ich beobachtete ihn also die meiste Zeit, was mit A. neben mir gar nicht so leicht war. Er machte ständig Witze über mich, warum ich denn so leise sei und nichts sagen würde. Ich sagte ihm einfach, ich hätte nichts zu sagen. Dann widersprach er mir und meinte, jeder habe eine Meinung. Er verstand einfach nicht, dass ich meine Meinung nicht zu etwas hinzufügen kann, wovon ich wenig Ahnung habe. Zum Beispiel redete Jo gerade von Versicherungen.
Bei A. ist es so, dass er einem immer widerspricht. Ich habe ihn noch nie „Ja, stimmt“ oder „Du hast Recht“ sagen hören. Und du streitest mit ihm solange rum, weil du denkst, das müsste er doch eigentlich verstehen, bis er anfängt von seiner Ex-Frau zu reden. Ich habe nichts dagegen, wenn er davon anfängt. Man muss sich den Schmerz von der Seele reden. Aber hierbei würde er mir wieder nicht Recht geben, weil er es nicht als Schmerz sieht…usw.
Jo redete mal wieder ununterbrochen. Wie immer, wenn er sich an etwas festgebissen hatte. Irgendwann merkte er, dass ich ja auch da bin und meinte: „Ja, Julia, jetzt erzähl doch mal einen Schwank aus deiner Jugendzeit!“ Ich blickte in mein Glas und fragte nur: „Welche Jugendzeit denn?“ Und ich dachte mir, ich würde doch sowieso nichts erleben. Eine Affäre reicht mir. Und das Dumme ist, dass man aus Fehlern lernt. Ergo: Lieber keine Männer mehr! Nur 100%-ig festlegen kann ich mich da auch nicht. Es läuft einem immer jemand über den Weg. Nur ich warte nicht mehr sehnsüchtig darauf. Und wenn man einmal so verliebt ist, dass man keinen anderen Mann mehr wahrnimmt, dann hat sich das sowieso erübrigt.

Jo erzählte nun von seinem größten Problem. Und zwar morgens in den Spiegel zu schauen. Er meinte, er sei wirklich schlimm und er sehe ja so scheiße aus. Aber natürlich würde das alles nur an dem Spiegel liegen. Ich sagte: „Kommt, wir schenken Jo einen neuen Badezimmerspiegel!“ A. machte sich wieder über mich lustig. Er zuckte demonstrativ zusammen und sagte voller Verblüffung: „Sie kann ja sprechen!“
Ich fragte Jo, was er denn gestern Abend so getrunken habe. Er meinte: „Soll ich das jetzt alles aufzählen? Da sitzen wir dann bis heute Abend da.“ Dann fragte er mich: „Du sag mal, wie findest du denn deine Schwiegermutter?“ Ich lächelte und sagte: „Nett.“ Auf einmal wurde es ganz still. Bis ich die Stille mit einer Frage brach: „Wann heiraten wir denn?“ Jo meinte: „Wenn du wieder aus Amerika zurückkommst. Aber du musst dort auch eine Weile bleiben, also nicht wegfliegen und gleich auf Kosten des Vaters wieder zurückfliegen.“ Er lachte. Ich lachte. Mein Dad und A. nicht. Ich versprach es Jo, wie so Vieles auch. Und wieder einmal verstehe ich es nicht. Ist es Ernst oder Spaß? Es muss ja Spaß sein. Aber bei Jo ist vieles anders. Es ist so, dass man nie weiß, was er eigentlich meint, da alles bei ihm nicht ein-, nicht zwei-, sondern mehr als dreideutig ist. So kann also die Lüge, die als Wahrheit getarnt ist, eigentlich doch Wahrheit sein. Und er ist genauso ein wunderbarer Mensch wie er ein Arschloch ist.
Wer noch etwas Witziges sagte, war A. Aber das bekam wohl niemand so recht mit. Er hatte Hunger und wollte unbedingt etwas essen. Und Jo, den man nie essen sieht, meinte: „Nein, wir essen jetzt nichts. Ja hast sie du noch alle!?“ A. überhörte das und war schon am Überlegen, was er essen sollte. Dann sagte er zu meinem Dad: „Du nimmst nen‘ Satat, der fliegt nicht.“ Ein Insiderwitz. Denn mein Dad isst nichts was fliegt, schwimmt und im Wald herumrennt…
Wir aßen jedoch nichts, sondern tranken aus, sahen uns noch kurz die neue Küche vom Parkhotel an und brachen dann Richtung „Türke“ auf, also ins Nest. U. wollte durch den Park gehen, weil die „Bäume ja so schön sind“ und Jo durch die Stadt. Ich dachte mir schon in Gedanken aus, dass ich natürlich Jo folgen würde, aber dann gingen wir alle durch die Stadt. A. war noch mit seinem älteren Sohn unterwegs, kam aber schnell nach.
Auf dem Weg kam ich mit Jo ins Gespräch. Er meinte, mein Brandy, den ich ihm mitgebracht hatte sei super. Ich war froh darüber, fragte aber, ob er denn unbedingt am Morgen Brandy trinken müsse. Er meinte: „Ich habe zwei Flaschen daheim stehen. Absinth von deinem Vater und den Brandy von dir. Ja wär’s dir lieber, wir hätten Absinth gesoffen?“ Und ich antwortete zuckersüß: „Nein, dann hätten wir ja nichts mehr von dir!“ Daraufhin blieb er stehen, sah mich an und fragte „Muss ich dich wieder beleidigen?“ und ging dann weiter. Nun musste ich etwas schneller laufen um mit ihm Schritt zu halten. Ich antwortete ihm: „Nein, wieso?“ Und er regte sich auf und sagte: „Ich bin hier der Charmeur!!…und nicht du.“ Und ich meinte nur noch, dass ich bis jetzt davon nichts gemerkt hätte.

