Gastbeitrag: Wünsche

Das Streben nach Glück, die Erfüllung von Träumen und die Verwirklichung von Wünschen, all das ist für viele von uns etwas Erstrebenswertes, für das wir bereit sind, sehr viel Zeit aufzuwenden, Arbeit zu leisten und Energie zu investieren. Und doch erscheint es mir so, dass alle Bemühungen am Ende doch nur im besten Fall zu einer temporären Befriedigung führen können, die Messlatte wird oftmals einfach nur ein Stück höher gelegt und was auch immer man glaubt erreicht zu haben, der Blick ist schnell auf neue Ziele gerichtet, noch weiter, noch schneller, noch mehr hiervon, noch mehr davon …

Schnell findet man sich in einer Spirale der Unzufriedenheit wieder, die immer wieder aufs Neue dafür sorgt, dass wir nie zufrieden sein können mit dem, was wir im Moment haben oder sind, denn der Blick ist meist auf das gerichtet, was wir (noch) nicht haben. Mir kommt es so vor, als würde sich der Grat der Unzufriedenheit mit jedem neuen Level, den man erreicht, mehr und mehr steigern. Und so kommt in mir die Frage auf, ob dieses scheinbar nie endende Streben nach Glück und Erfüllung, besonders im materiellen Sinne (aber nicht nur) vielleicht ein Irrtum sein mag, dem wir uns unbewußt zum Opfer machen. Bedeutet das nun, dass die Erfüllung von Träumen und Wünschen also nur reine Zeitverschwendung ist? Oder ist es eine Frage des Maßes, in dem wir dieses Bestreben ausleben? Ist der Weg das Ziel oder ist es vielleicht umgekehrt? Oder liegt es vielleicht an der Art der Wertung, die wir der Erfüllung von Wünschen und Träumen beimessen? Ist uns vielleicht einfach nur die Fähigkeit abhanden gekommen, zu wertschätzen, was wir haben und wer wir sind? Oder ist es einfach nur unsere menschliche Natur, die uns da gar keine andere Wahl lässt?

Jean Jacques Rousseau hat dazu folgende Gedanken geäußert:

„Solange man Wünsche hat, ist man nicht glücklich. Man erwartet es zu werden. Wenn das Glück nicht eintritt, so verlängert sich die Hoffnung und der Reiz der Täuschung dauert so lange an, wie die Leidenschaft, aus der sie entspringt. So ist dieser Zustand sich selbst genug und die Unruhe, die er verursacht, ist eine Art Genuß, der für die Wirklichkeit entschädigt und vielleicht sogar mehr wert ist als sie. Wehe dem, der keine Wünsche mehr hat. Er verliert sozusagen alles, was er besitzt. Man genießt weniger was man hat als das, was man erhofft. Man ist nur glücklich, bevor man glücklich ist.“

[frei übersetzt aus dem Briefroman Julie oder Die neue Heloise]

Hoffnung macht glücklich. Sich damit zufrieden geben, die Realität durch einen Traum zu ersetzen, dieser Zustand ist sich selbst genug. So groß ist die Macht der Vorstellungskraft. Sie kompensiert das Verlangen, in dem sie eine rein geistige, in gewissem Sinne irreale aber nicht weniger effiziente Freude schafft. Auf diese Weise entschädigt die reine Vorstellung und stellt einen Trost dar und ersetzt somit die Realität.“

Posted by Observer

Kategorie: Allgemein

Autor: Observer

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2 Kommentare        

hallo observer, erst einmal ein gelungener erstbeitrag, auch wenn ich dem inhalt nur begrenzt zustimmen kann. hoffnung macht glücklich, aber Glück ist auch eine hoffnung. im traum zu bleiben heißt das leben zu verschlafen. wie kannst du wahre hoffnung erfahren wenn du noch nie hoffnungslos warst? du nimmst es als gegeben war und verbleibst in deinem traum. zugegeben, ein schöner traum, aber am ende doch etwas langweilig. das leben hat seine Höhen und tiefen. beides macht es zusammen spannend. es klingt kitschig aber der spruch „träume nicht dein leben sondern lebe deinen traum“ trifft es ziemlich gut. ansonsten danke dass du das Glück für lui bist 🙂

Moin moin, moin! 😉

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„Nicht Träume träumen sondern leben“ ist zweifellos ein erstrebenswertes Ziel, und ich bin ebenso bei dir, dass das Leben aus Höhen und Tiefen besteht, und beides gehört einfach zum Leben dazu und macht es dadurch auch interessanter.

Es gibt diesen Spruch: „Jeder erfüllte Wunsch ist auch ein zerstörter Traum“; (Waltraud Puzicha), der mich in der abgewandelten Form „Manch erfüllter Wunsch war weniger erfüllend als der Traum zuvor, der dadurch verloren…“; (Harald Gebert) dazu inspiriert hat, mir über das Wünschen und Träumen an sich Gedanken zu machen. So denke ich, dass in einigen Fällen das Träumen selbst ebenso befriedigend sein kann, wie die Erfüllung in der Realität. Manchmal gehen einige Dinge einfach nicht, manchmal ist es aber auch einfach nicht der richtige Zeitpunkt bzw. die Situation, in der man sich befindet, lässt nicht alles zu, was man sich wünscht.Und gerade in solchen Momenten bin ich geradezu dankbar, dass uns Menschen die Fähigkeit zur Imagination gegeben ist, die es uns erlaubt, unsere Träume zu verwirklichen, wenn auch „nur“ im Geiste.

Das soll und kann natürlich die echte Realität nicht ersetzen, aber es kann trotzdem sehr erfüllend und tröstend seine Wirksamkeit entfalten. Umso schöner finde ich es, wenn es hin und wieder gelingt, sich seine Wünsche tatsächlich zu erfüllen und Träume real zu (er)leben, aber genauso kann es passieren, dass sich die Umsetzung eines Herzenswunsches unerwartet zum Alptraum entwickelt, mit all der Enttäuschung und Frustration, die damit einhergehen kann. In so einem Fall wünscht man sich dann im Nachhinein vielleicht sogar, man wäre besser „beim Träumen“ geblieben.

Ich sehe das also nicht als schwarz/weiß-denken, sondern viel mehr als eine Bereicherung für unser Leben, dass uns sowohl die Möglichkeiten der realen Umsetzung als auch der rein geistigen Vorstellung zur Auswahl stehen, und manchmal werden ja aus Träumen mit der Zeit auch Visionen, die sich dann umsetzen lassen, wenn die Zeit reif genug dafür ist. Manchmal funktioniert das besser, als wenn man da irgendetwas „erzwingen“ möchte…

Ich bin ebenso dankbar, dass Lui auch für mich das Glück ist! 🙂

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