Das Boule-Turier, an dem niemand gewinnen konnte

Am Morgen rief ich Jo an, da ich nicht mehr den genauen Termin für das Boule-Turnier wusste und weil ich ihn einfach mal anrufen wollte. Da ich seine Visitenkarte am letzten Abend eingesteckt hatte, wusste ich ja nun seine Handynummer.
Er meldete sich mit seinem Nachnamen und mit sehr kratziger Stimme, die mir sagte, dass er gestern wohl wirklich „einen sitzen hatte“ wie meine beste Freundin immer so schön sagt. Sie ist eine der wenigen Gleichaltrigen mit denen ich gut auskomme und während ich einen bestimmten Mann haben will, möchte sie eher „viele Unbestimmte“.

Ich sagte Jo zuerst meinen Namen und wartete dann einen Moment, ob er überhaupt noch wusste, dass es mich gibt. Wusste er. Dann fragte ich ihn nach der Uhrzeit und er sagte mir, wann und wo wir uns alle treffen würden. Er schien sich kein bisschen zu wundern, warum ich ihn an morgen anrufe und das auch noch auf seinem Handy. Er ließ sich zumindest nichts anmerken.

Ich war natürlich die erste am Bahnhof, unserem Treffpunkt, wusste die Uhrzeit, wann der Zug abfahren sollte, aber nicht wo genau wir verabredet waren. Also lief ich im Bahnhofsgebäude umher, sah mal nach links, wo es zu den Gleisen ging und mal nach rechts, wo der Haupteingang war. Irgendwann sah ich Jens und seine Frau Sabrina kommen. Ich sah mir mit Sabrina noch einmal den Fahrplan an, den wir allerdings nicht wirklich verstanden. Da stand nämlich, dass am Samstag kein Zug nach S. fährt, wo das Turnier stattfinden sollte.
Wir dachten uns also zuerst, Jo könnte den Plan nicht lesen. Als dieser jedoch kam, als letzter mit A. versteht sich, stauchte er uns zusammen, wir könnten nicht richtig lesen. Und er hatte Recht. Wir konnten wirklich den Plan nicht richtig lesen. Oder zumindest nicht die Stellen, die mit irgendwelchen Sternchen gekennzeichnet waren.

Beim Warten auf den Zug rauchten natürlich alle schnell noch eine. Mit dabei waren: Jo, A., Jens, Sabrina, der Uhr mit seiner Frau und seine zwei Söhne.
Jo machte sich eine neue Zigarettenpackung auf, sah sich um, nahm dann auf einmal meine Hand und gab mir den Müll. Erst stand ich wie angewurzelt da, dann wurde mir klar, dass ich als Mülleimer missbraucht wurde. Ich schubste ihn also leicht und fragte dann rhetorisch: „Sehe ich etwa aus wie ein Mülleimer!?“ Er überlegte daraufhin demonstrativ und antwortete mit einem frechen „Ja“. Ich gab ihm den Müll genervt zurück, woraufhin er ihn mir in die Hosentasche stopfte.
Der Zug kam auch wirklich, so wie Jo es gesagt hatte. Alle bis auf ihn gingen im Zug in das rechte Abteil, er natürlich in das linke und ich folgte ihm. So saßen wir also nebeneinander und irgendwann fragte ich Jo, ob er sich noch an gestern erinnern könne bzw. ob er noch wüsste, dass er mir seine Karte gegeben hatte. Er schüttelte den Kopf, fand das alles aber toll. Dann sagte ich ihm noch, was er gestern alles so gemacht hatte. Er hörte es sich eine Weile an und meinte dann: „Und du merkst dir also alles, was wir sagen?“ Ich antwortete mit „Ja.“
Jo meinte dann noch etwas, was ich öfters von ihm höre: „Ach Mädl, du hast’s gut…“ Ich sehe das als „Mädl“, wie er mich immer nennt, etwas anders. Natürlich ist niemand mit sich zufrieden. Jo auch nicht. Er erzählte mir, er habe auf irgendetwas gewettet, das mit Sport zu tun hat. Doch ich kenne mich damit nicht aus. Genauso wie er vermutlich. Und wenn er verliert, wäre er pleite. Er machte dabei kein wirklich glückliches Gesicht. Sein Leben muss zum Teil wirklich mies verlaufen, was mir wieder Sorgen macht.
Aber das alles hinderte ihn natürlich nicht daran einige Leute im Zug auf den Arm zu nehmen. Eine Frau fragte unsicher: „Fährt dieser Zug auch nach R.?“ Und Jo antwortete: „Nein, der fährt jetzt bis nach St.tt. durch.“ Man sah den Leuten an, wie sie sich fragten, ob sie auch im richtigen Zug saßen und die Frau war ganz schockiert. Jo meinte dann lachend: „Nee, der fährt schon nach R.“

