Neue Frisur

Frauen neigen dazu sich, mit einer neuen Frisur gleich ganz neu zu fühlen. Viel wurde an mir nicht gemacht, nur Strähnen aufgefrischt und Haare geschnitten. Das typische Programm. Aber danach ging es mir trotzdem super, als hätte ich gleich ganz neue Haare. Und wie immer bekomme ich die Frisur nie wieder so hin wie der Friseur. Aber darüber zerbreche ich mir schon lange nicht mehr den Kopf. Friseure müssen ja auch Geld verdienen.
Mit meiner Friseurin redete und tratschte ich jedenfalls wie immer. Es kam sogar Carla vorbei und präsentierte uns ihren neuen Rock im Camouflage -Look.
Als meine Frisur fertig war, zahlte ich und ging noch mit Carla einen Kaffee trinken. Sie aß auch noch ein großes Stück Kuchen dazu. Wir unterhielten uns über Jo. Egal mit wem ich rede, irgendwann kommt immer sein Name vor. Er hat wohl so eine Art an sich, damit die Leute auch ja über ihn reden. Und bei mir wirkt das natürlich doppelt.
Ich sah, dass Carla auch so eine schwarze Lucky-Strike-Schachtel wie Frank hatte und sie meinte, dass wäre schon ihre zweite. Doch ich traute mich nicht, sie danach zu fragen. Ich hätte ja nur gerne die Schachtel…den Inhalt brauche ich nicht.
Wir bummelten noch eine Weile in der Stadt herum und trafen schließlich auf Jo, der vor einem Café mit anderen Bekannten saß. Carla und ich gingen jedoch weiter und sie zeigte mir, wo sie den Rock gekauft hatte. Ich kaufte ihn mir auch, denn er gefiel mir und war nicht teuer. Anschließend kaufte sie sich noch etwas zu essen. Ich war erstaunt, wie viel sie aß. Die Bonbonbüchse im Frisiersalon hatte sie nämlich auch schon geplündert…
Ich versprach ihr, dass ich am Abend ins Nest kommen würde und wir verabschiedeten uns. Sie in Richtung Nest und ich nach Hause.

Am Abend setzte ich mich mit neuer Frisur in die Kneipe. Jo war nicht da, nur Larry und R. Der Wirt zeigte uns seine neue Kasse mit der er zwar angab, aber wahrscheinlich nicht richtig umgehen konnte. Belustigt stellte R. fest, dass auf seinem Kassenzettel „Tisch 2“ stand. Wir saßen alle übrigens an der Theke. Larry verstand das mit den Zetteln gar nicht und wusste nun nicht einmal mehr, wie er zahlen sollte. Aber er war noch in der Lage einige Witze zu machen, die keiner verstand, weil er betrunken schwer zu verstehen ist. Zum Beispiel hörte ich aus seinen Monologen folgenden Satz heraus: „Jaja, der R. is groß un stark…intelligente muss es au gebe.“
Und als Jo dann schließlich doch noch die Kneipe betrat, sah ich nur kurz hin und ignorierte ihn anschließend. Er mich auch. Denn ich war immer noch etwas wegen dem Gespräch über Selbstmord gekränkt. Und dass, obwohl ich ihn eigentlich gar nicht ernst nehmen sollte. Aber warum nicht? Nur weil alle anderen keine Lust auf das haben, was er so von sich gibt, heißt das nicht, dass ich das genau so sehe. Außerdem hatte er gute Argumente gehabt. Zu Gute. Die hat er bestimmt in meiner Story, die ich ihm geschickt habe herausgelesen. ‚Ach, war ihm also so langweilig, dass er anfängt meine Story zu lesen‘, dachte ich mir, denn er hatte einmal gesagt, er wolle das erst lesen, wenn’s fertig ist. Mir fehlt noch ein Kapitel.