Im Nest sah ich Dieter, Carla, zwei Unbekannte und meine Friseurin. Ich setzte mich zu ihr und wir unterhielten uns über gestern. Sie war ganz schockiert, dass ich mehr getrunken hatte als sie. Obwohl, so viel war das gar nicht. Nun, es war schon mal mehr, daher würde ich sagen vom Grad her in der Mitte. Wenn man vorher etwas isst, verträgt man auch mehr.
Jo suchte wie immer eine Diskussion. Diesmal mit meiner Friseurin. Mein Dad und A. waren schon wieder gegangen. Auf dem Weg ins Irish, Fußball gucken. Komisch, dass Jo irgendwie nie dorthin mitgeht.
Er meinte jedenfalls zu ihr: „Du, ich komm dann am Montag so um neun vorbei…“ Sie sah ihn mit ihrem typisch verachtenden Blick an und zeigte ihm daraufhin den Mittelfinger. Jo wurde klar, dass sie das falsch verstanden hatte und sagte: „Nein, nicht zum Sex…zum Haare schneiden.“ Dumm nur, dass sie am Montag ihren Salon geschlossen hat. Das löste eine Diskussion über Friseure aus. Sie habe alles versucht, aber am Montag würde sie nicht wegen ein paar Kunden aufmachen. Außerdem habe sie ja samstags geöffnet. Auf die Frage, was sie dann denn am Montag mache, antwortete sie, sie würde sich um Abrechnungen und was noch alles ansteht kümmern. Der Mann neben ihr gab ihr Recht und Dieter glaube ich auch. Nur Jo hörte halbherzig zu und fragte dann noch einmal, ob er am Montag kommen könne.

