In meinem letzten Artikel bin ich bereits auf die allgemeine Definition von Sucht eingegangen. Nun möchte ich mich ein wenig über das Thema „Arbeitssucht“ auslassen, da ich glaube, davon betroffen zu sein…
So ganz eingestehen kann ich mir das natürlich nicht (denn schließlich mache ich ja viiiiiel zu wenig und könnte/sollte noch mehr leisten!!), aber dennoch erkenne ich mich in vielen Punkten der Definition von „Arbeitssucht“ wieder:
Arbeitssüchtige…
…arbeiten immer mehr, als man von ihnen verlangt und haben dennoch ein chronisch schlechtes Gewissen, nicht genügend zu tun.
…stellen große Anforderungen an sich selbst.
…sind unfähig ihre eigenen Leistungen anzuerkennen und mit sich zufrieden zu sein, wenn das angebracht ist.
…sind ungeduldig und überpünktlich.
…erkämpfen sich ihren Lebenssinn durch ständige Aktivität.
…
Typisch ist für Arbeitssüchtige auch, dass sie lieber alleine arbeiten, weil sie denken, dass sie das können müssen oder sogar, weil die anderen ihnen einfach zu langsam sind. Die anderen machen ja Pause und haben auch noch den morgigen Tag für die Aufgabe eingeplant. Der Arbeitssüchtige schafft das auch alleine an einem Tag und wenn nicht, fühlt er sich mies.
Alles, was sie tun, muss einen äußerlich nachprüfbaren Effekt und Sinn haben. Statt sich in der Freizeit und im Urlaub zu entspannen, sind Arbeitssüchtige gereizt, unzufrieden und von innerer Unruhe geplagt.
Werner Gross
Für Workaholics existiert fast nur noch die Arbeit. In ihren Köpfen können sie nicht abschalten und weder Freizeit noch Ferien genießen.
Auch meine Hobbys wurden zu „Arbeit“ und einfach nur zu einem eiskalten Punkt auf der To-Do-Liste. Alles hat seinen entspannenden Zweck verloren und ich erliege immer mehr der Pflicht, es tun zu MÜSSEN, statt es tun zu WOLLEN oder das Gewissen plagt mich unendlich, weil ich lieber etwas Sinnvolles machen sollte…
Ich habe denke ich mal schon mal die „Feiertagsdepression“ beschrieben, der ich oft am Wochenende unterliege. Ich würde sogar sonntags arbeiten, weil ich mich zu Hause einfach nur leer und nutzlos fühle. Und dabei könnte/müsste man die Zeit doch so sinnvoll nutzen! Auch nachts!!
Sehr auffällig ist auch, dass ich immer dann krank/müde werde, wenn ich die Zeit zum Ruhen habe. Weil man mir „einfach“ das wegnimmt, womit ich kompensiere. Ich fahre ständig auf 300 und komme damit nicht klar, mal einfach nichts zu tun. Ich MUSS ständig etwas tun! Egal ob jetzt Mittagspause oder schon Feierabend ist. Und wenn keine Arbeit da ist, dann schaffe ich mir eben welche, lese Fachbücher, lerne, räume auf,… und versuche einfach unersetzbar zu werden…!
Ich gebe am liebsten alles, als würde ich nächste Woche wegen Faulheit gekündigt werden und auf der Straße landen, weil ich die Miete nicht mehr zahlen könnte. Aber das gebe ich so direkt nicht zu…denn alles gebe ich dann doch wieder nicht. Das bisschen Arbeit…es sollte mehr sein…
Was mich also unbewusst auch antreibt ist die Angst.
[…]Die soziale Stellung des Einzelnen in der Gesellschaft wird durch die Tätigkeit bestimmt, die er ausübt.
Werner Gross
Die Anforderungen der Gesellschaft an ein Individuum sind also enorm. Wobei ich ja versuche das nicht so materiell zu sehen. Als Fotograf ist man ohnehin nun mal kein Millionär, doch das will ich auch nicht sein! Ich LIEBE meinen Job und mache ihn gerne. Warum sonst sollte ich mich so reinhängen in alles? Warum sollte ich sonst Freunde, Familie und Partner vernachlässigen? Meine Arbeit gibt mir einfach all das, was mir woanders fehlt: Das Gefühl, gebraucht zu werden. Das ist mein Problem und die Arbeit ist ein Mittel, um meinem seelischen Konflikt aus dem Weg zu gehen.
Doch wie das so ist, bleibt er eben bestehen, der innere Konflikt, der Selbsthass, die Versagensangst….