Am richtigen Bahnhof angekommen liefen wir alle zum Cafe Ostbahnhof, wo schon ein Feld mit Sand auf uns wartete. Wir gingen natürlich zuerst rein Alkohol bestellen. Ich bestellte nichts. Noch nichts. Dort wurden dann die Teams zusammengestellt und es kam wie es kommen musste: Ich hatte niemanden. Jo bildete mit A. ein Team, weil dessen Freundin nicht kommen konnte oder wollte. Auf jeden Fall wurde ich der Frau vom Uhr zugeteilt. Wir beide hatten natürlich keine Ahnung vom Spiel und waren die ersten, die gleich gegen Jo und A. spielen mussten. Ich gebe es zu, wir waren anfangs schlecht. Aber wir kamen weiter und wurden besser. Und das lag nicht nur am Alkoholpegel.
Mit Jo redete ich nicht mehr viel. Das alles, was ich ihm im Zug über den gestrigen Abend erzählt hatte, vergaß er natürlich wieder und ich musste vieles noch einmal erzählen. Doch er meinte diesmal etwas anderes. Er meinte grinsend, er hätte dann ja wenigstens ein sexuelles Erlebnis gehabt. Ich antwortete nur ironisch: „Ha-ha…“ Erstaunlich wie Alkohol die Menschen verändert. Jo schwört übrigens niemals nüchtern zu sein…
Nach zwei Stunden war er logischerweise schon dicht und torkelte nur noch herum. Seine Ex-oder-nicht-Ex war mittlerweile auch gekommen und Jo hatte nun seine Frauen bei sich: Seine Ex-Freundin Claudia, die mit ihrem Freund kam, seine Ex-oder-nicht-Ex und mich zählen sie auch irgendwie als seine Verlobte dazu. Ich stand allerdings nicht bei Jo und den anderen drei sondern saß in der Nähe von der Frau vom Uhr.
Es fiel wie jedes Mal ein Glas auf den Boden. Und alle sahen Jo an, der es natürlich umgeworfen hatte. Schade, dass ich nicht noch Mal gegen ihn und A. spielen konnte, denn nun spielte Jo nur noch widerwillig und schlecht. Einige feuerten ihn noch solidarisch an, er machte aber ein Gesichtsausdruck nach dem Motto: Haltet bloß eure Klappe!
Meine Mum und mein Dad kamen auch noch und U. löste den Jens als Schiedsrichter ab, der bei seinen Aufzeichnungen bereits den Überblick verloren hatte und sich Sorgen machte, wie er das alles auch noch erklären sollte. Doch mein Dad nahm den Faden locker wieder auf. Er ist normalerweise immer der Schiedsrichter bei diesen Turnieren. Diesmal jedoch musste er noch arbeiten und kam deshalb mit meiner Mum später, die mit jemandem, der auch noch dazu kam und übrig geblieben war, das 9. Team bildete.

Meine Mum kam zwar als Letzte, brachte es allerdings fertig als erstes rauszufliegen. Ich hielt gut durch und unser Team besiegte sogar Claudia mit ihrem Freund, was Jo aber wie gesagt nicht mehr mitbekam. Er meinte nur, mein Stil, wie ich die Kugel werfen würde sei scheiße und das würde ihn eher an Kegeln erinnern.
Insgesamt blieb ich vier bis fünf Stunden bis unser Team gegen das von Sabrina rausflog. Aber extrem knapp. Es war das längste Spiel.
Ich verabschiedete mich von allen. Als ich Jo umarmte fiel mir zum ersten Mal auf wie groß er eigentlich ist. Normalerweise laufe ich mit einigen cm Absatz unter mir durch die Gegend, doch diesmal ging das wegen dem Sand schlecht und ich hatte Turnschuhe an. Ich wünschte ihm zum Abschied noch viel Glück und er solle sich anstrengen. Er war nämlich noch im Turnier und sollte A. nicht alles versauen, der zwar auch betrunken war, aber das wiederum nicht so extrem wie Jo. Wenn man eine Freundin hat, sollte man sich auch nicht so ins bodenlose saufen. Wenigstens hatte er das begriffen. Aber Jo hat ja nicht wirklich eine Freundin.
Jo meinte natürlich, um mir zu widersprechen: „Nein, ich strenge mich nicht an.“ Ich ließ mich nicht abwimmeln und sagte: „Doch.“ Er sagte natürlich wieder „Nein.“ Und so ging das eine Weile hin und her, bis er „Verpiss dich!“ sagte und ich ihm „Verpiss du dich doch!“ antwortete. Er ging daraufhin ein paar Meter weiter weg und ich versuchte wieder runterzukommen und nett zu sein. Er kann einen manchmal wirklich auf die Palme bringen. Deswegen nehmen die Leute ihn unter anderem wohl auch nicht mehr ernst.

Ich weiß nicht, ob es gut oder schlecht war zu gehen. Wie ich später erfahren hatte war das ganze Turnier in einem Saufgelage geendet, Jo war mal wieder umgekippt und keiner konnte mir sagen, ob überhaupt noch jemand gespielt hat.
Ich habe beschlossen nächstes Jahr wieder mit der Frau vom Uhr zu spielen. Und diesmal werde ich bis zum Schluss bleiben. Ich will mir nicht mehr den Spruch „Du sollst doch auf Jo aufpassen“ anhören. Ja der wird sich freuen, wenn ich ihm hinterher renne mit den Worten: „Trink nicht so viel, mein Liebster.“ Es ist schwer das Gleichgewicht zu halten. Für ihn im physischen Sinne und für mich im psychischen.

Posted by Journey

Kategorie: Kneipentagebuch

Autor: Journey

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