Warum macht es mich immer so nachdenklich, wenn ich Menschen sehe, die studiert haben?
Ich sehe mir gerade seit Stunden, fast Tagen, folgendes an: Sternstunde Philosophie. Ja, man könnte sagen/schreiben, dass mir dieses Thema, mit dem ich bisher zu wenig Berührung hatte, sehr fehlt. Mir fehlt ein Mensch, der so denkt und mit dem ich mich auf diese Weise unterhalten kann. Von dieser Art Mensch gibt es leider viel zu wenige… Und damit meine ich nicht unbedingt die Menschen, die das alles studiert haben, denn davon gibt es weitaus mehr….
Immer, wenn ich mir auf Wikipedia die Werdegänge von Menschen ansehe, sehe ich, wo sie was studiert haben. Oder wenn ich im Zug sitze und wieder Feiertage bevorstehen, sehe ich die Studenten, die nach Hause fahren, und lausche ihren Unterhaltungen.
Und ich frage mich immer noch viel zu oft, beinahe schon unbewusst, ohne mich wirklich zu fragen: Bin ich einen falschen Weg gegangen? Weil ich „nur“ eine Ausbildung zur Fotografin gemacht habe, ausgehend von einem missglückten Abi, einer Spülküchentätigkeit und einem guten (Werk-)Realschulabschluss? Wäre ich gerne „mehr“? Studiert? Ernst genommen? Mit Titel? Eine Autorin? Jemand auf Wikipedia?
Mit einer Mischung aus neuer Motivation (die ich seit neustem habe) und leichter Wehmut hole ich also mein altes Psychologieschulzeug aus dem Keller und lache über all das, was ich damals gelernt habe bei meinem kläglichen Versuch, das Abi zu meistern. Mir wird so sehr bewusst: Ich war einfach nicht so weit. Gebrochen. Noch wehmütiger blicke ich auf die Worte meines Psychologielehrers unter der Klausur, bei der ich eine 4-5 hatte und bei der er meinte, dass er das nächste Mal eine bessere Leistung von mir erwarte, da das die letzte Klausur war, die ich vor meinem Auszug von zu Hause geschrieben habe…und es wurde wenig besser…
Ein Gedankenexperiment… angenommen, ich wäre damals wirklich besser geworden. Was wäre dann? Und schon missglückt mir das Experiment… ich kann es mir beim besten Willen nicht vorstellen…
Mir hat so etwas Entscheidendes gefehlt, was ich so damals niemals hätte entwickeln können: Selbstvertrauen. Ein Ziel. Ich wusste zwar, was ich mir von ganzem Herzen wünsche, aber zugleich wusste ich, dass ich das niemals erreichen werde. Zu schwach war ich. Immer noch zu abhängig von meinen Eltern und deren Geld. Ich wollte studieren, ja es war auch mein Ziel. Aber zugleich wusste ich, dass ich kein Geld und ein Problem hatte, das alle jungen Menschen haben: Finanzielle Abhängigkeit.
DAS hat mir neben allem Vergangenen und damals allzu gegenwärtigen noch zusätzlich den Lebensmut geraubt.
Würde ich jetzt heute immer noch so handeln? Würde ich auf eigene Faust in eine Klinik gehen und beschließen das Abitur abzubrechen und mir eine Ausbildung suchen? Würde ich dann alles noch mal wirklich genauso machen?
Ganz eindeutig: JA! Denn durch all die Gegebenheiten bin ich heute das, was mich zu dem macht, was ich immer sein wollte: Auf eigenen Beinen. Unabhängig. Frei in meiner Entscheidung. Aber vor allem bin ich folgendes: Zufrieden und überzeugt von meiner Existenzberechtigung. Das klingt jetzt krass, wie es da steht, aber anders kann ich es nicht beschreiben… seit dem Anbeginn meiner Therapie 2009 und meinem Auszug und allem, was so geschehen ist, habe ich mich nach und nach besser und lebendiger gefühlt. Mein Elternhaus war nie schlecht, aber es tat mir auch nicht gut. Ich war immer zu gekoppelt daran…
Die Ausbildung und besonders mein Chef MR haben mich hingegen aufgebaut, da es etwas Eignes war. Etwas, in dem ich alleine war. Meine Entscheidung. Und verdammt…ich hatte so Glück…! Sicherlich hatte ich Hilfe von Mr. Chocolate, sowohl finanziell als auch in alltäglichen Dingen… Aber das alles habe ICH mir ausgesucht und ICH habe es dann auch beendet, was mir auch wieder einen neuen positiven Schub gebracht hat. Das bedeutet nicht, dass ich ihn ausgenutzt habe… es bedeutet eher, dass ich weiter gegangen bin und nicht mehr die Kraft hatte, diesen meist düsteren Alltag zu ertragen… und die Trennung hat mich mir selbst auch wieder ein sehr großes Stück näher gebracht.
Aber ja… Ohne all das wäre ich heute gewiss nicht ich. Zwar bin ich jetzt unstudiert und keine Autorin, wie ich es immer wollte…, aber dafür bin ich gewillt, mich mit all dem zu beschäftigen, das mich interessiert… es ist nicht dasselbe und kein Titel, aber dafür kostet es (fast) nichts.
Und zudem gehöre ich zu den wenigen Menschen, die ihren Beruf wirklich lieben. Die auch gerne am Sonntag arbeiten gehen. Und ich laufe vor nichts mehr weg, bleibe nicht stehen, will mich stetig hinterfragen, ohne mich infrage zu stellen und… leben!
Ich kenne viele Studierte und auch viele Unstudierte.
Den größten Respekt habe ich vor einer Hand voll Menschen, die nicht studiert haben und sich dennoch ihren Weg erkämpft haben. Menschen, die nicht von so guten Voraussetzungen umgeben waren wie z.B. ich (Elternhaus, Bildung, …) und sich unzählige Steine aus dem Weg räumen mussten (und daran gewachsen sind). Menschen, die ein Ziel hatten und es auch erreicht haben. Kämpfer eben …
Den Respekt vor solchen Menschen habe ich auch. Und sie besitzen zum Teil so viel mehr von etwas, das eben jenen Menschen, die alles in die Wiege gelegt bekommen haben und sich damit zufrieden geben, leider meistens fehlt…
> … sie besitzen zum Teil so viel mehr von etwas, …
Zum Beispiel?
Mir fällt Kampfgeist ein. Oder Durchsetzungsvermögen, Ausdauer, Zähigkeit, …
Ja, das auch. Und oft auch eine ganz andere Sicht auf Situationen. Die Wirklichkeit dieser Menschen ist einfach eine andere, irgendwie tiefer…wobei man das auch nicht so pauschalisieren kann…. Ich habe bloß gemerkt, dass die Menschen, die sich die Steine selbst aus dem Weg geräumt haben weil sie es mussten oder wollten jene sind, mit denen ich am ehesten in Kontakt treten kann.
Im Grunde bin ich wirklich froh, dass ich auch zu diesen Menschen gehöre bzw. trotz möglichen einfacheren Gegebenheiten diese nicht nutze und selbst klar kommen will und das auch kann.