Die „Pille für immer“

Neurodiversen Menschen (Hochsensible, Autisten, Menschen mit Aufmerksamkeits-Defizit-(Hyperaktivitäts-)Störung…) begegnet oft die Frage, ob sie eine Tablette nehmen würden, die sie „neutorypisch“, also normal, machen würde. Dadurch wären all ihre „Besonderheiten“ auf einmal weg – sowohl jene, mit denen sie Schwierigkeiten haben, als auch jene, die sie die Welt „anders“ wahrnehmen lassen (Traumwelten, Sinneseindrücke, intensiveres Gefühlsleben, Kreativität,…)
Die Antworten, die ich bisher gehört und gelesen habe, waren überwiegend ein klares „Nein, ich würde die Pille nicht nehmen, ich schätze wie ich bin!“

Ich als diagnostizierte Frau mit einer ADS, teilweiser Hochsensibilität und leicht autistischen Zügen bin mir da bei meiner Antwort nicht immer ganz so sicher…
Gerade aktuell, wo ich mich nicht so organisiert bekomme, wie ich sollte, zu viel nachdenke und deutlich merke, dass ich nicht so funktioniere, wie ich es mir wünsche, würde ich all das am liebsten einfach hinter mir lassen…

 

Ich habe daher mal grob aufgelistet, was mich einerseits an meiner Wesensart stört und andererseits, was ich schätze und was ich sowohl positiv (+) als auch negativ sehe (-). Dabei ist zu beachten, dass das jetzt rein subjektiv und auf mich bezogen ist und dass das keine typischen Punkte sind, die jeden ADSler betreffen. Viele haben sich auch speziell bei mir so ergeben…

 

Bereiche, die ich gerne „normal“ hätte und die mich oft belasten:

  • Schwierigkeiten beim Einkaufen und der Essensplanung (und Entscheidungen zu treffen…)
  • Kontakte aufrechterhalten ohne hinterher erst mal meine Ruhe zu brauchen (auch wenn es mir im Moment des Erlebens damit gut geht)
  • mich nicht besser von Leid und Sorgen anderer abgrenzen zu können und trotzdem oft nicht so sozial und empathisch reagieren zu können wie ich denke, dass ich es sollte und deshalb ein schlechtes Gewissen zu haben
  • „Abhängigkeit“ von einem Medikament, das mich überhaupt erst funktionieren lässt (gerade hier hadere ich immer wieder mit mir… dazu kommt aber noch ein eigener Beitrag)
  • geringer Selbstwert, Versagensängste und kein Gefühl für die eigene Leistungsfähigkeit zu haben
  • zu viele Gedanken im Kopf, die sich nicht so leicht priorisieren lassen
  • viele meiner Schwierigkeiten nicht aussprechen können, weil ich mir einfach zu dumm vorkomme… oder andere mir das Gefühl geben, nicht das wahre Ausmaß zu erkennen oder mich verstehen zu können (weil sie selbst z.B. keine Probleme damit haben und das daher nicht nachvollziehen können)
  • schnell überlastet zu sein von zu vielen Reizen im Außen (Telefonklingeln, zu viele Menschen, zu viele Dinge um mich herum, Unordnung,…), weil mein Kopf oft schon am Limit ist und 1000 Dinge parallel denkt und sich sehr schnell ablenken lässt bzw. es mich dann sehr viel Kraft und Disziplin kosten kann an etwas dran zu bleiben oder etwas nicht zu vergessen sobald ich es unterbrochen habe.

 

Bereiche, in denen ich meine Wesensart schätze:

  • meine Kreativität
  • Dinge und Zusammenhänge wahrnehmen, die anderen gar nicht auffallen oder über die sie sich noch keine Gedanken gemacht haben
  • die Problemlösefähigkeit, die ich eben durch meine Organisationsprobleme im Laufe der Jahre entwickelt habe und die ich schätze. Durch das erheblich bewusstere Strukturieren und die Disziplin, die ich dazu aufwenden muss, habe ich wohl auch neurotypischen Menschen oft etwas voraus…

 

Sowohl positive als auch negative Bereiche:

  • (-) mich in Tätigkeiten verlieren (und dadurch alles andere zu vernachlässigen inklusive essen, trinken und andere Bedürfnisse,…)
    (+) andererseits ist es ein tolles Gefühl, in etwas vollkommen aufgehen zu können, wenn es mich begeistert und ich kann dafür dann auch eine extreme Energie entwickeln
  • meine vielseitigen Interessen (+), die mich oft aber auch erschlagen (-), weil ich nicht priorisieren kann und dadurch eigentlich unter chronischem Zeitmangel leide
  • dass ich mich viel mehr hinterfrage und reflektiere stürzt mich zwar manchmal in Zweifel (-), sorgt aber auch dafür, dass ich mich besser kennen lerne (+)
  • es wird nie langweilig (+), da niemals ein „normaler Alltag“ einkehren wird (-)

 

Wie man sehen kann, fehlen mir momentan etwas die positiven Aspekte von ADS…

Posted by Journey

Kategorie: Allgemein

Autor: Journey

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