Die Spießerstory – Erzählt nach einer wahren Geschichte

Bevor ich beginne von meinem unglaublichen Erlebnis zu erzählen ein paar Worte vorweg: Ich bringe das Wort „Spießer“ in Zusammenhang mit Anzug-, Krawatten-, sowie Brillenträgern. Dies ist nicht als Beleidigung gedacht, sondern zur Vereinfachung der Sprache. Ich muss dann nur noch „Sieh mal, ein Spießer.“ sagen und alle wissen, was ich meine.

Da ich nicht gewillt bin jemandem irgendwelche Affären zu unterstellen, nenne ich den Spießer so, wie er sich fälschlicherweise vorgestellt hat: Martin. Und ich wette, er würde sich wieder bei mir melden, wenn er dies lesen würde, denn dann würde ich ihm wieder einfallen…

Samstagnacht.

Es begann alles ganz harmlos, so wie es immer „ganz harmlos“ beginnt. Ich brachte zuerst eine Freundin zum Bahnhof und nahm dann den Weg durch den Park. Denn dieser erschien mir am Kürzesten. Mittlerweile war es halb zwölf in der Nacht. Angst hatte ich keine. Vor was auch.

Ich lief also ganz unschuldig und auch noch im Rock durch den Park und hörte auch noch ganz laut Musik, damit ich meine Umgebung nicht mitbekommen musste. Das war allerdings unnötig, denn es war sowieso niemand mehr unterwegs.

Doch plötzlich nahm ich aus den Augenwinkeln einen Mann wahr. Ich dachte nicht weiter über ihn nach, aber beschleunigte meinen Schritt etwas. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass er mich anspricht. Und das auch noch mit der intelligenten Frage: „Bist du noch zu haben?“

Erst blieb ich stehen, dann nahm ich meine Kopfhörer aus den Ohren und sagte nichts. Ich hielt ihn für verrückt, was er letztendlich auch war. Dann dachte ich mir, ich müsse mir so etwas nicht anhören. Ich dachte nach und sah ihn mir etwas genauer an. Er war groß, dunkel und ein Spießer. Da er leider auch intelligent aussah, konnte ich nicht einfach ‚Verpiss dich‘ sagen. Nein, ich hatte den Drang mich aus irgendeinem Grund beweisen zu müssen und konterte mit der Frage: „Sprichst du öfters FRAUEN NACHTS im PARK auf diese ART an?“ Er lächelte und sagte nein.

Irgendwie kamen wir dann ins Gespräch und ich wurde ihn nicht mehr los. Das wollte ich aber auch gar nicht mehr. Denn damals hatte ich immer eine Vorstellung von einem Mann. Und er kam gut an diese Vorstellung heran. Und wer schickt schon den Mann weg, auf den man unbewusst gewartet hat?

Er stellte sich als Martin vor. Wir plauderten etwas über Dinge wie Schule, Job, Alter,… Er war übrigens 24. Oder behauptete das zumindest.

Vor meiner Haustür gab er mir seine Handynummer. Ich schrieb ihm noch in derselben Nacht.

Es war komisch. In den SMS und auch wenn wir uns unterhielten wusste ich immer, was ich zu antworten hatte und er, was ich hören wollte. Ich war glücklich, dass endlich die Seite von mir zum Vorschein kommen konnte, die so lange im Verborgenen lag. Endlich konnte ich unbesorgt überlegen in den Spiegel schauen und etwas an meinen Haaren zupfen, damit er sagt, ich sähe toll aus. Endlich konnte ich mich anziehen, bewegen und reden wie eine Geliebte. Ich hatte immer das Gefühl bei ihm eine Geliebte zu sein, was ich letztendlich auch war.

Vor meinen Freunden habe ich verliebt getan und gemeint, ich hätte einen Freund. Typisch Frau: Sie muss immer alles aufbauschen.

Er lud mich zum Griechen ein. Doch ich hatte schon gegessen und bestellte souverän ein stilles Wasser. Er bestellte sich einen Espresso oder etwas Ähnliches. Ich weiß es nicht mehr, weil er viel über Kaffee sprach und ich kaum zu Wort kam. Der Mann redet, die Frau schweigt. Nach einer Weile testete ich etwas Neues aus: Ich beugte mich etwas vor und stützte mein Kinn auf der Hand ab. Dabei sah ich ihm in die Augen und nickte ab und zu bestätigend.