Was ich also definitiv nicht liebe, ist die Angst, trotz all meinen Bemühungen nicht zu genügen und arbeitslos zu werden. Doch das kann bei jedem jederzeit der Fall sein. Alles kann den Bach runtergehen. Und das macht Angst. Ebenso Angst machen mir jene, die besser sind als ich und mich das (wahrscheinlich eher unabsichtlich) spüren lassen…sie lassen mich zweifeln…
Fazit:
Workaholics sind auf dem besten Weg in ein Burnout zu geraten. Leider ist jedoch gerade das Anbahnen dieser „Krankheit“ schwer zu erkennen, da es in unserer stark leistungsorientierten Gesellschaft oft nur darum geht, was man leistet und somit auch „ist“. Es ist also eher eine Tugend, wenn man viel arbeitet, was dem Arbeitssüchtigen entgegenkommt. Das macht die Arbeitssucht wie ich finde zu einer extrem gefährlichen Sucht. Sie wird nämlich nicht als solche anerkannt, sondern eher als Fleiß, als etwas Produktives für das man von anderen geschätzt wird. Sich selbst macht der Arbeitssüchtige allerdings Schritt für Schritt kaputt, bis er letztendlich kein Leben mehr hat ohne seine Arbeit.
Meist merkt der Süchtige das erst, wenn ihm auf einmal die Arbeit fehlt, er gekündigt wird oder es schon vorher zum Burnout kommt. Mittendrin merkt er das meistens nicht, was ich auch nachvollziehen kann. Ich merke ja auch nicht, wenn ich Mittagspause machen soll. Ich denke mir: Ich mache eh nicht viel, es macht mir aber Spaß, also warum nicht weiter machen?
Doch wie entscheidet man dann, ob man zu wenig oder zu viel arbeitet?
Beim Alkohol ist es „einfacher“, denn da kann man sagen, dass die Person, um nicht rückfällig zu werden, keinen Schluck mehr trinken darf. Aber was macht ein Arbeitssüchtiger? Er kann ja nicht aufhören zu arbeiten! Er muss lernen, „normal“ zu arbeiten, obwohl seine Vorstellung von normal nicht der allgemeinen Norm bzw. dem tatsächlich Machbaren entspricht.
Mein Chef MR will ab nächsten Monat so eine „Zeitstempelmaschine“ aufstellen. Er selbst meint, dass er das nicht hinbekommt, die Karte beim Kommen da rein- und beim Gehen wieder rauszustecken, aber ich sei ja so zwangsgestört, dass ich das bestimmt hinbekomme. Was das bringt? Er will faktische Zahlen, wie viel Lebenszeit ich dort verbringe und keine „Empfindungen“ als Gesprächsgrundlage…naja, ich versuch’s mal…
Siehe auch: Fragebogen: Bin ich arbeitssüchtig?
> Er will faktische Zahlen, wie viel Lebenszeit ich
> dort verbringe und keine „Empfindungen“ als
> Gesprächsgrundlage
Und? Gibts Ergebnisse?
Irgendwie hat das nicht so ganz geklappt damals. Wäre ich alleine, würde ich das hinbekommen. Aber Mein Chef hat mich wohl mit seinem Chaos angesteckt…mittlerweile schreibe ich mir zumindest bei längeren Retuschearbeiten die Zeiten auf, damit wir wissen, wie lange ich dran saß…bzw. Überstunden notiere ich ja sowieso.
Wie viel Zeit ich jetzt auf der Arbeit mit was verbringe, kann ich nicht so genau sagen. Sicherlich könnte ich nach wie vor mehr leisten, aber das Level, auf dem ich gerade bin, ist ganz gut.
Mein Chef macht mir auch nie Druck oder ähnliches. Den mache immer nur ich, wenn ich ihn frage, ob ich ihm zusehen soll, wie er retuschiert oder an meinem Bild weiterarbeiten kann. Manchmal braucht er einfach jemanden, der dasitzt und zusieht. Wenn ich das weiß, ist es okay, dann stelle ich mich darauf ein. Aber ständige Unterbrechungen mag ich nicht so. Allerdings kam es auch schon vor dass ich gemeint habe: Du..ich muss auch mal was arbeiten, sonst wird das nichts! : )
Mit der Mittagspause ist es bei mir besser geworden, aber ich habe nach wie vor so meine Probleme damit. Ich passe mich da leider auch zu sehr an meinen Chef an. Wenn er weiterarbeitet, fällt es mir schwer, einfach aufzuhören und den Raum zu verlassen…er erinnert mich zwar immer wieder daran, aber ich verschiebe das dann eben bis ich das Gefühl habe, dass ich jetzt wirklich mal Pause machen sollte oder er meint: Okay, also ICH mach jetzt mal Pause…
Dennoch…als arbeitssüchtig definiere ich mich jetzt nicht mehr oder zumindest nicht mehr in dem Ausmaß wie es damals der Fall gewesen ist.
