Ein Neuanfang: Das Gespräch – Teil 2

Fortsetzung von Ein Neuanfang: Erkenntnisse – Teil 1

Freitagnachmittag, 17 Uhr. Fuck, bin ich nervös…
Noch zwei Stunden, bis ich mich mit meinem Chef und besten Freund MR darüber unterhalten werde, was mit mir los ist und wie es in nächster Zeit weitergehen wird…

Die Tage davor hatten wir so gut wie keinen Kontakt. Ich war lange Zeit einfach nicht stabil genug, um mit ihm über meinen Zustand zu reden und ich wusste, dass er merken würde, wenn etwas nicht mit mir stimmt. Dazu kennt er mich zu gut. Und ich kenne ihn gut genug, um zu wissen, dass er nicht locker lassen und mit mir reden wollen würde. Für ihn schafft das Klarheit, für mich jedoch nicht, solange ich selbst nicht weiß, was los ist. In solchen Phasen schadet mir der Kontakt zu anderen sogar eher, weil ich dann einfach zu leicht beeinflussbar bin.
Ich wollte aber herausfinden, was ich will und das hat bis zum Schluss einfach sehr viel Zeit und Ruhe gebraucht.

Freitagmorgen, als wir das Treffen ausgemacht hatten, wusste ich auch noch nicht so genau, ob ich wirklich bereit dafür war, aber ich erkannte schon deutlich eine Tendenz und es war nur fair, jetzt darüber zu sprechen. Es war auch mein Wunsch, darüber persönlich zu sprechen, auch wenn es mir unglaublich schwer fiel, mich dazu zu überwinden. Um es mir einfacher zu machen, schlug vor, dass wir uns außerhalb von allem Treffen, also nicht im Studio und nicht während der Arbeitszeit. Denn ich wollte nicht gestört werden.

Da dieses Gespräch nun am Abend um 19 Uhr stattfinden sollte, habe ich es gedanklich natürlich nicht geschafft, mich auf irgendetwas zu konzentrieren und den Freitag somit auch nicht mit arbeiten im Homeoffice verbracht, sondern mit mir. Ich habe endlich mal einen Teil der Wäsche gewaschen, einen Kuchen gebacken (bei mir ist das definitiv ein Zeichen für einen Ausnahmezustand!), ein wenig gelesen und die meiste Zeit geschrieben. Zum Teil mit Freunden, zum Teil für mich, um meine Gedanken zu sortieren. Und je näher die Stunde der Wahrheit heranrückte, desto nervöser wurde ich.

Weiß ich eigentlich, was ich sagen möchte? Kann ich mich verständlich ausdrücken? Bin ich gut genug vorbereitet? Was ist, wenn ich die Kontrolle über das Gespräch verliere und es sich in eine Richtung entwickelt, die ich eigentlich nicht möchte und das nicht stoppen kann? Was ist, wenn das ganze eskaliert?

Ich habe damit begonnen, eine Stichpunktliste zu schreiben, die mir Halt geben sollte. Diese endete allerdings innerhalb kürzester Zeit in einem seitenlangen Brief. Den las ich dann immer und immer wieder und fand ihn gut, wie er war und auf jedenfall besser als all das, was ich je in einem Gespräch spontan formulieren könnte. So gut ich mich hier auch sprachlich ausdrücken kann… verbale Kommunikation von Angesicht zu Angesicht ist einfach nicht meine Stärke.
Nachdem ich den Text dann beendet hatte, hätte ich ihn also am liebsten ausgedruckt und MR vorgelesen. Aber etwas in mir wusste, dass das nicht so laufen würde, weil Kommunikation unter Menschen nun mal nicht so verläuft.
So ließ ich den Text also auf dem Smartfuck, nahm meinen Schreibblock und setzte mich eine Stunde früher in den Bus. Einfach nur, um im Kreis zu fahren und mich nochmal etwas zu sammeln. Und ja, mich hat das beruhigt.
Der Versuch, aus dem Briefroman erneut Stichpunkte herauszuschreiben, endete allerdings jedes Mal wieder in viel zu langen perfekt formulierten Sätzen und ich gab es irgendwann auf. Ich hatte mich nun so viel damit auseinandergesetzt und beschloss einfach mal darauf zu verterauen, dass ich schon wissen würde, wie ich es formuliere, wenn es soweit war…

Als ich dann bei MR ankam, war es für uns beide zu kalt und zu spät/dunkel zum Spazieren, wie ich es ursprünglich vorhatte. Also setzten wir uns mit meinem Kuchen in seine Küche. Seine Frau war nicht da und seine Kinder waren auch unterwegs, also hatten wir bis auf den kreischenden Siamkater unsere Ruhe. (wer Siamkatzen kennt, weiß, was ich meine…)
Natürlich war MR noch voll im Arbeitsmodus und hat zuerst angefangen von Jobs zu reden und von sich. Mich überforderte das zugegebenermaßen etwas, da ich mich etwas beherrschen musste, nicht in jenes meiner Muster zu verfallen, das sofortige Anpassung fordert. Ich wollte mich aber nicht mitreißen lassen und womöglich vergessen, warum ich hier war. Währenddessen machte er mir einen Tee, stellte ihn mir hin und meinte dann plötzlich: „So, und jetzt du!“
Mich machte das rasche Aufgefordertwerden zum Reden wieder sehr nervös, aber ich trank erst mal einen Schluck Tee, hielt mich anschließend an der Tasse fest und versuchte dann irgendwo anzufangen… Insgesamt konnte ich vermutlich nicht mal einen Bruchteil davon sagen, was ich eigentlich sagen wollte, weil ich verbal nun mal weniger eloquent bin als schriftlich. Aber ich merkte deutlich, wie mir das schreiben zuvor geholfen hat und auch, wenn keine meiner Formulierungen so perfekt war, wie in meinem vorherigen Brief (der übrigens zur Grundlage für meinen letzten Blogbeitrag wurde), denke ich, dass die Message von allem ankam:

Ich möchte meine jetzige Arbeitsstelle verlassen und ich möchte einen Tag X definieren, an dem das sein wird.