Mir fiel dann ein, dass ich noch gar nicht seinen Nachnamen wusste. Ich fragte natürlich nur, um ihn zu suchen. Telefonbuch, Internet, egal. Irgendetwas. Und dabei kam heraus, dass er gar nicht Martin hieß. Er hatte nur Angst mir seinen richtigen Namen zu sagen. ‚Irgendwann bin ich sowieso weg‘ dachte ich mir, sagte aber, ich würde ihn verstehen und es sei okay, dass er gelogen habe sofern das nicht wieder vorkomme.

Er brachte mich noch nach Hause. Wir liefen etwas auseinander, was mir wieder komisch vorkam, also hakte ich mich aus Provokation bei ihm unter. Er wollte mich ja, also konnte er mich schlecht abschieben. Und so ging ich immer einen Schritt weiter und brachte ihn allem Anschein nach zum Verzweifeln.

Denn die Wahrheit über ihn war, dass er eine Freundin hatte und mit der auch noch zusammenwohnte. Ich hatte bereits diese Vorahnung, habe aber weiterhin Schauspielerin gespielt und ihm zusätzlich ein schlechtes Gewissen gemacht.

Der Abend bei dem Griechen war Dienstag, der So-und-so-vielte. Unnötig zu sagen, dass ich ihn am selben Abend geküsst habe. Affären gehen schnell vorbei, also warum warten? Ich wollte mein Spiel spielen, genauso wie er seines mit mir spielte.

Am darauffolgenden Tag holte er mich von der Schule ab. Natürlich kam er zu spät und ich hasse Leute, die zu spät kommen. Wenn ich diese Leute länger kenne und weiß, dass sie gerne mal zu spät kommen, macht mir das nichts mehr aus. Aber von einem Spießer erwartet man, dass er etwas von Pünktlichkeit versteht.

Ich beschloss ihn also fertig zu machen und war schon auf 180, als er mit einem blauen 1er BMW vorfuhr. Da konnte ich dann auch nicht mehr sauer sein. Ich verstehe zwar nicht viel von Autos, aber bis auf die blaue Farbe sah es schön aus und hatte Automatik.

Ich hatte ein mulmiges Gefühl, als ich einstieg und vergaß zuerst „meinen Text“. Ich schwieg also. Irgendwie kam ich mir auch dumm und leichtsinnig vor. Das schlimmste daran war auch noch, dass alles irgendwie offensichtlich war. Und ich war wirklich so schlau und stieg auch noch in das Auto.

Das Problem, das du als Frau bei so einer Geschichte hast, ist folgendes: Irgendwann kommst du dir missbraucht vor und da ich ihn nicht liebte, sondern mich nur an dem seidenen Faden meiner Vorstellung klammerte, passierte mir das recht früh. Verstärkt wird das ganze noch durch die Lügen des Mannes, die so offensichtlich erschienen. Doch was willst du sagen, wenn dir der Mann schreibt, er habe keine Zeit für dich? Ich hatte ja nicht einmal das Recht ‚warum‘ zu fragen bzw. das Gefühl es nicht zu haben.

Ist es nicht das, was du dir gewünscht hast
Gebraucht, verbraucht, missbraucht zu werden
Für jemanden da sein ohne wirklichen Vorteil, nur zum Vorteil des anderen
Nur um eine Rolle zu spielen
Jetzt weinst du, obwohl du dir gewünscht hast etwas wert zu sein.

Doch im Endeffekt bist du nichts wert

Was hat es für dich für einen Wert die Coole, Lässige, Misstrauische andererseits auch Dumme, Naive, Willenlose zu spielen? Du musst dich entscheiden.

Du hast Gefühle, die keiner deuten kann, nicht einmal du.

Das Ende war der Abend im Hotel. Jedenfalls das vorläufige. Er lud mich in ein Hotel ein, dessen Namen ich hier nicht nennen möchte. Das wäre eine Schande, denn das Hotel kann nichts dafür und ich bin dort immer noch ab und zu Gast.

