Ein Samstagnachmittag, der um 18 Uhr abrupt endete

Ich saß am Computer, als ich hörte, wie der Schlüssel sich im Schloss drehte und die Wohnungstür aufging. Natürlich war es U. und ich schaltete sofort alles aus und rannte die Treppe runter. Dann fragte ich, obwohl ich die Antwort schon wusste, ob er noch irgendwohin gehe. „Ins Nest.“ antwortete er. Mein Stichwort und ich sagte, ich wolle mit. Allerdings ging ich nicht gleich mit, sondern erst etwas später. Ich brauchte meinen „Auftritt“.

Es regnete, also musste ich einen Schirm mitnehmen. Als ich ankam schweifte mein Blick wie immer über alle, die da waren. Erst dann entscheide ich immer, was ich trinke oder vorhabe…
Ich sah also, dass alle auf den Fernseher starrten. Ganz hinten an der Theke sah ich Kai. Ich setzte mich zwischen ihn und Dieter. Mit Kai unterhielt ich mich eine Weile, Dieter verschwand schon relativ früh. Dann, irgendwann, kam der Oberstudienrat. Man sieht ihn nur ab und zu in der Kneipe. Aber wenn, dann „richtig“. Ich rede selten mit ihm. Eher nie. Und ich denke, er sieht das auch so, denn für ihn bin ich wohl unsichtbar. Außer an Fasching, als ich mich als Punk verkleidet hatte. Da meinte er, ich würde wie eine Leiche aussehen.
Als die Bedienung ihn fragte, was er denn trinken wolle, antwortete er „Alkohol.“ und bekam ein Bier. Wir ignorierten uns höflich wie immer. Er fing ein Gespräch mit Kai an, dem ich gar nicht zugetraut hätte, dass er auf so einem hohen Niveau reden kann. Ich hörte den beiden zu, trank mein Radler und schwieg. Kai versuchte mich zwar ins das Gespräch mit einzubeziehen, aber mir war es nur Recht nicht mitreden zu müssen. Ich hätte auch gar kein gemeinsames Thema mit dem Oberstudienrat gehabt. Das jetzige Thema beinhaltete die Bundesjugendspiele, schwerpunktmäßig den Strecksprung, der für seinen einen Punkt völlig sinnlos erscheint. Ein weiteres Thema war der Wirt der Kneipe, der zurzeit nicht da war. Und so fragte der Oberstudienrat: „Ist denn der Türke heute nicht da?“ Kai antwortete. „Der hat heute seinen gewerkschaftlich zugesicherten freien Tag.“ Diese Antwort entzückte natürlich den Oberstudienrat.
Was ihn weniger entzückte war das, was Carla zu ihm sagte, als sie kurz rein kam: „Ach Herr Oberstundienrat, wie geht’s Ihnen denn?“ Er antwortete genervt: „Schlecht.“ Sie sagte daraufhin: „Oh, dann wird’s Ihnen jetzt besser gehen, denn jetzt bin ich ja da.“

Immer wieder kamen und gingen die Leute. Der Uhr kam auch mit seiner Frau, genauso wie Teesorte und Siv. Und Jo. Darauf hatte ich mal wieder unbewusst bewusst gewartet. Auf Jo. Ich sagte ihm „Hallo“, aber nicht direkt. Nur im vorbeigehen. Er grinste doof, also hatte ich bis jetzt noch nichts falsch gemacht. Er auch nicht, aber das kann sich von Sekunde zu Sekunde ändern.

Ich hörte den beiden Männern, zwischen denen ich saß, noch eine Weile zu, aß meine Pommes, trank immer noch mein Radler und dann musste Kai gehen. Aber vorher lasen wir uns noch unser Horoskop durch. Wir sind nämlich beide Wassermann. In der BILD stand, dass wir heute leben sollten und nicht morgen und dass eine Waage unsere Gefühle durcheinander bringen würde. Ich kenne keine Waage außer meinen Bruder, also überlas ich die Stelle in Sachen Liebe wie immer. Da tut sich momentan sowieso nichts. Um das herauszufinden muss ich nicht mal die Zeitung aufschlagen. An sich war das Horoskop gut. Drei Planeten, was immer auch das bedeuten mag. Als Kai mit Horoskop lesen fertig war, sprach er aus, was wir beide dachten: „Also, dann gehen wir heute wieder saufen!“