Ich denke, das hat sich enorm gebessert, seitdem ich alleine wohne und meinen Alltag in den Griff bekommen muss. Da bin ich zwar immer, wenn es brennt, muss aber auch sagen, dass ich immer seltener Überstunden mache und auch machen möchte. Mein Chef achtet auch darauf, selbst wenn sich die Überstunden sehr häufen können. Ein Beispiel: Letztes Jahr hatte ich wie jedes Jahr 25 Urlaubstage. Mit dazu gerechneten Überstunden“tagen“ waren es 60. Und die habe ich auch fast alle genommen bis auf 7, die ich 2017 schon „abgefeiert“ habe.
Meinen Lebenssinn erkämpfe ich mir aber nach wie vor durch ständige Aktivität…egal in welchem Bereich. Ich merke jedoch, dass ich auch da ruhiger werde. Mein Haushaltsputzwahn hat nachgelassen, ich beschäftige mich auch wieder mit anderen Dingen. Wobei diese nach wie vor eher ein Punkt auf der Liste sind. Aber entspannter als früher. Ich lasse mir Zeit für die Punkte, obwohl da so vieles steht…
Ich begegne mir nach und nach mehr selbst und meinen Konflikten. Manchmal zieht es mich runter, manchmal stelle ich mit stolz fest, dass sich ja doch was bewegt…
Alles in allem…ich arbeite an meiner Art zu arbeiten. ; )
Eine Freundin erzählte mir neulich folgendes: Sie arbeitete sehr viel ehrenamtlich in einem Verein. Sehr viel. Dann wurde ihr Vater krank, als im Verein eine Veranstaltung anstand. Sie sagte dort ab und teilte den Vereinskollegen mit, dass sie jetzt bei ihrem Vater sein müsse. Was geschah? Sie bekam Ärger und Druck. Viele hatten kein Verständnis für ihre Entscheidung.
Sie sagte mir, in dem Moment sei ihr klar geworden, dass sie nur beliebt war, wenn sie tat, was andere von ihr erwarteten, wenn sie funktionierte. Und sie sagte, dass sie das vermutlich immer schon gewusst hat und deshalb so viel dort arbeitete. Sie ist dann aus dem Verein ausgetreten.
Dieses Gespräch hat mir gezeigt, dass ich ähnlich bin. Gerade momentan fühle ich mich wie getrieben von vielen ehrenamtlichen Arbeiten (Du hast sicher gemerkt, wie lange ich wieder keine Zeit für Deinen Blog hatte). Ich habe zu allem Ja gesagt. Warum? Womöglich nur, weil ich beliebt sein will :-O
Das muss aufhören. Wie sehr vermisse ich die Zeit (vor wenigen Jahren noch), in der ich dann und wann Muße hatte, einfach mal drei Stunden lang spazieren zu gehen. Das wünsche ich mir zurück, denn das brauche ich.
Ich weiß nicht, ob Du zu viel arbeitest? Auch glaube ich nicht, dass übermäßiges Arbeiten automatisch irgendwann zum Burnout wird. Aber ich glaube daran, dass zumindest meine Seele und mein biologischer Körper diese Zeit des Abschaltens brauchen. Dieses mal-was-anderes-Machen oder besser gar-nichts-Machen ist pure Lebens-Energie.
Für die kommende Zeit habe ich mir ein stricktes Ja-Sage-Verbot auferlegt 🙂
Das mit dem Verein finde ich ja wirklich eine krasse Geschichte…vor allem, da das doch ehrenamtlich war?! Vermutlich haben sich die Mitglieder schon so an ihre Verfügbarkeit gewöhnt und den eigentlichen Sinn hinter einem Ehrenamt vergessen? Das kommt in vielen Bereichen leider sehr häufig vor…
Ich bin froh, dass mein Chef mich auch mal einfach so nach meiner Arbeit anruft…einfach um mir zu sagen, dass ich eine klasse Mitarbeiterin bin, die er schätzt. Das schätze ich an ihm. Er versucht all das nicht als selbstverständlich anzusehen und teilt das auch mit. Denn selbstverständlich ist es nämlich nicht, was ich mache. Und auch ein Ehrenamt sollte das nicht sein…
Ich hoffe doch sehr, dass du mit deinem Ja-sage-Verbot Erfolg hattest/hast? Denn ständige Verfügbarkeit (auch wenn man die Tätigkeit gerne macht!) führt zwangsläufig zu Erwartungen, die andere entwickeln, und zu einem extremen Druck, den man sich dann selbst macht, um den Erwartungen gerecht zu werden und niemanden zu enttäuschen…
Und du kannst dir gerne Zeit lassen beim Lesen und Kommentieren. Ich bin da ja nicht anders, nehme sie mir dann aber bewusst. So wie du. ; )