Gefühlsmäßg hat sich bereits seit einiger Zeit die Überforderung in mir angebahnt, die gerade irgendwie ihren Höhepunkt erreicht. Ich merke es daran, dass ich etwas neben mir stehe, mein Tinnitus wieder lauter wird, ich angespannt bin und vor allem gereizter reagiere als sonst und Kontakte deshalb lieber gleich meide, weil mit mir gerade nur sehr schlecht zu reden ist.
Es hat eine Weile gedauert, bis ich es gemerkt habe, weil ich einfach nicht den Eindruck hatte, dass ich überfordert sein sollte…denn was mache ich schon? Es ist ja eigentlich wirklich nichts Tragisches geschehen, das ich als Auslöser für mein negatives Gefühl definieren könnte. Es ist faktisch gesehen nichts verrutscht und somit alles gut. Naja, bis auf das ein oder andere, was natürlich besser laufen könnte. Aber ist es wirklich das, was mich so stresst? Oder habe ich vielleicht wie so oft einfach falsche Vorstellungen, die nicht umsetzbar sind? Ist denn mein Anspruch an mein Leben einfach zu hoch für mein Leben, wie ich es lebe?
Der Tag hat nun mal nur 24 Stunden, 11 davon bin ich mit dem Weg zur Arbeit, der Arbeit an sich, der Mittagspause (1,5 Stunden, die mir nichts bringen, weil ich auf der Arbeit nicht abschalten kann und daher nach einem kurzen Essen meist auch wieder weiterarbeite…) und dem Weg zurück beschäftigt, sechs bis sieben Stunden sollte ich schlafen…also sagen wir mal, ich habe sechs Stunden Zeit am Tag. Da sollte ich dann einkaufen, kochen, essen, Essen planen, den Haushalt machen, meine sozialen Kontakte und meine Beziehung pflegen, entspannen/zur Ruhe kommen und was für mich tun wie zum Beispiel kreativ sein.
Wie schaffen das eigentlich andere? Ich glaube viele füllen die Kreativzeit einfach mit Netflix und verteilen das andere einfach anders. Sie geben ihren Freunden und ihrer Familie zum Beispiel mehr Zeit.
Ich bin eher so, dass ich diesen Punkt als erstes außer Acht lasse, denn momentan sind mir alle sozialen Kontakte einfach zu viel. Daher bin ich bei allen gerade auf Abstand. Das kommt bei mir gelegentlich vor, da ich im Bezug auf andere schon etwas speziell bin. Manchmal glaube ich, dass ich da etwas von einem Autisten habe. Ich brauche meine Ruhe, mein System, ziehe mich gerne zurück und gewinne dann eher daraus wieder Energie. Das hat nichts damit zu tun, dass mir andere nicht wichtig genug sind, ich sie nicht wertschätze oder ich ihnen nicht genug vertraue.
Ich habe nur zum einen die Befürchtung, ihnen einfach nicht mehr gerecht zu werden, da mir jegliche Kapazitäten für eine angemessene Unterhaltung fehlen. Zum anderen will es gerade auch nicht, wenn ich wirklich ehrlich bin und mich lieber mir selbst widmen und meinem Überforderungsproblem. Und das wird bei mir nun mal nicht besser, wenn ich in Kontakt mit anderen trete. Ich verliere dann eher den Kontakt zu mir und das macht es eher schlimmer.
Alles in allem fühle ich mich gerade einfach zu langsam, zu undiszipliniert und irgendwie zu faul. Gefühlt fange ich zu vieles an, beende aber nichts und ich vermute das sorgt letzen Endes für meine Unzufriedenheit. Mir fehlen gerade irgendwie Erfolgserlebnisse. Sowohl privat als auch auf der Arbeit, auf der ich gefühlt langsamer und schlechter bin als zuvor. Mein Chef verneint das zwar, aber ich kann mich nur schwer von diesen Gedanken lösen.
In meinem Kopf ist einfach zu viel. Zu viel zu durchdenken, zu viel zu tun, zu viel von dem ich Angst habe, dass ich es vergessen könnte,…zu viele Erwartungen, von denen ich denke, dass ich sie erfüllen muss… Und dabei zwingt mich keiner. Aber zwinge wirklich nur ich selbst mir diese eigentlich unmenschliche Disziplin auf?
“Don’t say you don’t have enough time.
You have exactly the same number of hours per day that were given to Helen Keller, Pasteur, Michelangelo, Mother Teresa, Leonardo da Vinci, Thomas Jefferson and Albert Einstein.”
[H. Jackson Brown Jr.]
Liebe Lui,
„Und dabei zwingt mich keiner. Aber zwinge wirklich nur ich selbst mir diese eigentlich unmenschliche Disziplin auf?“
Gute Frage! Also ich glaube schon, dass es Menschen gibt die zu ihren Verhaltensmustern von niemanden gezwungen werden. Sie alleine treiben sich an und merken oft viel zu spät, das sie sich überfordern. Sie sind im Grunde Sklave ihrer eigenen Haltung zur Welt. Erst wenn der Zusammenbruch kommt, wie zum Beispiel „Burnout“, kommt zwangsweise ein Stopp und vielleicht die Einsicht, was an der eigenen Lebensweise zu ändern.
Ob Du Dich selber zwingst… die Frage kannst Du Dir letztlich nur selber beantworten, wenn Du ganz ehrlich zu Dir bist und Du die Signale (von innen und außen) nicht ignorierst, richtig interpretierst und was dagegen tust.
