Selbstmordgedanken und ein Abend mit Frank und meiner Friseurin

Es war ein ganz normaler Abend, und eigentlich ging es mir gut. Aber anscheinend sah ich nicht so aus, denn Jo rief mir in unregelmäßigen Abständen zu „Lächeln, Mädl, lächeln!“ Ich lächelte daraufhin demonstrativ, damit er Ruhe gab. Dann meinte er auf einmal: „Lächel doch mal! Du sitzt neben dem bestangezogensten und gutaussehensten Mann Villingens, oder nein, das ist Herb…aber der ist nicht da…“ Er deutete auf Wal-y. Ich sah Wal-y an, der mich anlächelte. Ich lächelte nur wieder um ihm zu beweisen, dass es mir blendend ging, sagte aber nichts.
Dann begann ich den größten Fehler des ganzen Abends. Ich setzte mich zu Jo und Larry (A.’s Bruder), an den Tisch. Dort kamen wir auf ein ganz tolles Thema: Selbstmord. Jo redete mir natürlich ein, dass ich vollkommen depressiv sei und lieferte mir gute Argumente, warum ich meinem ach so trostlosen Leben endlich ein Ende setzen sollte. Wie ich das am besten anstellen sollte, sagte er mir auch noch. Er sprach sogar die Gedanken aus, die ich ab und zu wirklich dachte, an die ich jetzt aber unter keinen Umständen denken wollte. Ich wusste wie spät es war, dass sein langsames Trinken darauf zurückführt, dass er schon zu viel getrunken hatte und dass ich ihn nicht ernst nehmen sollte. Ich beherrschte mich keine Schwäche zu zeigen. Man sah mir aber trotzdem an, dass ich nun wirklich unglücklich war und Larry schenkte mir zum Trost eine Rose.
Sabrina setzte sich auch zu uns und Jo meinte, sie sei eine der mutigsten Frauen, da sie Jo kennt und trotzdem seinen Bruder Jens geheiratet hat. Ich sagte daraufhin: „Noch mutiger wäre die Frau, die dich heiratet.“ Die beiden lachten nur und meinten, die gäbe es nicht. Die beiden redeten noch etwas über Bestattungsarten und dann setzte sich Jens neben mich, um mich auch etwas aufzuheitern. Anscheinend sah ich immer noch unglücklich aus. Doch wegen was ich wirklich unglücklich war, ist schwer zu erklären. Ich war nicht darüber unglücklich, dass man mir sagte, mein Leben sei scheiße und ich solle mich endlich umbringen, sondern weil ich die jüngste war. Die jüngste unter den Alten. Und dieses Jungsein ist es, was mich unglücklich macht. Doch das Nest ist der einzige Ort, wo ich mich wirklich wohl fühle. Würde ich mir selbst das wegnehmen, hätte ich zwar noch ein paar Freunde in meinem Alter, aber ich brauche den Ausgleich. Und ohne den wäre mir das mit dem Selbstmord sogar verständlich. Denn dann wäre ich nur ein halber Mensch und nicht einmal das.

Jo dachte wohl, jetzt habe er mich soweit mir seinen Plan anzudrehen. Und der war, mich nach Amerika zu schicken. Ich war vollkommen verblüfft, weil er mich erst in die Tiefe stürzen lässt und mich dann wieder rausholt. Sein Vorschlag schien mir aber gar nicht mal so schlecht und ich versprach ihm, wenn das funktionieren sollte, fliege ich wirklich für ein Jahr dorthin. Ich dachte mir, dass würde er alles sowieso wieder vergessen.
Jo wollte mit mir darauf anstoßen, doch mein Glas war leer. Also füllte er etwas von seinem Schorle in mein Schorleglas und wir stießen an. Und ich fühlte mich intelligent genug um Folgendes zu sagen: „Danke, wie solidarisch von dir.“ Aber er meinte bloß, ob ich ihm das Fremdwort in der Mitte erklären könne. Ich sagte nichts, weil ich wusste, dass er wusste, was ich eigentlich meine. Zusätzlich machte er mir mal wieder einen Heiratsantrag und als ich „Ja“ sagte, sah er mich erschrocken an und meinte: „Nein, ich heirate dich nicht!“ Ich sagte ihm, er wisse ja noch nicht einmal wirklich wie ich heiße, weil er mich immer Mädl nennt. Er meinte: „Doch. Louisiana ohne ana.“ Schriftlich macht das natürlich keinen Sinn. Mündlich genauso wenig… Ich fand es trotzdem süß, dass er sich SO meinen Namen merkte bzw. dass er sich den überhaupt irgendwie merkte…
Zwischendurch tauchte eine Frau auf, die Jo anscheinend kannte und sie ihn auch, denn sie zeigte ihm, als sie ihn sah, demonstrativ den Mittelfinger. Da war nichts mehr zu retten. Er war bei ihr ganz unten durch. Anscheinend habe er sie dumm angemacht und sie ihm so dermaßen in die Rippen gehauen, dass es ihm immer noch wehtat. Was mich wunderte war die Tatsache, dass sie blond war. Wie seine Ex-oder-nicht-Ex. Wie Claudia. Wie ich…teilweise zumindest.