Es dauerte nicht lange, da sagte der Wirt etwas zu ihm, wofür ich ihm wirklich dankbar war: „Du Drecksäckl! Du musst dich noch bei Julia entschuldigen!“ Und Jo rief ganz laut, weil ich so tat, als würde ich mich gerade heiß und innig auf irgendetwas im Fernsehen konzentrieren: „Für was denn bitte?“ Ich drehte mich mit einem Ruck in seine Richtung und giftete ihn an mit den Worten: „Dafür, dass du gesagt hast, ich soll mich umbringen!“ Dann kam er zu mir und meinte: „Okay, ich entschuldige mich NICHT bei dir…du hast dich ja gar nicht umgebracht?!“ Ich sagte daraufhin, dass er dann aber schuld sei, wenn ich sterben würde. Aus irgendeinem Grund fand er diese Ansicht toll und erzählte mir von Tom Sawyer, dessen Tante und einem Zaun. Natürlich hörte ich ihm zu, so wie immer. Er mag das nicht oder tut zumindest so. Er will die Leute nerven und ich passe nicht in das Schema dieser Leute, denn ich höre ihm eigentlich gerne zu.
Ich wich ihm natürlich nun nicht mehr von der Seite. Mein Vorteil: Ich kann ihn nerven, er mich aber nicht. Er kann mich nur innerlich verletzten, was allerdings auch nicht so schön ist. Mein nächstes Argument mich nicht umzubringen war also: „Dann könnte ich dich ja nicht mehr nerven.“ Dieses Argument gefiel ihm wohl auch, denn er legte seinen Arm um mich. Der nächste Tod über den wir redeten war der von meinem Dad. Jo meinte, wenn ich den ganzen Alkohol erben würde, den wir zu Hause überall haben, würde er mich heiraten. Von dieser Idee waren allerdings nur er und ich begeistert. U. meinte nur: „Dann erbt sie nichts…“
Larry sah etwas eifersüchtig aus und meinte nur die ganze Zeit: „Des passt nit…“ Dabei schüttelte er immer wieder den Kopf. Er verstand nicht, was ich denn an Jo so toll fand. Ehrlich gesagt verstehe ich es manchmal auch nicht…

Später erzählte ich Jo ganz stolz, dass ich beim Friseur gewesen sei und schwang demonstrativ meine Haare herum. Und er meinte nur kühl „Bei der…?“ und deutete auf meine Friseurin, die auch an der Theke saß. Ich antwortete: „Ja“ Daraufhin schrie er durch die ganze Kneipe zu ihr. „Was hast du getan?!“ Und sie sah ihn völlig verwundert an, wusste überhaupt nicht worum es ging und meinte nur: „Was?“ Daraufin diskutierten sie, ob das jetzt scheiße aussieht oder nicht. Ich haute ihm für diese Unverschämtheit eins in die Rippen, weil’s ihm ja so schön wehtut und meinte: „Tut es nicht!!“ Und Jo fragte natürlich dämlich, als hätte ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt: „Nein?“ Und ich antwortete ihm genervt: „Nein…du hättest es ja nicht einmal bemerkt, wenn ich nichts gesagt hätte.“ Und um das Thema nun endgültig abzuhaken fragte er mich also: „Dann sieht das gut aus?“ Und ich meinte nur: „Ja…“
Natürlich hatte er dann den ganzen Abend die Pfoten an meiner Frisur, weil die auf einmal ganz toll war. Über Amerika unterhielten wir uns auch. Ich fragte ihn natürlich provokativ: „Und was ist mit Amerika?“ Und er meinte, das sei in Arbeit. Ich war überrascht, dass er sich noch daran erinnern konnte. Komisch. An das, was er zu mir sagt und ich zu ihm, kann er sich oft erinnern. Oder kommt mir das nur so vor? Wir Frauen sind ja Meister darin in alles eine Liebeserklärung hineinzuinterpretieren und uns die Dinge so vorzustelllen, wie sie vielleicht gar nicht sind…
Ich sagte Jo anschließend, da meine Friseurin ganz alleine am Ende der Theke saß: „Ich verlasse dich.“ Und ließ ihn stehen. Er meinte nur: „Schön…“ Meine Friseurin sagte mir, ich sei viel zu gut für Jo. Sie tat, als hätte sie mich durchschaut. Ich frage mich nur so langsam, ob ich mir das alles wirklich nur einbilde. Spaß und Ernst sind wohl schwieriger auseinander zu halten, als es einem anfangs erscheint.
Frank stieß anschließend noch zu uns und Jo sah mal wieder seine Chance jemanden fertig zu machen. Er kam zu uns und ließ wieder seine Sprüche verlauten betreffend meiner Friseurin. Er behauptete wieder einmal, sie würde mit Frank ins Bett gehen. Ich saß zwischen den beiden Fronten und hörte mir das alles eine Weile an, dann meinte ich kühl, er solle sich verpissen, was er dann auch tat.