Das auszusprechen hat mir gut getan und noch schöner war es zu sehen, wie ruhig und gefasst mein Chef das aufgenommen hat. Es hat ihn kein bisschen vom Hocker gehauen. Vielleicht, weil er sich auch schon ein wenig darauf eingestellt hat, dass ich nicht für immer bleiben werde. Er sieht es sogar als Chance für sich, wenn ich gehe, so wie ich es auch als Chance für mich sehe, mich weiterzuentwickeln. Zu wissen, dass wir beide das so sehen, tut unglaublich gut!

Wir haben uns nun auf einen Zeitraum geeinigt, in dem ich zum einen mein Wissen an ihn weitergebe und ihn zum anderen unterstütze, Strategien zu entwickeln, die mich ersetzen werden.
Das Ziel ist nun, dass ich spätestens Ende nächsten Jahres nicht mehr dort arbeiten werde, wo ich meine Ausbildung gemacht habe und seit über 11 Jahren mit meinem Chef und besten Freund MR gemeinsam arbeite.
Während ich das schreibe, werde ich ganz hibbelig, nostalgisch und kann es kaum fassen. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass es mir mit diesem Gedanken besser geht!

Hätte uns beiden das jemand vor Jahren prophezeit, so wären wir wohl in Panik geraten, weil wir eben 50/50 vom Betrieb waren. Unsere Stärken und Schwächen haben sich so perfekt ausglichen, sodass keiner ohne den anderen gekonnt hätte. Das wollte aber auch keiner. Wir hatten dasselbe Ziel: Geile Bilder machen. Fotos aufnehmen, die kein anderer so schnell nachmacht. Das in die Jobs einbringen, was wir jeweils am besten können und über uns hinauswachsen! Und das ging nur, weil wir uns eben so gut ergänzt haben und uns gegenseitig das vom Leib gehalten haben, was uns gewiss gelähmt hätte.

Die meisten Menschen in meiner Umgebung fanden immer, dass ich zu viel gebe und zu wenig verdiene. Ich habe das nie so gesehen und sehe es auch jetzt nicht so. Denn keiner von ihnen hat gefühlt oder auch nur gesehen, was mir der Job und die Beziehung zu meinem besten Freund all die Jahre gegeben hat. Keiner kann nachvollziehen, wie es ist, wenn man nur anhand eines „Mh“ des anderen mit einem mal erkennt, was noch fehlt.
Durch MR und das Fotostudio habe ich in den letzten Jahren so unglaublich viel gelernt und auch als Mensch enorme Fortschritte gemacht. Ich bin nicht mehr die, die ich damals war, als ich die Ausbildung begonnen hatte. Ich bin um einiges an Erfahrung reicher. Deshalb bereue ich auch NICHTS und mache weder mir noch ihm irgendwelche Vorwürfe. Klar habe ich enorm viel gegeben, aber ich habe vieles davon auch nicht als Job gesehen. Es war ein Teil meines Lebens.
Das jedoch hat sich nun mal über die letzten Jahre verändert. Und das darf es auch.

Vermutlich finden einige mein Verhalten naiv oder blöd, weil ich in einer Zeit wie dieser für scheinbar nichts einfach so einen sicheren Job mit so einem tollen Menschen aufgebe, der mir Respekt entgegenbringt und auf meine Defizite Rücksicht nimmt… aber es fühlt sich für mich richtig an, diesen Schritt zu gehen. Und das überwiegt die Angst vor der Zukunft.

Ich könnte auch gar nicht mehr so weitermachen, wie bisher mit all den Erkenntnissen, die ich in lezter Zeit gewonnen habe. Und selbst wenn, dann wäre alles, was folgen würde, nur ein unbefriedigender Kompromiss, den ich mir womöglich für den Rest meines Lebens vorwerfen würde. Außerdem würde es mir die Chance nehmen, mich weiterzuentwickeln.

Und nein, ich habe zur Abwechslung mal keinen konkreten Plan, wie es weitergeht am 1.1.2025. Auf jedenfall möchte ich mir erst mal eine Auszeit gönnen, die ich mir finanziell problemlos leisten kann. Ich möchte schreiben und offen bleiben dafür, wo es mich hinzieht.
Ich weiß mittlerweile einfach, dass ich nicht dumm bin. Ich habe zwar Handicaps und bin in einigem etwas Psycho, habe in den letzten Jahren aber erkennen können, worin meine Stärken liegen und werde schon etwas finden, das dafür sorgt, dass ich überlebe und das ich dennoch so gerne mache, dass ich auch gerne darür aufstehe und meine Lebenszeit gebe. Würde ich nicht daran glauben, hätte ich diesen Schritt definitiv nicht gewagt.

Ergo: Die Reise geht weiter! ; )

Posted by Journey

Kategorie: Allgemein

Autor: Journey

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