Da ich nicht alleine sitzen wollte, krallte ich mir mein Glas, meine Tasche und stolzierte rüber zu Jo, Teesorte, Siv und noch einem Türken. Jo zockte natürlich schon die ganze Zeit am Automaten. Vorhin spielte er noch für Teesorte und Siv mit. Doch da er nichts gewonnen hatte, kam er wieder mit seinem tollen Argument: „Frauen am Automaten bringen Unglück!“ Die Frauen waren darüber natürlich empört. Ich sagte nur: „Wenn’s nach Jo ging, dürften wir nicht einmal in der Nähe des Automaten sitzen…“
Er zockte also alleine, für sich, solo weiter. Ich beobachtete ihn, redete aber mit den beiden Frauen über Parfum und Urlaub und was sonst wichtig war. Sie kamen anscheinend gerade vom Drogeriemarkt und hatten die Gratiszeitung, die jeden Monat rauskommt, dabei. In der gab es diesmal Probeparfum. Der Name gefiel mir gut: Gin Tonic. Allerdings war der Duft gar nichts für mich. Werder das Männer-Parfum, das Teesorte so toll fand, noch das für Frauen, welches Siv gut gefiel. Jo stellte sich dazu und ihm gefiel auch nur der Name. Hauptsache Alkohol, von dem wir an diesem Nachmittag reichlich genug hatten. Und zwar den türkischen Schnaps Raki. Teesorte gab eine Runde aus, da sie bald in die Türkei fliegt. Vom Wirten, der aus der Türkei kommt, machte sie vorher noch reichlich Fotos.
Sie fragte zuerst Jo, ob er einen Raki wolle und er wollte eigentlich gar keinen. Er sträubte sich etwas, sagte dann aber doch ja. Dann fragte sie mich und ich sagte sofort ja, was Jo wohl etwas verwunderte. Denn er sah mich leicht schockiert an und fragte: „Ach du Scheiße, du auch?“
Wir tranken dann also alle Raki. Erst einen, dann noch einen und schließlich noch einen dritten. Wir wurden gar nicht mehr gefragt, ob wir überhaupt noch einen wollen. Ich hielt allerdings gut durch. Ich konnte doch nicht einfach aufgeben und außerdem hatte ich ja reichlich gegessen und vertrage auch sonst so Einiges an Alkohol.
Unter anderem redeten wir noch über die Silvesternacht, die Teesorte, Jo und ich zusammen mit U., Jo’s Ex-oder-nicht-Ex, dem Pseudo-Engländer und A. verbracht hatten. Wir beschlossen wieder zusammen zu feiern. Das nächste Fest wäre allerdings Halloween. Wir Frauen fragten den Wirten, ob er nicht eine Halloween-Party veranstalten könne, da dieses Fest auf einen Freitag falle. Er meinte nur: „Halloween? Hab ich ganzes Jahr. Mit Jo…“
Dann war mal wieder das Horoskop der BILD-Zeitung gefragt. Unglaublich wie viele Leute das interessiert. Das Horoskop der beiden Frauen war anscheinend nicht so gut, denn Teesorte blätterte gleich weiter und unser Neues Thema war eine junge, talentierte, allerdings drogenabhängige Musikerin, die völlig zugedröhnt auf einem Bild zu sehen war. Ich sagte nichts, nur dass sie für das, was sie aus sich macht zu gut singen kann und Teesorte war schockiert, wie man sich innerhalb von einem Jahr so verunstalten könne. Sie zeigte Jo das Bild, der folgendes Kommentar dazu abgab: „Einmal durchnehmen und dann wegwerfen.“ Begeistert schien er also auch nicht davon zu sein. aber wer war das schon? So langsam sind das nicht mal ihre Fans, die viel Geld für ein Konzert bezahlen an dem niemand singt, ja nicht einmal erscheint.

Jo entfernte sich nun endgültig vom Spielautomaten und setzte sich zwischen dem Türken und mich. Wir redeten mal wieder aus Spaß über unsere Hochzeit. Und ich lachte wie immer mit und sagte Dinge, die ich Ernst meine, aber als weiteren Witz galten. Denn immer, wenn er mir einen Heiratsantrag macht, sage ich „Ja.“ Wer nimmt das in diesem Zusammenhang noch ernst?
Siv und Teesorte wollen auf unserer Hochzeit Blumen streuen, was Jo allerdings nicht passte. Er fragte mich, ob wir den Wirten einladen sollten. Ich meinte „Ja“, er war sich aber nicht sicher und dann fragte er, um wahrscheinlich das Thema zu beenden: „Dann ist die Hochzeit also gecancelt?“ Und ich antwortete natürlich: „Nein!“