Irgendwann wollte er abhauen ohne sich zu verabschieden. Und ich als kluge, aber wohl etwas nervige „Verlobte“ beobachtete ihn natürlich die ganze Zeit und stürzte mich auf ihn, als er verschwinden wollte. Ich umarmte ihn und sagte Sachen wie „Komm’ gut Heim!“ und „Schlaf schön!“ Und er küsste mich auf die Stirn und meinte: „Weißt du, ich mag dich wirklich.“ Ich war vollkommen gerührt und meinte: „Ich dich auch!“ Daraufhin umarmte er mich noch einmal und gab mir Küsse auf Haare und Stirn. Als er ging sah ich ihm hinterher. Und innerlich wusste ich, dass mein Herz nun ihm gehören würde. Egal wie sehr wir auch streiten werden oder er mir Gemeinheiten an den Kopf werfen wird. Ein Herz, das man an einen geliebten Menschen verschenkt, wird wohl langsam abgenutzt werden. Es sei denn, er gibt mir seins. Denn man hat keinen Platz für zwei Herzen. Ich hoffe nur, dass er mir meins nicht eines Tages zerschunden zurückgibt…

Mit meiner Friseurin und Frank saß ich noch eine Weile im Nest und am Ende waren wir die Letzten. Von Frank bekam ich eine Zigarette und wir unterhielten uns noch eine Weile bis er gehen musste. Er meinte, er müsse morgen früh raus. Ich blieb noch mit meiner Friseurin an der Theke. Sie meinte, dass Jo das allerletzte sei – ein Arschloch eben.
Der Wirt machte die Musik, sowie einige Lichter aus und legte uns ein Baguette hin. Wir bedienten uns einfach. Doch sie ging dann nach Hause, weil es schon spät war und ich saß da alleine im Halbdunkel mit dem Baguette. Der Wirt sah mich an und meinte: „Ach, nimm’s mit.“ Und ich war so dankbar für das angebrochene Baguette, als wäre es ein Schatz.

Zuhause angekommen erwartete mich eine Überraschung: Der Pseudo-Engländer saß an meinem Esstisch mit meinem Dad. Beide „gut drauf“, wie unser Wirt immer sagt, wenn jemand komplett betrunken ist. Ich setzte mich zu den beiden an den Tisch. Der Pseudo fing sofort an mit reden. Auf Englisch natürlich. Dann gingen ihm die Erklärungen aus und er sagte mir auf deutsche psychologisch-korrekte Art, dass er bemerkt habe, dass ich in Jo verliebt sei. Des Weiteren meinte er, dass ER mit mir nicht glücklich werden würde. Voller Ironie dankte ich ihm innerlich für die tollen Informationen und ging ins Bett.

 

Tagebuchhinzufügung vom 20.10.08 (irgendwann in der Nacht…)

Ich habe noch etwas zu sagen…Und zwar habe ich immer Angst vor dem Verlieben. Nur leider bin ich das jetzt wieder. Verliebt. Immer begleitet von der ständigen Angst ausgelacht und für dumm gehalten zu werden. Mir fehlt einfach der Mut zum Lieben. Liebe ist anscheinend ein Zeichen von Schwäche. Es ist immer ein Risiko dabei. Denn sobald du dich verliebst, bist du verletzlich und alle stürzen sich auf dich wie die Aasgeier. Aber trotzdem hofft die Liebe. Auf was, das wüsste ich auch gerne. Doch die Hoffnung auf Etwas ist da.
Alles spricht zum größten Teil gegen meine Liebe, denn sie darf nicht sein. Noch nie war ich gleichzeitig so nah und so weit weg an meiner Liebe.
Und keiner kann erklären woher sie kommt und wohin sie vielleicht eines Tages geht. Und wie das so ist, glaube ich, sie hält für immer, doch wird immer einseitig und im Verborgenen, im Stillen sein. Sie dürfte nie ans Tageslicht kommen, denn dann wäre ich verletzlich und alle würden mich in der Luft zerfetzen. Bis ich innerlich tot wäre und nichts mehr von mir übrig bliebe. Dann müsste ich noch einmal von vorne anfangen. Mich nochmals neu aufbauen.

(Kleine Anmerkung: Ich habe dann irgendwann beschlossen dazu zu stehen und habe daran gute Freunde erkannt und die Aasgeier. Und ich lebe immer noch…)

Posted by Journey

Kategorie: Kneipentagebuch

Autor: Journey

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