Verehrer über Verehrer…

Wie jeden Freitag brach ich auch diesmal wieder auf zum Nest, der Stammkneipe von mir und U., meinem Dad. Ich hatte eine Flasche Jameson für den Wirten dabei. U. besorgt ihm immer alle möglichen Whiskysorten, da er sich da bestens auskennt und die sogar sammelt. Nicht ein Regal, auf dem keine Flasche mit etwas Hochprozentigem steht. Doch an diesem Abend würde er vorerst nicht in die Kneipe kommen, denn er und meine Mum waren auf einen Geburtstag eingeladen. Deswegen gab er die Flasche einfach mir mit.

Draußen vor dem Nest saßen am ersten Tisch: Meine Friseurin, ihr Freund, Teesorte und Frank. Am zweiten Tisch saß Jo mit ein paar Männern, die ich natürlich alle kannte. Bis auf Jo, der wieder einmal heftig diskutierte, grüßte mich jeder. Doch ich wollte mich lieber hinein setzen, damit Jo nicht wieder auf die Idee kam, ich würde ihn verfolgen.
Ich habe mich also demonstrativ an die Theke gesetzt, wo ich eine ganze Weile alleine saß bis Dieter dazukam. Er bestellte wie immer ein Bier und legte seine Zigaretten zum Selbstdrehen und sein Handy daneben. Ich bedankte mich erst einmal dafür, dass er mir letzte Woche, als ich im Krankenhaus lag, so tolles Essen gemacht hat. Er ist nämlich dort der Koch.
Anschließend unterhielten wir uns über Kinofilme und dass er verliebt sei. Ich freute mich für ihn und fragte: „Echt? In wen denn?“ Er antwortete „In mich.“ und grinste mich an. Ich grinste zurück, worauf er den Kopf schüttelte und dann ganz erschrocken tat. Ich weiß nicht, warum er das jedes Mal macht, aber so ist Dieter nun mal. Meistens sitzt er ganz alleine da und starrt einfach den Fernseher gegenüber der Theke an. Oder er beobachtet die Leute, was ich auch gerne mache.
Als nächstes schneite Kai kurz rein. Vor kurzem hatte er sich radikal die Haare gefärbt. Früher einmal blonde Haare, jetzt pechschwarze. Er ist so um die 40 und nennt sich „Staatsfeind Nr. 1“, da er anscheinend immer etwas anstellt und überall bekannt ist. Seine Sprüche jedenfalls sind auf unverschämte Weise witzig. Er legte den Arm um mich, freute sich und sagte „Hey, Julia!“. Dem Wirten gefiel das nicht. Er versucht immer auf mich aufzupassen, weil ich doch der „Nachwuchs“ bin, wie er immer so schön sagt. Er sagte also zum Kai, er solle seine Hände da wegnehmen. Daraufhin meinte Kai nur: „Ist doch alles okay!? Ich hab meine Hände bei ihr, sie hat ihre Hände bei sich.“ und ließ mich wieder los. Der Wirt, der wie immer gar nicht richtig zugehört hatte, nickte nur und ich sah Kai erst strafend an und lachte dann über seine geschickt gewählten Worte, die ich mir natürlich sofort in mein kleines Büchlein aufschrieb, weil ich sie nicht vergessen wollte. Dieter meinte dann, ich würde über ihn schreiben und ich musste ihm verständlich machen, dass ich mir nur etwas dort notierte, um es nicht zu vergessen.
Irgendwann kam natürlich Jo rein. Mittlerweile war er von Bier auf Schorle umgestiegen, wie ich bemerkt hatte. Er begrüßte mich indem er mir auf die Schultern klopfte und wie immer „Ciao Mädl“ sagte. Als ich im Krankenhaus lag, kam er mich mit U. besuchen. Die beiden sind dann runter in die Küche und haben Dieter nach besserem Essen gefragt. Also meinte Jo nun, dass ich mich selbst um besseres Essen im Krankenhaus hätte kümmern sollen. Da ich nichts sagte, fügte er hinzu: „Aber du hast dich nicht getraut selbst zu Dieter zu gehen!“ Auf diese Provokation seinerseits ging ich nicht ein. Er wollte wie immer streiten. Da half es nur, nicht darauf einzugehen. Und da bei mir nichts zu holen war, ging er wieder raus um sich ein anderes Opfer zu suchen.
Ich war trotzdem froh, dass er mich begrüßt hat und ich glaubte sogar Dieter war mein Strahlen nicht entgangen. Trotzdem wollte ich noch nicht draußen bei den anderen sitzen. Meinen Entschluss musste ich jedoch schlagartig ändern, als Carla, die Frau vom Wirt, in die Kneipe kam und mich zu den anderen mit nach draußen zerrte. Zu Dieter, bei dem ich gesessen hatte, meinte sie:„ Du Dieter, ich entführ dir jetzt die Julia!!“ Er meinte gespielt erleichtert „Jaja, mach nur.“

