Tagträume…

Es ist 17:21 Uhr. Ich habe noch ungefähr 39 Minuten, bis Maze hier auftauchen wird. Der Tisch, an dem ich sitze, hat die Nummer 6. Ich denke an Kai. Wir waren früher oft hier und haben herumgealbert von wegen Champagner und Whirlpool. Diese Zeiten sind jedoch vorbei. Mit Kai verbindet mich nur noch eine Vergangenheit. Und dieser eine Valentinstag, der alles kaputt gemacht hat. Der mich verliebt gemacht hat. Der alles kaputt gemacht hat. Kaputt -putt -putt… Wie alles, was mit Beziehungen und Liebe zu tun hat, irgendwann kaputt geht. Und wenn das nicht kaputt geht, gehe ich kaputt. Vielleicht mag sich das ja sinnfrei anhören, es ist aber so.

Aber jetzt sitze ich erst mal hier, warte auf meine frühere beste Freundin Maze und beobachte so lange noch die Leute. Am liebsten würde ich mir zur ein oder anderen Person eine dramatische Geschichte ausdenken. Doch jeder dieser Menschen, die das Café betreten, erscheint mir so schlicht. So normal mit Ring- und Kinderlein, dass es geradezu meine Muse im Keim erstickt und mich demotiviert. Entweder habe ich heute keinen Blick für die Menschen und ich lasse mich von Vorurteilen ablenken, oder ich muss mich einfach noch etwas mehr auf die Kleinigkeiten konzentrieren. Quengelnde Kinder machen mir diese Aufgabe nicht unbedingt leichter. Deshalb wird mir wohl nicht so viel auffallen. Nur, dass die Kellner durch die Gegend hetzen und sich um die Gäste draußen vor dem Café kümmern.
Ich frage mich, ob diesen Leuten nicht heiß ist…
Egal, ich will mich auf etwas anderes konzentrieren.
Je mehr ich mir die Leute so ansehe, desto irrealer erscheinen sie mir. So angespannt. Gestresst. Auch die Kinder. Keiner lässt sich fallen. Keiner entspannt sich. Deshalb fällt mir auch diese eine unscheinbare Frau mit dem Bob auf. Sie hat schwarze Haare, eine durchschnittliche Figur, einen schlichten genau so unauffälligen Kleidungsstil, aber (!) sie betritt das Café so elegant und entspannt, dass sie einem sofort auffällt. Mir jedenfalls. Vielleicht ist das aber nur deshalb so, weil ich gerade intensiv auf die Körperhaltungen mir völlig fremder Leute achte. Es war nur ein kurzer Moment, in dem sie an den dutzenden Eissorten vorbeigeschlendert ist und ihr die Haare beim Hinabblicken auf eine magische Art und Weise ins Gesicht fielen und wahrscheinlich war ihr das alles noch nicht einmal bewusst.
Ihr war ja noch nicht einmal bewusst, dass ich beinahe der einzige Gast in dem Café war und sie beobachtet habe mit einem Stift in der Hand und einem Block neben der Kaffee-Tasse.
Die Kellner sehen mich deshalb auch schon komisch an. Ich sitze zurückgelehnt da, spiele mit meinem Stift und meine Blicke machen sich auf die Suche nach etwas, das sie fixieren können. Das scheint den Menschen unheimlich. Wer fühlt sich auch schon gerne auf so penetrante Art und Weise beobachtet? Von einer Irren, die das alles auch noch aufzuschreiben scheint? Irgendwie gefällt mir der Gedanke, den ich den anderen „ins Hirn“ lege. Für immer so hier und da zu sitzen und die Leute zu analysieren wäre auch mein Traumjob – Kellner hin oder her. Und für eine Zeitung zu arbeiten, die mich zu würdigen weiß und für die ich in regelmäßigen Abständen Kolumnen schreibe. Ich würde natürlich keine Namen nennen. Nicht einmal meinen. Ich würde still am Tisch eines Cafés oder an der Theke einer Kneipe sitzen und keiner wüsste wer ich bin. Ich würde den Leuten nebenan lauschen und irgendwann würde ich hören, wie eine Person zu einer anderen meint, dass sie meine Texte genial finde und sich gerade frage, wer ich denn sei und ob ich gerade in diesem Moment hier sitzen würde. Ich würde in mich hineinlächeln, mein Bier/Café leertrinken und mich voll und ganz dem wunderbaren Gefühl hingeben, etwas Geniales geschaffen zu haben. Dieses Gefühl…ich denke, in dem Moment hätte ich mein Lebensziel erreicht.

Leider sieht die Realität anders aus. Brutal. Mit einem Messer in der Hand malträtiert sie mich ein paar Mal am Tag und erklärt mir in freudigem Singsang, dass ich mir meine Träumerei sonstwohin stecken kann, auf gut Deutsch gesagt. Meine Ideen sind eben nicht Mainstream und somit auch nicht gut genug. Ich denke, das sagt alles. Heutzutage kann man ja froh sein, wenn man einen Job beim Edeka an der Kasse bekommt. Heutzutage wir nicht geträumt. Und wenn, dann nur im Stillen.

Posted by Journey

Kategorie: Allgemein

Autor: Journey

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1 Kommentar        

Mir fällt dazu eine Zeile eines Liedes von Wolfsheim ein: Du willst leben irgendwann, doch wenn nicht heute, wann denn dann, irgendwann ist auch ein Traum zulange her. …jedes Leben ist interessant, man muss es nur interessant machen… Zusätzlich besteht eine Realität, zumindest zu Teilen, aus subjektiven Wahrnehmungen und ist somit nicht absolut.
Deine Beobachtungsgabe und dein Stil das Beobachtete auszudrücken, finde ich einfach phantastisch. Bitte weitermachen.

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