Ich wollte gerade nach meinem Glas greifen, da sagte auf einmal der Mann neben mir sehr laut, sodass ich erschrak: „Oh, du auch?!“ Ich wusste zunächst gar nicht was er meinte, vergaß mein Glas und sah ihn an. Dann hielt er mir seinen kleinen Finger hin, der rot lackiert war. Meine Nägel waren das auch, daher die Verbundenheit. Die Nägel waren sogar in derselben Farbe, das bestätigte der Maler, der zwischen Dieter und dem Unbekannten saß. Ich fragte ihn, ob er denn nur einen lackiert habe. Er zeigte daraufhin in eine Richtung und meinte, irgendjemand dort habe ihm den Nagel lackiert. Ich fragte auch nicht weiter nach, war aber amüsiert und stieß mit ihm auf unsere Nägel an.

Viel passierte nicht mehr, nur der Mann neben mir verabschiedete sich, genauso wie der Maler und eine Frau mit ihrem Kind. Meine Friseurin sagte zu den beiden Männern noch zum Abschied ihren berühmten Spruch: „Geht mir nicht mit fremden Frauen mit!“ Zu mir sagt sie immer, ich solle nicht mit fremden Männern mitgehen.
Jo unterhielt sich nun mit Dieter und ließ ab und zu seine Perversitäten verlauten, die ich hier gar nicht nennen möchte. Meine Friseurin und Carla gaben ihm allerdings kräftig Kontra oder versuchten es zumindest, denn Jo hörte ja nicht zu. Jo hört Frauen nie wirklich zu. Und wenn ich ihn frage: „Jo, wirst du wieder Frauendfeindlich?“ meint er nur: „Nein, ich mag Frauen.“
Aber er muss immer irgendeine Rolle spielen. Und so war er wieder mal so freundlich und hat Dieter, Carla und sich einen Schnaps ausgegeben. Meiner Friseurin und mir natürlich nicht. Und ich regte mich fürchterlich auf. Carla gab uns dann zwei Williams, weil sie das auch unverschämt fand, und ich kippte den auf Ex runter – wie immer. Meine Friseurin sah mich schockiert an, da sie das nicht so könne wie ich. Sie trank ihren Schnaps auf zweimal. Und irgendwie kamen wir dann auf das Thema Heiraten. Sie war sich sicher, dass sie Jo nie heiraten würde und das sagte sie ihm auch. Und bevor er etwas sagen konnte, sagte ich: „Du, mach dir keine Sorgen, du kannst ihn nicht heiraten, weil ich ihn heiraten werde.“ Daraufhin meinte sie „Gut“ und niemand sagte etwas dazu.

Carla fiel noch ein, dass sie etwas besorgen musste. Sie verschwand dann, um kurz einkaufen zu gehen und ließ uns alleine. In dieser Zeit kam Kai mit seiner kleinen Tochter in die Kneipe. Er bediente sich selbst, da er auch mal im Nest ausgeholfen hatte und Carla auch meinte, wir könnten uns selbst bedienen. Kai schenkte seiner Tochter Fanta und sich Cola ein.
Carla blieb auch nicht sehr lange weg und kam bald wieder. Sie gab der kleinen Buntstifte und Papier, damit sie sich beschäftigen konnte. Meine Friseurin setzte sich zu dem Mädchen und zeigte ihr, wie man Häuser, Blumen und Vögel malte.
Jo zahlte irgendwann und sagte wie so oft nicht einmal Tschüss. Aber ich erwarte das auch gar nicht mehr. So ist Jo. Geht einfach. Ich frage mich manchmal, was ich eigentlich für ihn bin…

Neben mich setzte sich dann ein Mann, der ein Schnitzel bestellte. Meine Friseurin wurde an ihren Rinderbraten erinnert und meinte, sie müsse bald gehen und kochen. Ich trank noch aus, zahlte und Kai meinte dann, wir sollten noch unser Horoskop lesen. Diesmal waren es nur zwei Planeten und irgendwas sagte mir, dass es heute auch nicht mehr drei werden würden, obwohl ich nicht an Horoskope glaube. Ich machte mich auf den Nachhauseweg.

Posted by Journey

Kategorie: Kneipentagebuch

Autor: Journey

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