Der Klavierspieler – Eine Metapher für alles und nichts

Das Klavier spielt eine Melodie. Eine Melodie aus Freude, Trauer und Verwirrung. Sie zieht mich in ihrem Bann. In ein Loch, ausgefüllt mit Gedanken von denen ich nicht weiß, welche ich zu denken habe und welche nicht. Der Klavierspieler hat sein Leben, ich meines.

Ich löse mich von dem wunderschönen Anblick, doch seine Klänge verfolgen mich. Ich habe das Gefühl, weglaufen zu müssen. Vor der Melodie, die langsam beginnt mich ein zu engen, mir die Kehle zuzuschnüren.

So sanft und lieb sie anfangs klang, kann ich sie jetzt nicht mehr hören. Sie bringt mich dazu, mich selbst einuzuengen. Der Klavierspieler kann nichts dafür. It’s just a job to do. Und den hat er. Er spielt die Noten meines Lebens. Jede Einzelne. Von Anfang an.

Ich drehe mich um, stürme aus dem Saal. Den Gang entlang. Mir wird abwechselnd heiß und kalt. Ich will weg. Weg bevor er aufhört zu spielen. Bevor es still wird und ich wieder im Unklaren stehe. Diese Verantwortung, die er für mich trägt, ist einfach zu groß. Doch Ich selbst bin dem allen nicht gewachsen.

Ich will keine Stille. Ich will keinen Tod. Will niemanden mein Leben spielen lassen. Wie Noten von einem Blatt. Wirre Noten. Tote Noten. Noten, die mir nichts sagen. Noten, die ich nicht geschrieben haben will.

Ich sitze auf dem Boden, halte mir die Ohren zu, doch die Melodie verfolgt mich.

Mein Herz rast, meine Augen brennen. Doch ich werde nicht eine einzige Träne vergießen. Nein, ich darf nicht. Ich will doch nur gehen, bevor er geht. Will allem die Endgültigkeit geben, bevor er aufhört sie herbeizuführen. Bevor er aufhört zu spielen.

Will das alles nicht mehr ertragen müssen. Wie alles seinen Lauf nimmt. Und ich selber, die alle Noten schreibt, nichts machen kann. Will meine Stille. Will nicht, dass es still durch ihn wird. Denn das alles liegt dann nur an mir.

Wie viel Zeit habe ich noch? Ich stehe auf, verlasse das Gebäude. Zwei Minuten noch, ungefähr. Stille. Frische Luft. Keine Menschen. Niemand, der mir weh tun kann. Meine Stille. Meine Endgültigkeit…doch sag, warum fühlt es sich so falsch an?

Noch eine Minute. Ich schaffe es nicht mehr, den Klavierspieler aufzuhalten. Wenn ich reinkommen würde, so wäre da nur das Ende. Das Ende vom Lied. Und dann, dann käme die Stille. Noch bevor ich ihn aufhalten könnte. Und mir wird bewusst, dass ich feige war. Zu feige um mich zu wehren. Die Noten anders zu schreiben. Jetzt ist es zu spät. Jetzt ist alles Still. Still wie der Tod.

Posted by Journey

Kategorie: (Kurz)geschichten

Autor: Journey

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