Liebe Grüße
Siegfried
Lieber Siegfried,
in erster Linie bin es wohl wirklich ich, die sich so stresst mit dem Wunsch nach einer eigentlich utopischen für mich idyllischen Welt, in der ich wirklich alles immer im Griff habe, alles im Gleichgewicht ist und nach Plan verläuft und ich zudem die Kontrolle über das habe was passiert. Das klingt jetzt vielleicht etwas abgehoben, aber im Grunde ist es das, an den ich gescheitert bin und was mich jetzt wieder an mir zweifeln lässt…mir ist in sehr vielen Bereichen gefühlt die Kontrolle entglitten. Teilweise ist das gut, denn das ist der Beweis dafür, dass die Welt doch noch nicht untergegangen ist, obwohl gerade irgendwie alles stillzustehen scheint. Aber andererseits sollte ich jetzt wieder neu überlegen, wie ich meine Zeit sinnvoll und weniger mit Fesseln und Knebeln behaftet und vor allem für einen Menschen realistisch strukturieren kann…falls das überhaupt möglich ist…
Liebe Grüße
Lui
Mr Browns Zitat verwundert mich außerordentlich und regt mich echt auf.
All den genannten Persönlichkeiten ist gemein, dass sie sich (nach meinem Wissen) sehr ausschließlich mit ihrem Steckenpferd beschäftigt haben, entweder deshalb, weil es ihr Beruf war, oder auch, weil ein gewisser Reichtum ihre Leidenschaft aushielt (wie ich es bei Helen Keller annehme). Dass sie viel erreicht haben, erscheint mir somit erst einmal als kein Wunder.
Apropos Wunder: Außerdem gibt es unter ihnen Menschen, die schon früh als Wunderkinder aufgefallen sind, die also herausragende Begabungen hatten. Ich kenne solche Leute, die alles mögliche in ihrem Leben machen und auch fertigstellen, weil ihr Hirn einfach schnell genug arbeitet.
Wenn ich sage, ich habe nicht genug Zeit („Don’t say you don’t have enough time.“), dann deshalb, weil ich einfach zu langsam vorankomme, um zu erreichen, was ich erreichen will. Da ich kein Wunderkind bin und außerdem auch noch für meinen Reichtum anderweitig arbeiten muss, bleiben mir nur zwei Wege:
1. Ich überarbeite mich und jammere über zu wenig Zeit oder
2. Ich schraube meine Erwartungen an mich zurück
Tatsächlich finde ich Nr. 1 sehr ungeschickt, da bin ich mit Mr. Brown völlig einer Meinung. Deutlich sinnvoller scheint mir Nr. 2 zu sein. Da genau das die Überflieger aber nicht nötig haben (was ich ihnen nicht übel nehme!), bzw. nur auf ungleich höherem Niveau, ist der Vergleich mit ihnen völlig fehl am Platz.
Natürlich haben wir alle die gleiche Zeit zur Verfügung. Aber unsere Erfolge sind sehr brutal unterschiedlich begrenzt. Und wenn ich dann an alleinerziehende, berufstätige, alte Eltern pflegende, kränkliche Menschen denke, oder aber an Journey, die einfach alles viel genauer durchdenkt als andere, die ihren Job sehr gewissenhaft ausführt, die mit komplizierten Eigenheiten lebt, die man allgemein Autisten zuschreibt, und die dann auch noch mit den Narben aus vergangenen Zeiten zu kämpfen hat, dann kommt mir die Aussage dieses Zitats schon sehr unverschämt vor!
Wow, aus dieser Sicht habe ich das noch gar nicht gesehen. Ich sehe nur die Zeit X und meine Kapazität Y und dass das, was ich da reinpacken möchte, eher das zwei- oder dreifache ist…also liegt der Schluss für mich nahe, dass entweder mein X zu klein ist (weil ich zu langsam und ineffizient bin..) oder die Variablen zu groß für mich und meine Gesamtkapazität…es sind also eindeutig meine Erwartungen, die unrealistisch sind! Ich gehe einfach irgendwie automatisch davon aus, dass man das alles doch lockerer und mit links hinbekommen sollte. („Andere schaffen das ja auch…und haben noch mehr Variablen…Kinder z.B.“)
Kurz: Ich mache den Fehler und vergleiche mich mit den falschen Leuten in falschem Kontext. Ich lasse außer Acht, dass es andere Dimensionen sind, in denen sich die im Zitat erwähnten Personen bewegen. Und dass auch andere, mit denen ich mich unbewusst so vergleiche, nicht so die Probleme mit vielem Alltäglichen haben wie ich. Sie haben vielleicht auch weniger Faktoren, die in diese Rechnung mit einfließen und damit natürlich mehr Kapazitäten…oder sie haben noch andere Leute im Backend, die ihnen Arbeit abnehmen bzw. diese mit ihnen teilen. Ich teile meine Aufgaben halt mit niemandem und mache lieber alles alleine. Für mich gehört es zum Leben, damit alleine fertig werden zu können. Und dazu will ich alles natürlich gewissenhaft machen, wie du gut erkannt hast…und mit meinen Ansprüchen ist es eigentlich nur logisch, dass ich mich irgendwann überfordere…
Für mich war übrigens in erster Linie die Aussage des Zitats, dass man das beste aus seiner Zeit rausholen kann und nicht über Zeitmangel jammern soll. Und dass man auch viel erreichen kann, wenn man will.
Aber anstatt mir mal darüber klar zu werden, was eigentlich Priorität hat im JETZT (nicht allgemein in meinem Leben), mache ich mich eher klein und sehe so meine Produktivität manchmal nicht mehr, sondern nur den Makel und was mir noch zum Ultimum fehlt. Das ich aber nicht erreichen kann, weil es mit Sicherheit kein Mensch erreichen kann…
Danke für deine Denkanstöße! : )