Ich hatte noch eine Stunde in V. bis mein Bus kommen sollte, also dachte ich mir, dass ich die super dazu nutzen könnte, mal ins Nest zu gehen. Doch das Nest hatte geschlossen, also ging ich Richtung Bahnhof zurück. Auf halben Weg bog ich jedoch noch mal ab und dachte mir: „Hey, du kannst ja mal Jo besuchen!“
Jo. Meine damalige große unsterbliche Liebe.
Ich habe mich lange nicht wirklich getraut zu ihm zu gehen, weil er doch einer der besten Freunde meines Vaters ist und ich nicht wusste, wie er auf mich reagieren würde nach allem…was gerade so vor sich geht. Aber es lief erstaunlich gut. Er hat nicht wie die anderen versucht mich wieder auf den „vernünftigen Weg“ zu führen und dementsprechend damit zugetextet. Er hat nur gemeint, dass er den „Cut“ mit meinen Eltern schade findet, aber ich soll selbst wissen, was ich mache.
Er selbst ist schon seit Monaten Single und versuchte natürlich wieder, mit mir über irgendetwas zu diskutieren. Doch ich ließ mich nicht ein und er widmete sich wieder seinem Internet-Poker.
Jo bot mir ein Bier an und ich sah mir die Spinnenweben an den Wänden an. „Sieh nicht zu genau hin!“ meinte er nur. Dasselbe meinte er, als ich auf die Toilette ging. Aber da ging es noch. Ich meinte, er brauche eine Frau, die zumindest putzt. Er fragte rhetorisch, ob es mich störe. Denn fügte er noch hinzu, dass ich damit leben müsse, selbst wenn es mich störe. Oder ich solle eben gehen.
Ich blieb.
Wir unterhielten uns ansonsten ziemlich gut und so locker wie schon lange nicht mehr. Und wir redeten auch über das Nest und die vergangene Zeit. Seiner Meinung nach war alles wie immer. Aus meiner Sicht sah das leider ganz anders aus. Früher kam ich mir den Leuten besser zurecht, es gab so viele spontane Abende, so viele Abenteuer. Aber heute sehne ich mich irgendwie nicht mehr danach. Da sich laut Jo daran nichts geändert hat, muss ich mich wohl geändert haben. Es gibt einfach nicht mehr dieses… „Heimatgefühl“. Früher bin ich ins Nest geflüchtet, in die Kneipenphilosophie, in Rauch und Alkohol. Früher konnte ich nicht ohne das Nest leben, überleben. Heute ist dem nicht mehr so. Die Zeit scheint endgültig vorbei zu sein, aber ich vermisse sie auch nicht. Ich blicke eher mit stolz auf die letzten Jahre zurück, auch wenn das jetzt eigenartig klingt. Aber für mich stand beim Rausgehen noch nie das Ziel des Besaufens im Vordergrund. Eher das Reden und diskutieren mit den anderen. Daher kann ich das auch heute. Und ich muss ehrlich sagen, dass ich das ohne das Jo-Drama damals vermutlich nicht so gelernt hätte, wie ich es heute kann
Als ich Jo beiläufig nach seinen Büchern fragte, meinte er, er hätte noch welche im Keller, die könne ich alle haben. Ich freute mich und meinte, dass ich sie mitnehmen würde, wenn ich umziehe. Ihm war es egal, ob sie da staden oder nicht.
Er gab mir sogar gleich welche von seiner Ex-oder-nicht-Ex mit und über die schien er froh, sie los geworden zu sein.
Und so bekam ich sechs neue Bücher, überwiegend Krimis und Thriller.
John Grisham: Der Richter
Michael D. Mohr – Sonnenbrand – Ein Thriller mit Biss
Lawrence Donegan: In the Middle of nowhere – mein Abenteuer in der irischen Provinz
A. J. Holt: Internetkill
Noël Calef: Fahrstuhl zum Schafott
Greg Iles: Ewiger Schlaf
Eigentlich lese ich keine Krimis…