Er lockte mich mit einer der dümmsten Ausreden in das Zimmer Nr. 12, die ich je gehört habe: „Ich muss mir das Zimmer ansehen.“ Er musste es sich natürlich geschäftlich und so ganz ohne Hintergedanken mit mir ansehen. Auf dem Tisch standen auch noch ganz unschuldig zwei Gläser und eine Flasche Sekt. Ich sagte, ich trinke unter der Woche nichts und lehnte dankend ab. Ich war immer noch am überlegen wie ich ihm nun beweise, dass ich zwar mit ihm auf dieses Zimmer gegangen bin, aber nicht vorhabe den Abend hier zu verweilen. Ich versuchte ihm also nett mitzuteilen, dass ich ihn durchschaut habe und lieber an die Bar wollte. Irgendwie bin ich dann doch geblieben. Im Nachhinein bereue ich es nicht. Nur, dass ich nüchtern war.

Am Freitag war der Spuk dann endlich vorbei.
Er: Du es gibt da jemanden, der bei mir wohnt
Ich: Eine Frau

Und dann fragt er mir tatsächlich, ob das schlimm wäre. Ich fragte ihn, warum er mich dann nachts um halb 12 im Park angesprochen habe. Er sagte, das hätte auch jede andere sein können, was im Nachhinein eigentlich einleuchtend ist im Zusammenhang mit jemandem, der in seiner Beziehung so dermaßen unglücklich ist. Natürlich kann man es ja gelten lassen, wenn man die ganze Zeit so tut, als wäre man glücklich und daheim kracht’s dann.

Ich sagte „Dann tut es mir Leid…“ (obwohl es mir nicht Leid tat), haute ihm seine weiße Unschuldsrose an die Brust und ging.

Genauso wie schnell es anfing, hat es auch ein Ende genommen. Und: Ich habe mir alles irgendwie so vorgestellt. Ich war noch nicht einmal traurig. Ich dachte mir nur „Arschloch“ und kaufte mir ein neues Parfum. Ich wusste, dass es so endet, aber mir machte es Spaß einmal Geliebte gewesen zu sein, aber alles hat ein ende. Und irgendwas vermisst man immer…

Ich sitze hier und der einzige Gedanke, der mich beflügelt, während ich aus dem Fenster blicke, lautet: Ich vermisse etwas.

Was, das kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, dass es nicht irgendetwas ist, sondern jemand. Jemand Lebendiges, lebende Worte, frei von Zweifel und Lügen, real gesprochene Dinge, frei von Vorstellungen, die ihnen nicht nachkommen. Jemand, der mich zurückholt, der mir die Hand reicht mit den Worten: Ich denke, die wirst du brauchen.

Es ist nicht die erste Situation, in der ich etwas brauche. Nein, es ist die so-und-so-vielte und immer bin ich es: Die, die gebraucht wird. Doch was habe ich eigentlich davon? Den Gefallen, den ich anderen tue ist weg, für immer verloren. Und zurück bleibt eine verbrauchte, verstörte Frau.

Er meldete sich übrigens wieder und wieder und wollte mich zurück. „Ich bin verrückt nach dir!“ Ich dachte aber immer an die Worte, die mich zu einer von vielen machen und daran, dass ich blöd genug gewesen war.

Ein Kind bin ich
Wie eine Nutte ziehe ich so meine Runden
Zähle am Busbahnhof die Sekunden
Der Beachtung
Inniger Betrachtung
Doch das,
was mich anzieht erzählt mir nur etwas von Verachtung
Vorgeworfen wird mir kindisches, naives Denken
Und ich würde nur sinnlos meine Zeit verschwenden
Aber irgendwas muss mich doch ablenken?
Ein Kind bin ich, das geb‘ ich zu
Doch es lässt mir trotzdem keine Ruh‘
Nur des Alters wegen
Gibt mir niemand seinen Segen
Und ich muss ihnen das vergeben
Denn sonst hätte ich nicht die Chance mich zu beweisen
Zu zeigen, dass meine Gedanken auch um erwachsene Dinge kreisen
Verdammt, so hört mir doch zu!
Ein Kind bin ich, und es lässt mir nie meine Ruh

Posted by Journey

Kategorie: (Kurz)geschichten

Autor: Journey

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2 Kommentare        

Sehr schön geschrieben. Mir gefällt wie du schreibst, ich habe deinen Blog in meine Favouriten aufgenommen und schau öfter vorbei. Bin übrigens über Alice’s Blog hier her gekommen.
Grüße, Van.

Vielen Dank für das Feedback, ich habe deinen Blog auch abgespeichert und werde nun mitlesen! ; )

Grüße
Journey

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