Jeder, dem ich von meinem Vorhaben erzähle, ist irgendwie begeistert. Beeindruckt von meinem Mut, einen Job zu verlassen, der mir all die Jahre Spaß gemacht hat und in dem ich sicher war. Zu Hause. Warum all das auch aufgeben? Warum hinter mir lassen, was mich schützt und worin ich auch echt gut bin? Warum eine zweite Ausbildung anfangen wollen mit 34?!
Als ich vor fast einem Jahr den Entschluss gefasst habe zu gehen, waren alle überrascht – inklusive mir (siehe: Ein Neuanfang: Erkenntnisse Teil 1 und Ein Neuanfang: Das Gespräch Teil 2).
Ja, meine Entscheidung kam schon sehr plötzlich, ist aber eben keine „Laune“ gewesen. Im Grunde hat es sich leicht abgezeichnet, dass ich irgendwann gehen würde. Ich wusste zwar nicht wohin und was kommen wird, aber ich handelte mit Bedacht und gab sowohl mir als auch meinem Chef genug Zeit, diese neue Situation anzunehmen. Je näher nun der Tag X rückt, an dem ich das letzte Mal arbeiten werde, desto mehr spüre ich, dass es die richtige Entscheidung gewesen ist und es mich woanders hinzieht.
Wie ich schon mehrmals erwähnt habe, hat mir mein Job mit meinem besten Freund MR als Chef all die Jahre extrem viel gegeben. Aber es hat sich etwas verändert (was auch vollkommen okay ist). Der Startschuss war im Grunde Corona gewesen und die verstärkte Beschäftigung mit Gedanken, die ich mir vorher einfach nicht in diesem Ausmaß gemacht habe. Dass ich nun seit über vier Jahren eine Beziehung mit Observer führe, hat natürlich ebenfalls sehr vieles verändert, sowie auch die intensivere Beziehung zu meiner Familie einiges verändert hat. Beziehungen nehmen nun einmal einen Raum ein, der vorher für die Arbeit und für mich reserviert war. Und ja, ich war wirklich sehr verheiratet mit meiner Arbeit.
Im Moment war es das richtige und gut und sinnvoll und ich habe es auch gerne gemacht und unglaublich viel dabei gelernt. Aber aus heutiger Sicht könnte ich diese Energie nicht mehr investieren. Und da ich gemerkt habe, dass ich es auch gar nicht mehr möchte, würde mich selbst ein Bruchteil davon auf Dauer überfordern und definitiv nicht (mehr) glücklich machen. Ich würde entgegen meines inneren Drangs handeln, da auszubrechen, etwas Neues zu lernen, mich weiterzuentwickeln. Zu bleiben würde für mich bedeuten, einfach stillzustehen, auch wenn es gewiss noch Herausforderungen als Bildbearbeiterin gibt. Aber das sind keine, denen ich mit Freude und Elan entgegentreten würde. Die Vorstellung, KI in meinen Bildbearbeiteralltag integrieren zu müssen, was mir alles nimmt, das mir bisher am Job Spaß gemacht hat, finde ich furchtbar.
Das, was ich hatte, kommt also nicht mehr zurück und das, was kommen würde, sowie das ganze drumherum würde mich gewiss nicht glücklich machen.
Das Arbeiten unter den aktuellen Bedingungen fällt mir zugegebenermaßen nicht immer leicht und ich merke immer deutlicher, wie ich im Kopf bereits abgeschlossen habe. Es ist ein wenig vergleichbar mit quiet quitting, nur, dass es nicht quiet ist. Es ist klar, dass ich gehen werde. Und ich muss ehrlich sagen, dass ich mich freue, eine andere Welt betreten zu dürfen und mich vollkommen neuen Herausforderungen zu stellen!
Vor einigen Tagen habe ich die Zusage für ein Praktikum zur Bauzeichnerin bei der Stadt bekommen, bin 1000 Tode beim Telefonieren gestorben, aber habe das glaube ich ganz gut gemacht. Ich kann’s ja auch, wenn mir etwas wirklich am Herzen liegt und ich die Wichtigkeit erkenne. Und meinen zukünftigen Weg nach und nach immer mehr zu fixieren ist wirklich sehr wichtig.
