Jedes Kind braucht in seiner Entwicklungsphase eine Bezugsperson, einen „Hafen“, in dem es sich sicher, zu Hause, fühlt. Wo es Rat bekommt und Vertrauen gewinnt. Wenn sich das Kind emotional nicht aufgenommen, geradezu auf sich alleine gestellt fühlt, kann das zu späteren psychischen Störungen führen. Je nach dem, wie die Erziehung verlaufen ist. Ob es nur „harmlos“ ein bisschen zu wenig Liebe bekommen hat, oder ob es Extremen durchmachen musste wie zum Beispiel Misshandlung, Schläge, sexueller Missbrauch,…
Ich gehöre da eher zu den harmlosen Fällen, kenne aber einen solchen Extremfall. Sie ging damals in meine Klasse an der Hauptschule und wollte oft mit Aggression alles lösen, weil sie es von zu Hause aus nicht anders kannte. Zum Teil hatte dieses Mädchen aber einen großen Gerechtigkeitssinn. Andererseits wiederum war sie ziemlich psychisch am Ende und wusste nicht, an wen sie sich wenden sollte. Sie macht gerade ihre Schule fertig, da sie die Werkrealschule damals nicht geschafft hat, und versucht in die Altenpflege einzusteigen, da ihr das immer Spaß gemacht hat. Denn komischerweise war sie, obwohl sie es von zuhause nicht kannte, sehr sozial. Also ein Mensch im Ungleichgewicht. Gerade geht es ihr aber gut, so viel ich weiß.
Ich wiederum hatte alles. Reize, eine Mutter, sie sich um mich gekümmert hat, versucht hat Liebe zu geben. Allerdings konnte ich mit ihr über gar nichts reden, weil Gefühle und das, was in meinem Kopf vor sich geht bei ihr unter die Kategorie „Einbildung“ fällt. Lange Zeit habe ich das geglaubt und mich selbst dafür gehasst, weil ich trotzdem Gefühle hatte. Und ich kann ihr zwar momentan nicht das Gegenteil beweisen, weiß aber heute, dass es anders ist. Dass das, was wir fühlen und träumen keine Einbildung in diesem Sinne ist.
Nach und nach habe ich so das Vertrauen zu meiner Mutter verloren. Zu meinem Vater U. bestand sowieso nie eine Bindung und wo sollte ich auch hin? Heute bin ich an dem Punkt angelangt, an dem ich weder wirklich Freunde, noch eine Familie haben will. Mit Sicherheit gibt es Leute, die ich sehr mag und die mich mögen. Doch da dass lange Zeit nicht so war, fällt mir Vertrauen schwer.
Das hört sich, so wie es da steht, sehr extrem an. Aber es ist gar nicht so. Ich versuche so offen wie möglich zu sein und nicht jeden Menschen auf Anhieb zu verurteilen. Und dass, obwohl ich mein halbes Leben lang Mobbingopfer war und es nie wirklich eine Bezugsperson für mich gab. Jemanden, der mich lobt, der mich auf den richtigen Weg bringt. Stattdessen war ich emotional gesehen auf mich alleine gestellt. Bin ich heute auch noch, aber mittlerweile kann ich damit besser umgehen, auch wenn diese verdammte Sehnsucht nach Menschen immer wieder kommt und mich aus der Bahn wirft.
->Der Mensch, ein soziales Wesen
Ich habe ziemlich wenig Erinnerungen an meine Kindheit und Jugend. Sie war mir immer verhasst gewesen. Und damals hatte ich nicht das Bewusstsein, mich an schöne Dinge zu erinnern, mich auf etwas zu freuen. Alles war grau in grau. Ich war wortwörtlich eine leere Hülle, durch die der Schulstoff sowie Heftführung und der Hass meiner Mitmenschen durchfiel. Ich versuche das alles momentan zu rekonstruieren, aber da ist nichts mehr bis auf einzelne Frequenzen. Als hätte ich gerade erst angefangen zu leben. Jeden Tag aufs Neue…
Dieter zum Beispiel (ein guter Freund von mir) ist ohne seine Eltern aufgewachsen, da diese sehr früh gestorben sind. So wurde er also bei seiner Tante groß. Als Jugendlicher fing er dann mit dem Trinken unter Kumpels an und muss wohl so frustriert gewesen sein, dass er immer weiter trank. Er lernte seine Frau kennen, heiratete, bekam eine Tochter, und verlor alles auf einmal: Job, Frau und Kind, Wohnung. Er trank also weiter. Und heute ist er an einem Punkt, an dem das extrem krankhaft ist. Er hat zwar einen gesicherten Job, eine Wohnung, aber immer Schulden, keine Frau. Sei Leben besteht nur aus schlafen, arbeiten, saufen. Er hat weder Hobbys noch Interessen. Eigentlich schade, da ich ihn für eine sehr intelligente Person halte. Man kann sich mit ihm normalerweise sehr gut unterhalten, wenn nicht gerade alles von Alkohol überschattet wird.
Nun noch ein paar Takte zum Unterricht:
Ich habe das Kapitel mit der Bezugsperson etwas anders interpretiert. In der Schule meinten alle, dass dieses „anders sein“, also die Folgen unzulänglicher oder fehlender Erziehung, was in Extremfällen sogar zu Wolfskindern oder zum Tod führen kann, darauf beruhen, dass die Mutter zum Beispiel nicht da ist. Einkaufen, Feiern, egal. Einfach nicht zu Hause. Am liebsten hätte ich an dieser Stelle dementiert, denn meine Mutter WAR da. Aber eben nicht so, wie ich es gebraucht hätte. Zum Reden. Zum Fragen stellen. Zum Sachen erklären lassen.
Ich rede heute nicht mit ihr über solche Sachen, die ich nicht weiß. Ich habe andere Quellen; meine wenigen Freunde aus der Kneipe, mit denen ich über Gott und die Welt philosophieren kann.
Erstaunlich, wie sehr einen das alles prägt…ich bin zwar offen, habe aber trotzdem wenig Vertrauen in meine Mitmenschen. Ich höre mir gerne ihre Meinungen und Geschichten an, erzähle auch sehr viel von mir, da ich auch viel erlebe bzw. andere Sachen. Denn ich schwimme eher gegen den Strom.
PS: Was mir noch aufgefallen ist: Ich bin irgendwie gedanklich was die Pädagogik angeht zu weit. Jedes Mal greife ich gedanklich Fragen auf, und stelle Dinge fest, die genau im nächsten Buchkapitel so stehen. Ich bin nur gespannt, wie die Klausuren aufgebaut sind…den vom Prinzip her verstehe ich alles, was da steht. Nur ich weiß noch nicht genau, ob meine Erklärungen ausreichen werden oder ob ich eine Fallgeschichte richtig interpretieren kann.
PS²: Wir sollen in diesem Schuljahr ein Fachbuch lesen, welches wir uns selbst aussuchen dürfen. Ich habe bis jetzt nicht so viele gute Pädagogik/Psychologie-Bücher gelesen. Nur „Wenn Frauen zu sehr lieben“ von Robin Norwood. Dafür war das aber auch eines der besten Bücher, die ich je gelesen habe.
Jedenfalls habe ich mir schon ein Buch ausgesucht: „Die Psychoanalyse des Alkoholismus“
Und dann möchte ich noch „Murphys Gesetz“ und etwas von Freud lesen…, aber erst einmal reicht das erste, weil es auch gerade ziemlich aktuell ist. Nicht, was mich betrifft, aber meine lieben Thekenfreunde mit ihren Geschichten vom Alkohol…