Plötzlich erschien ein wirklich komischer Vogel, der uns sein Problem auch sofort mitteilte. Und zwar wollte dieser Mann namens Roland sein gebrauchtes Handy irgendwo in einen Kasten werfen, wo man gebrauchte Handys loswird. Nun, Roland hat sein Handy dort hineingeworfen. Allerdings nicht sein gebrauchtes, sondern sein aktuelles mit SIM-Karte und allem drum und dran. Jetzt erschien dieser Typ total verzweifelt bei uns im Nest und fragte, was er denn nun machen solle. Jo meinte, er solle sofort die SIM-Karte sperren lassen und irgendwie dort anrufen und denen sein Problem erzählen. Also verschwand der Typ wieder. Sobald er aus der Tür war tippte sich Jo demonstrativ an die Stirn und lachte anschließend, weil er einen noch größeren Idioten als sich gefunden hatte, der auch noch nüchtern war.
Der Typ kam sogar noch einmal. Er habe die Leute erreicht und sein gebrauchtes Handy auch in den Kasten geschmissen. Jo gab ihm daraufhin etwas Alkoholfreies aus und begann ein Gespräch bzw. eine Diskussion mit Roland. Doch dieser lachte die ganze Zeit. Jo wollte aber streiten und regte sich deshalb fürchterlich über das Lachen auf.
Irgendwann war mein Glas leer und ich bestellte ein weiteres Radler. Der Wirt sagte: „Das schreib’ ich jetzt auf Jo.“ Ich nickte und war mir sicher, dass gleich ein Einwand kommen würde, doch auch als der Wirt neben ihm stand und mehrmals „Das geht auf Jo.“ rief, kam nur ein genervtes „Ja.“ von ihm, weil er gezielt damit beschäftigt war, sich über den Roland lustig zu machen, der allerdings mitlachte und sich über Jo lustig zu machen schien.
Der Mann unterhielt sich dann aber doch lieber mit Teesorte. Anscheinend sind sich die beiden sogar schon einmal begegnet. Sie konnte sich allerdings nicht mehr so genau daran erinnern. Roland gab ihr daraufhin seine Visitenkarte und sie war sich nun sicher, ihn schon einmal irgendwo getroffen zu haben. Der Mann gab uns anderen auch seine Karte. Jo fiel zu der Visitenkarte als erstes ein: „Ich kann mich daran erinnern, schon mal genau diese Visenkarte weggeschmissen zu haben…“
Teesorte fragte ihn nach seiner Herkunft, weil ihr dasselbe auffiel wie mir. Und zwar, dass Roland sich wie Otto aus Ostfriesland anhörte. Er sagte allerdings, er komme aus einem B.D. Und sie meinte bloß: „Quatsch, du hörst dich doch an wie Otto!“ Ich gab ihr Recht. Und Jo fragte nur: „Was? Welcher Otto!?“
Ich unterhielt mich noch mit Teesorte über ihren Freund aus Hamburg. Sie hatte sich wieder einmal von ihm getrennt und jetzt war sie auf dem gesamten Norden sauer. Ich sagte ihr, dass ich sie zwar verstehe, aber man nicht wegen einem Arschloch gesamt Hamburg und Umgebung verfluchen könne und sie lächelte und sagte mir, dass ich Recht habe.

Der Typ verschwand wieder. Und während wir weiterhin tranken, lachten und redeten, meinte Jo irgendwann ganz beiläufig, er würde mich nachher nach Hause bringen. Das Versprechen von meinem Verlobten merkte ich mir natürlich. Ich hielt ihn dann auch zurück, als er alleine abhauen wollte. Er wartete daraufhin bis ich meinen Schirm und meine Jacke hatte und wir gingen gemeinsam los. Ich spannte den Schirm auf und hielt ihn über uns. Doch ihn nervte das anscheinend, denn auf einmal blieb er stehen und sagte: „Verpiss dich mit deinem Schirm!“ Dann fügte er noch hinzu, dass meine Frisur doch kaputtgehen würde und er hätte keine, die kaputtgehen könne. ‚Wie nett, dass er sich um meine Frisur Sorgen macht’, dachte ich mir und sagte nichts mehr. Er fragte anschließend, warum ich denn nicht dort geblieben bin. Ich hätte doch noch saufen können. Ich warf ihm daraufhin ein ironisch gemeintes „Ja klar…“ an den Kopf und fragte ihn, was er heute noch mache. Er sagte, er würde für seine Ex-oder-nicht-Ex kochen. Und zwar Fischsuppe. Ich erinnerte ihn dezent daran, dass er keine Küche habe und demzufolge auch keine Fischsuppe kochen könne. Er sagte „Stimmt!“ und lachte.

Posted by Journey

Kategorie: Kneipentagebuch

Autor: Journey

«      |      »

Schreibe einen Kommentar