Draußen setzte ich mich mit Carla an den Tisch zu meiner Friseurin. Mittlerweile waren wieder mehr Leute draußen. Es kamen noch Siv, ihr Mann und noch ein paar dazu. Und natürlich auch die Hexenzunft-Rocker. Ich nenne sie so, weil sie rockig aussehen und alle irgendetwas mit dem Faschingsverein Hexenzunft zu tun haben. Dort saßen also mein ewiger Sich-Entschuldigender, Getränke-Andreher und Verehrer Ikki, die langhaarigen David, Harley, Sponk und noch einige, deren Namen ich noch nicht heraushören konnte, die ich aber vom Sehen her kannte. Mit Sponk war ich auch schonmal unterwegs. Ich weiß von ihm, dass er wohl eine Tochter ungefähr in meinem Alter haben muss und dass er als Dachdecker arbeitet.
Ich unterhielt mich an meinem Tisch anfangs fast nur mit einem Typen, den ich auch vom Sehen her kannte, aber nach dessen Namen ich nie gefragt habe. Er war allerdings ein interessanter Gesprächspartner. Unsere Themen gingen vom Verfallsdatum bei Lebensmitteln bis hin zu seiner neuen Jacke auf die er sehr stolz war. Er erzählte mir, dass in England beim Verfallsdatum „Best before…“ stehe, was übersetzt soviel wie „Am besten ist es vor dem so-und-so-vielten“ heiße. Also nach dem Datum ist es immer noch gut, aber nicht am besten. In Deutschland heiße es nur „Mindestens haltbar bis…“ was sich aus seiner Sicht sehr negativ anhöre. „Ganz so, als würde man das danach nicht mehr essen können…“ Ich stimmte ihm zu.
Irgendwann wurden wir von dem Klingeln seines Handys unterbrochen. Es ertönte der Tina-Turner-Hit „Simply the best“. Ich erkannte den Titel sofort, er meinte aber mir erklären zu müssen, wer das singt und warum er diesen Titel gewählt habe. Es war nämlich seine Frau, für die er extra diesen Klingelton ausgewählt hatte, weil sie „einfach die beste ist“ Sein Handy klingelte immer noch. Er hatte wohl etwas zu viel getrunken und kam nicht gleich auf den Namen der Sängerin. Ich half ihm und sagte dann, er solle doch rangehen was er dann auch tat. Nach dem Gespräch meinte er, er müsse jetzt Heim und ging rein um zu zahlen. Als er wieder herauskam, sagte Jo, der sich wieder ein Opfer zum Streiten suchte: „Verschwinde! Hier sitzen nur die Schönen!“ Ich musste leider lachen, genauso wie Jo. Der Gesichtsausdruck des Mannes verfinsterte sich etwas, sagte aber auch aus, dass ihm das, was Jo gesagt hatte, egal war. Dann meinte er förmlich schnippisch „Ich wollte mich nur von dem FRÄULEIN D. verabschieden.“, gab mir einen Handkuss und ging.
Ich rückte nun etwas weiter zu den anderen und saß am Ende neben Frank. Mit ihm konnte ich mich richtig gut über alles Mögliche unterhalten. Job, Hobbys, Schule und natürlich unsere Haustiere. Ich fragte ihn, wie es denn seinen Katzen gehe und ich erzählte ihm auch, wie es meinem Kater ging und was ich in den Ferien so mache.
Irgendwann klinkten wir uns bei Teesorte und den anderen ein und hörten, wie sich Teesorte gerade über ihren Freund in Hamburg aufregte. Er sei ja so ein Arschloch und hätte ihr Geburtstagsgeschenk vergessen und er würde von Briefen und Postkarten immer die Briefmarken abkratzen, die noch nicht gestempelt wären und das mache sie komplett wahnsinnig. Diese schlechte Stimmung schien auch auf meine Friseurin und ihren Freund umzuschlagen, die daraufhin anfingen sich anzuzicken. Und Carla lachte sich einfach nur halbtot und meinte, sie müsse in Zukunft auch mal auf ungestempelte Briefmarken achten und man würde dadurch enorm viel Geld sparen. Doch Frank, der mir sagte, dass er den Freund von Teesorte persönlich kenne, gefiel das ganze gar nicht und er sagte nach einer Weile genervt, sie solle doch endlich mal still sein, das wolle doch keiner mehr hören. Und daraufhin war sie still.
Ich kenne Teesorte von einer Silvesterparty. A. brachte sie mit, da sie wieder einmal unglücklich, wütend und verliebt zugleich war. Wir alle, also mein Dad, A., Teesorte, der Pseudo-Engländer, Jos Ex-oder-nicht-Ex und ich feierten bei Jo in der Penthousewohnung, die er jetzt nicht mehr hat. Im Januar wurde das alles nämlich versteigert. Nun wohnt er in einer kleinen Wohnung ohne Küche.

