F32.9

Ich tippe meine Frage in die Adresszeile ein und drücke die Entertaste. Google sucht. Google hilft. Ja, lesen hilft auch. Aber aus Unsicherheit google ich lieber…:

„Was macht man mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung?“

Nun, was habe ich gemacht? Meinen Chef am Telefon informiert (= „Krankmeldung“). Gut. Ihm das falsche Blatt der „Krankschreibung“ (=„Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung“) eingescannt und per Mail geschickt. Hm, weniger gut, aber nicht so tragisch für mich. Ich habe in all der Panik, was man denn nun mit dem Blatt macht, das mir der Arzt mitgegeben hat, nämlich übersehen, dass es neben dem Deckblatt (→ Krankenkasse) und meiner Ausführung (→ Arbeitnehmer) auch noch ein kleineres Blatt gibt, auf dem nicht die Diagnose steht und das für den → Arbeitgeber ist. Na ja, das habe ich meinem Chef dann nachgereicht… Aber ansonsten stehe dazu, was darauf steht. Er ist mein bester Freund und weiß das sowieso.

Und ja, ich bin 31 und wusste nicht, was man mit so einem Wisch vom Arzt eigentlich anfängt. Spricht für mich, dass ich nie krank bin, oder? Wann war ich es denn zuletzt? Vermutlich während meiner Ausbildungszeit… so vor… ähm… 7 oder 8 Jahren, als ich mir die Schulter gebrochen hatte… Ich habe mich ja nicht mal mit Blutvergiftung im Fuß krankschreiben lassen… und stattdessen mein Gesellenstück gemacht…
Ich weiß, das ist eigentlich krank. Starke Arbeitsmoral. Liebe zu meiner Arbeit! Aber krank…

Aber nun zu dem, weshalb ich krank geschrieben bin…
Die letzten Tage waren ein Auf und Ab für mich und leider eher ein Ab als ein Auf…
Faktisch hatte sich rein gar nichts verändert, doch mein Kopf sieht das gerade anders. Er malt alles schwarz, fühlt sich überfordert mit allem, hat Angst und kommt da nicht mehr raus…
Erst wollte ich es nicht so wirklich wahrhaben, aber wenn ich ehrlich zu mir bin, habe ich schon seit einer Weile das Gefühl, immer tiefer zu stürzen. Seit Monaten schleicht sich das Dunkle wieder in mein Bewusstsein. Ich spüre, wie mich Lust und Motivation an allem immer mehr verlassen und ich nichts dagegen tun kann… Mich überfordert auch so vieles noch mehr als sonst… Vor allem die Essensplanung, das Einkaufen, der Haushalt und soziale Kontakte. All das ist unglaublich anstrengend für mich, genauso wie das Arbeiten. Das Haus zu verlassen ist mir ja schon in den letzten Wochen immer wieder mal schwer gefallen an manchen Tagen. Als ich dann unterwegs war und auf der Arbeit was zu tun hatte, ging es dann eine Weile, wenn es eben nicht zu viel war.
Aber am Montagmorgen bin ich aufgewacht und habe gespürt, dass ich was machen muss und dass es so nicht mehr weitergehen kann. Ich will mich nicht zu allem zwingen müssen und weiß, dass das auch mal anders war…

Und so fand ich mich vorgestern Morgen spontan wieder im Wartezimmer meines Psychiaters, der mich aufgrund meiner ADS medikamentös behandelt. Ja, ich habe dort tatsächlich angerufen und gefragt, ob ich einen früheren Termin haben kann, da es mir psychisch nicht so gut geht. (Dass ich dafür meine Telefonphobie überwunden habe bedeutet, dass es mir echt nicht gut geht.)
Das alles war ein enorm schwerer Schritt für mich, denn eingestehen wollte ich mir diese negative Veränderung in meinem Kopf nach wie vor nicht so wirklich, da das schon ein echt großes und schweres Fass ist, das ich mit diesem Eingeständnis aufmache und ich gefühlt damit alle enttäusche. Eine Weile habe ich somit versucht den Deckel weiterhin auf dem Fass zu halten und das alles einfach zu verdrängen und stark zu sein, aber es geht nicht mehr… Jetzt ist dieses Fass offen und ich kann nicht mehr so tun als wäre alles schick.

Auf der Krankschreibung steht:
F90.0 G (einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung) und F32.9 G (Depressive Episode, nicht näher bezeichnet)
Ja, ich bin (wieder) depressiv. Es lässt sich nicht leugnen. Seit heute nehme ich auch wieder Antidepressiva und kämpfe mich jetzt erst mal durch die ellenlange Liste an Therapeuten. Telefonisch… trotz Phobie. Manchmal ist die eine Angst eben größer als die andere…

Posted by Journey

Kategorie: Allgemein

Autor: Journey

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2 Kommentare        

Was ist das eigentlich für eine merkwürdige Metapher? Ein Fass aufmachen. Jetzt liegt der Deckel nicht mehr drauf, jetzt ist das Fass offen. Ist das Fass eigentlich leer und muss jetzt gefüllt werden? Oder ist es voll und muss geleert werden?
Ich glaube, es ist voll, voll mit F32.9, und bevor du den Deckel gehoben hast, war es auch schon voll, aber niemand wusste, was darin ist. Belastet hat es dich aber auch in geschlossenem Zustand.

Insofern – und das ist das einzig Positive, mit dem ich dir Mut zusprechen kann – hast du sehr klug gehandelt, die eine Angst zu ignorieren, um der anderen, größeren gerecht zu werden. Jetzt hast du eine Chance, an das F32.9 heranzukommen und es womöglich zu überwinden.
Ach ja: F32.9 ist lt. Krankschreibung erstmal nur eine „Episode“ – ein doch sehr erfreulicher Bestandteil seines Namens 🙂

Und es gibt Menschen, die an dich denken …

Hallo Pit!

Das ist eine interessante Überlegung… und vermutlich hast du Recht mit deiner Annahme, dass dieses Fass voll mit F32.9 war und ist. Ich habe also jetzt die Chance, etwas mit diesem Inhalt zu tun. Vor allem habe ich denke ich zur richtigen Zeit gehandelt und die „Episode“ nicht schlimmer werden lassen.

Und es gibt Menschen, die an dich denken …

Wow, danke! : ) Das zu lesen tut gut und bedeutet mir auch viel, denn ich schätze dich als Leser und Autor! Vielleicht schaffen wir es ja eines Tages gemeinsam (auf unsere Weise) von Angesicht zu Angesicht zu philosophieren. Das würde mich jedenfalls freuen (und Observer auch, dem deine Kurzgeschichten sehr gefallen haben).

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