Ich gesellte mich nun lieber zu Frank. Der baute mich wieder auf. Denn nun lachte ich wieder und vergaß das mit dem Selbstmord. Er fragte mich, ob ich wieder Rosen bekommen hätte und ich sagte: „Ja, vom Larry.“ Dann zeigte er mir seine Zigarettenschachtel von Lucky Strike, die schwarz statt rot-weiß war. Ich fand die natürlich supertoll und er erzähle mir, er habe die aus dem Automaten und sie sei auf eine bestimmte Stückzahl limitiert.
Irgendwann wollte Larry gehen. Er kam aber noch einmal zu mir und umarmte mich zum Abschied. Und diesmal war er es, der ein Glas zerstörte, bzw. vielleicht doch ich… Ehrlich gesagt ist das aus meiner Sicht schwer zu sagen. Ich hätte es sein können mit meiner Umhängetasche oder Larry mit seinem Arm. Ich habe aber das Gefühl, dass ich es war. Doch Frank verteidigte mich und meinte, dass das Larry gewesen war.
Jo sah zu, wie ich mich wieder ins Leben katapultiert hatte. Ich ging kurz zu ihm rüber, denn er wollte gerade gehen. Er fragte: „Du fängst jetzt aber nichts mit dem an?!“ und deutete auf Frank. Und ich meinte, das werde ich nicht, er sei nur ein guter Freund. Frank würde wohl an die Decke gehen, wenn er wüsste, dass Jo das zu mir gesagt hatte. Denn er hasst diese Sprüche von ihm. Ich muss sagen, dass das im Gegensatz zu den anderen Sprüchen noch harmlos ist. Aber trotzdem: Ich mag Jo, egal was er sagt. Auch wenn er mir in einem Moment Hoffnungen macht und sie im nächsten wieder zerstört.
Zum Abschied umarmte ich ihn kurz. Und wie immer ließ ich es so aussehen, als sei es eine Art Rache, was es natürlich nicht war. Ich versuchte ihm auf diese Art ein schlechtes Gewissen zu machen. Also fragte ich – um dem ganzen das nötige Etwas zu geben – ganz lieb und mit einem Strahlen im Gesicht, bei dem nur noch das enthusiastische Augenzwinkern gefehlt hätte: „Gehst du schon?“ Und er antwortete tatsächlich: „Ja…willst du mit.“ Und ich sagte diesmal: „Nein.“ Dann umarmte er mich, gab mir Küsse auf Wange und Stirn, sah mir anschließend verschwörerisch in die Augen und sagte: „Du hast zugenommen…besonders so um die Hüften rum…“ Daraufhin habe ich ihm eine Ohrfeige angedroht und er ist lachend abgehauen. Wohin er geht, das weiß man nie. Du kannst mit ihm durch die Stadt gehen, kurz unachtsam sein, und dann ist er weg.

Mein Abend war natürlich noch nicht vorbei. Ich zog anschließend mit Frank und meiner Friseurin um die Häuser. Zuerst gingen wir ins O. und setzten uns unten an die Bar. Da dort um die Zeit allerdings nur komische Leute waren, gingen wir nach einer Weile. Als nächstes wollten wir ins W. Meine Antipathie gegen dieses Lokal musste ich also über Bord werfen. Nach vier Schorle und innerlicher Zertrümmerung geht man auch überall hin mit. Und außerdem sind gute Freunde wichtiger als ein Lokal voller junger Leute, die alle irgendwo ein Rad abhaben.
Dort bestellten wir uns wieder Schorle und Frank bat mir sogar eine Zigarette an. Ich bedankte mich dafür und sagte, dass ich nur ab und zu rauchen würde. Nur wenn ich in der Kneipe bin und niemand da ist, den ich kenne. Er fand das okay so.
Also rauchten wir, tranken Schorle und sprachen über alles Mögliche. Über Affären, Liebe und was uns noch so gerade beschäftigte. Und meine Friseurin sorge dafür, dass Frank mich am Ende nach Hause brachte. Ich gab ihm meine Handynummer, die ich fein säuberlich für jemanden auf einen Zettel aufgeschrieben hatte. Doch das interessierte mich in diesem Moment nicht und ich gab sie Frank. Zettel kann man neu schreiben.

Posted by Journey

Kategorie: Kneipentagebuch

Autor: Journey

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