Denn momentan ist noch nichts wirklich sicher und fix auch nicht. Es werden auch eine Menge Herausforderungen auf mich zukommen in den nächsten Monaten: Kündigung, Arbeitsamt-Odyssee, Wohngeld für das ALG1-Jahr beantragen, Praktika machen, eine Ausbildungsstelle bekommen, BAB als Unterstützung beantragen, vermutlich abgelehnt werden, Wohngeld beantragen (was dann hoffentlich funktioniert),…
Im Grunde habe ich alles sehr gut durchgerechnet, sowohl im Worst-Case (das geringste Azubigehalt), als auch im Best-Case (Azubigehalt nach Tarif im ö.D.). Wohngeld ist zwar nicht viel, wird mich aber zusammen mit meinem Azubigehalt und meinen Ersparnissen überleben lassen plus einen Puffer übrig lassen, sodass ich nach vier Jahren nicht komplett pleite und bei null bin. Es ist mir auch lieber als Bürgergeld, selbst wenn das weitaus mehr wäre. Aber ich weiß weder, ob mir das für eine zweite Ausbildung zusteht, noch möchte ich mich dem Arbeitsamtstress aussetzen.
Ich würde lügen, wenn ich nicht schreiben würde, dass mir der Gedanke, dass ich mich verrechnet haben könnte, keine scheiß Angst machen würde. Denn ich kenne keine Person, die jemals erfolgreich so einen Weg gegangen ist, wie ich ihn nun gehe und habe auch von niemandem gehört oder gelesen, der das genau so hinbekommen hat.
Und ich habe nicht einkalkuliert, was ich mache, wenn ich im Worst-worst-Case keine Wohngeldzusage und somit 0,0 Unterstützung bekomme. Dann wäre vermutlich nach dem ersten Ausbildungsjahr Schluss. Vermutlich würde ich dann aber mein Vorhaben canceln bzw. die mir zugesicherte Ausbildungsstelle gar nicht erst in Anspruch nehmen und abbrechen, bevor ich überhaupt anfange.
Im Worst-worst-worst-Case müsste ich mir dann eingestehen, dass ich auf die Hilfe von meiner Familie angewiesen bin. Das wäre für mich das schlimmste aller möglichen Szenarien. Allen anderen und mir zu beweisen, dass man auch ohne Mamis und Papis Geldbeutel im Leben klarkommt und vor allem seine Ziele erreichen kann, ist für mich nämlich das wichtigste und eine meiner größten Antriebskräfte. Zu erkennen, dass das doch nicht möglich ist und man als Mensch wirklich davon abhängig ist, in welche Familie man geboren wird (reich/arm), wäre fatal für meine Psyche. Ich weiß, dass ich da sehr streng mit mir selbst bin und meine Eltern mich mit Freude gerne unterstützen würden und ihnen das fehlende Geld nicht mal auffallen würde… aber ich will das einfach nicht. Zudem sehe ich alles, wobei mich andere unterstützen, nicht als meine eigene Leistung.
Vielleicht scheint es für manche wahnsinnig, was ich mache, aber ich vertraue weiterhin darauf, dass das einfach mein weiterer Weg ist. Und ich vertraue auch auf meine Bescheidenheit und meinen Willen, mein Leben selbst in die Hand nehmen zu können.
> Warum eine zweite Ausbildung
> anfangen wollen mit 34?!
Weil 34 nicht alt ist 🙂
Weil du den Mut dazu hast.
Und weil du ein Mensch bist und lebendig, und weil Leben eben zumindest manchmal auch Veränderung bedeuten kann.
🙂
Ja, Leben bedeutet sogar sehr oft Veränderung. Eigentlich immer… mal sind diese größer, mal kleiner. Und das ist auch gut so! Denn das macht diese Lebendigkeit auch aus. Nicht jede Veränderung ist positiv und freiwilig, aber letzten Endes machen sie alle etwas mit uns…