Während an meinem Tisch so langsam das Chaos ausbrach, gingen am Nebentisch die Leute bereits rein, um zu zahlen. Jo wollte auch gerade reingehen und ich dachte an „Secret“, ein Buch, das ich zwar nie gelesen habe, aber das Prinzip ungefähr kenne. Also dachte ich ganz fest daran, dass er sich umdrehen und zu mir kommen sollte. Und er drehte sich um und kam zu mir. Und zwar nur zu mir, wie es schien. Als er vor mir stand fragte er mich, wie’s mir denn gehe. Ich sagte: „Gut.“ Dann fügte er noch hinzu: „Du warst ja nach deinem Krankenhausbesuch schon auf einer Party…“ Das stimmte. Am Tag der Entlassung fand bei jemandem zu Hause eine Party statt, auf die ich natürlich unbedingt musste. Jo war nicht dort gewesen. Zuletzt hatte ich ihn im Krankenhaus gesehen, als er mich besuchen kam.
Er murmelte noch irgendetwas von wegen ansteckend und ich fragte ihn provokativ: „Was ist denn an mir bitte ansteckend?!“ Und er antwortete „Intelligenz“, was ich rührend fand, ihm aber nicht glaubte. Darum sagte ich „Ich nehme das als Kompliment“ und erwartete, er würde das wieder zurücknehmen. So wie immer. Er sagte allerdings, dass ich das ruhig als Kompliment nehmen dürfe. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass wir Händchen hielten, da seine Kettenraucher-Minus-Drei-Grad-Fringerspitzen-Hände viel kälter waren als meine. Er ließ meine Hand los und verabschiedete sich, obwohl es erst zehn Uhr abends war. Ich sah ihm hinterher.
Mein Tisch ging nun auch rein, aber noch lange nicht nach Hause. Die einzigen Leute, die noch draußen saßen waren nun die Hexenzunft-Rocker. Drinnen setzte ich mich wieder neben Frank, der mir nun erzählte, was es wirklich mit der schlechten Luft zwischen meiner Friseurin und ihrem Freund auf sich hatte. Anscheinend hatte er das dreimonatige Jubiläum vergessen. Als ich zu den beiden rüber sah, versuchte er alles mit einer roten Rose wieder gut zu machen. Frank, der der bester Freund meiner Friseurin ist und sie daher am besten kennt, sagte mir, dass das bei ihr nichts bringen würde. Und so war es auch. Sie wollte die Rose nicht.
Ich blickte in der Kneipe umher, aber Jo war nicht mehr da. Dann sagte ich etwas, was im Nachhinein etwas mitleidig klingt: „Mir schenkt niemand Rosen…“ Und so bekam ich zwei, eine rote und eine gelbe, von Frank geschenkt. Glücklich blickte ich auf die Rosen und bedankte mich in etwa tausendmal. Er meinte, ich könne nun darüber ein Gedicht schreiben, da ich ihm sagte, dass Schreiben meine Leidenschaft sei.
Und wie das in Kneipen so ist, fingen auch diesmal die Leute an einen perplex anzustarren. Der Eindruck wurde natürlich noch besser, als der mittlerweile wohl Ex-Freund meiner Friseurin mit seiner erfolglosen Rose zu mir kam und mir auch noch die schenkte.
Die Hexenzunft-Rocker waren mittlerweile auch hereingekommen und Ikki visierte mich sofort an. Ich lächelte milde und deutete auf die Rosen. Er entschuldigte sich für irgendetwas, so wie immer und ich meinte dann, wir sollten einfach nur Kumpels bleiben. Auch wenn er mich dauernd anmacht und fragt, ob ich denn noch was trinken wolle und mir sagt, wie toll ich aussehe. Natürlich verneine ich beides immer. Ich will ihn ja nicht ausnutzen und andererseits nicht zu überheblich wirken. Wir schlugen also ein, dass wir nichts zusammen anfangen und er grinste und meinte: „Vielleicht überlegst du’s dir ja noch!“ Ich sagte nichts, dachte aber ‚Nein.‘
Sponk und Harley setzten sich neben Frank und Sponk sah mich die ganze Zeit an. Er war anscheinend überrascht, wie beliebt ich mit meinen 18 Jahren bei der älteren Männerwelt war. Irgendwann war ich kurz allein mit Harley und er meinte amüsiert zu mir: „Du hast aber viele Verehrer…“ Ich blickte demonstrativ auf meine Rosen, lächelte und sagte: „Hmmm…ja.“

Halb 12 kamen dann meine Eltern von der Party. Gefeiert wurde der Geburtstag von Jana Ina’s Mann. Jana Ina ist die Schwester von Sabrina, der Frau von Jens. Und wie es der Zufall so will, hatte der in einer halben Stunde Geburtstag, also blieb ich noch.
Meine Mum setzte sich zu Frank, Sponk und mir. Ich stellte dem Frank meine Mum vor mit den Worten: „Das ist meine Mum.“ Denn meine Mum geht im Gegensatz zu meinem Dad und mir selten in die Kneipe. Frank war natürlich schockiert, was ich erwartet hatte. Denn alle sind schockiert, weil meine Mum für ihr Alter so jung aussieht und nie jemand auf die Idee kommen würde, dass DIESE Frau meine Mutter ist. Frank sagte also: „Echt? Ich dachte, das wäre deine Schwester!“
Sponk schien von meiner Mum ebenfalls fasziniert und versuchte sich in das Gespräch einzuklinken, was ihm nicht wirklich gelang, da er schon viel getrunken hatte. Ich sah es ihm an.

Wir feierten noch eine Weile weiter, tranken Sekt und lachten viel. Alle fragten mich jedoch nach Jo und ich musste sagen, dass ich nicht wüsste, wo er wäre, aber vermute, dass er zu Hause sei. Und alle sagten zu mir: „Aber du musst doch auf ihn aufpassen!!“ Und ich fragte mich nur ‚Warum eigentlich?‘, fragte aber „Kann man überhaupt auf den aufpassen?!“ ohne eine Antwort zu erwarten, da die Frage rhetorisch gemeint war. Ich fragte mich aber wirklich warum er den Geburtstag von seinem Bruder Jens verpennt und machte mir etwas Sorgen.
Um Eins war selbst ich zu müde um noch weiterzufeiern. Ich verabschiedete mich von allen. Auch von dem Ex-Freund meiner Friseurin, der gerade komplett betrunken den R. anschrie. Ich sagte nur Ciao und er gab mir einen Handkuss. Dann sah ich ihn an und er machte gar keinen glücklichen Gesichtsausdruck. Meine Friseurin auf der anderen Seite der Kneipe auch nicht. Sie weinte sogar etwas.
Von Jens verabschiedete ich mich als letztes, weil er in der Nähe der Tür stand. Er sagte nur „Ciao Schwägerin!“ und grinste mich an. Ich grinste zurück und sagte „Ciao Schwager!“ Ich fand gefallen an diesem Jo-und-ich-sind-verlobt-Spiel, auch wenn es sinnfrei war…

Posted by Journey

Kategorie: Kneipentagebuch

Autor: Journey

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