Ich habe ihm versprochen, niemandem was zu sagen.
Aber es tut mir Leid, mein kleiner Held…ich muss dich einfach in meinem Blog erwähnen! Deine Geschichte ist so voller Leid…und du bist der erste 13-jährige, der mir sein Leben erzählt hat…
Dir widme ich diesen Eintrag, auch wenn du ihn wohl nie lesen wirst…
Aber fangen wir gaaanz von vorne an…
Ich war heute in H. bei Tati Pädagogik/Psychologie lernen. Es war wundervoll. Wir haben viel geschafft…: )
Und ich bin froh, dass ich da überhaupt heil angekommen bin. Denn ich saß nämlich im Zug und wunderte mich nicht, dass ich irgendwann die einzige drin war. Ich war sehr intensiv in mein Psychologie-Buch vertieft und hörte auch nichts dank meiner Musik. Auf einmal stand dann ein Mann vor mir und sah mich an. Ich nahm die Kopfhörer runter und meinte freundlich „Hallo!“ Er war sprachlos und musste sich erst wieder fangen. Dann schmiss er mich samt Buch aus dem Zug. Zwei Minuten lief ich noch mit dem rum, dann realisierte ich die Situation. Der Zug hatte sich geteilt. Ich saß im falschen Waggon. Die andere Hälfte sah ich gerade noch so in der Weite der Gleise verschwinden.
Dann packte ich endlich mein Buch ein und informierte Tati, die meinte, ich solle einen Bus nehmen. Den fand ich auch. Und ich steckte natürlich verplant wie ich war die Busfahrkarte falsch herum in den Schlitz rein. Es war allerdings kein Weltuntergang. Ich lächelte und setzte mich hin.
Ausgestiegen bin ich dann doch eine Station zu früh…typisch. Nicht mehr blond, aber das Feeling ist einfach noch da…
Es war 18 Uhr. Tati kam mir entgegen und auf uns warteten Stunden des Lernens…
Als wir ihr Haus wieder verließen, war es kurz nach 22 Uhr. Wir sind los zum Zug, weil der folgende der letzte nach V. war. Davor wollte Tati sich aber noch Zigaretten holen. Leider wollte der Automat nichts akzeptieren und wir gingen zum nächsten. Der schluckte ihre 50 Cent und dann standen wir da. Doof. Und wie das in solchen Situationen nachts im Kaff wo alles tot erscheint eben so ist, kam die Polizei. Sie hielt direkt neben uns und als die Polizisten uns nach unseren Personalien fragten, dachte ich, das würde böse enden. Aber sie suchten nur ein 13-jähriges Mädchen in Lederjacke und ohne Schuhe, die aus dem Heim geflohen war. Ich würde wie 13/14 aussehen…und ich war im Mini-Rock,…hatte aber leider Schuhe an und war 20.
Im Nachhinein war alles aber gut so. Denn das eine hat zum anderen geführt. Der erste Automat sollte wohl unsere Karten nicht annehmen. Der zweite sollte die 50 cent schlucken. Die Polizei sollte uns begegnen…denn dann wussten wir nämlich Bescheid. Wäre alles nicht so gekommen, so wäre folgendes Geschreibsel wohl nie so zu Stande gekommen…
Am Bahnhof fiel uns nämlich ein kleiner Junge mit Kissen und ohne Schuhe auf. Er wollte weg gehen, doch Tati sprach ihn an und wir redeten ein bisschen mit ihm. Er erzählte uns, man habe ihn aus dem Heim geschmissen. Er war natürlich die gesuchte Person. Er rauchte. Er war 13. Und er wunderte sich, dass die Polizei ihn für ein Mädchen hielt…
Als der Zug kam, sagte ich zu Tati, dass sie die Polizei rufen sollte. Machte sie dann auch.
Im Zug saß der kleine mir dann gegenüber und wir begannen zu reden. Und ich habe schon lange nicht mehr so ein Gespräch geführt, bei dem der Gesprächsanteil so ausgeglichen war und wirklich gegenseitiges Interesse am Leben des anderen bestand… Und schon gar nicht mit einem 13-jährigen Jungen! Als ich ihn fragte, wie er denn heiße, reichte er mir sogar die Hand! Er behandelte mich mit Respekt, zuvorkommend und höflich. Ich ihn auch. Es war eine wundervolle halbe Stunde… Ich war so verdammt gerührt und vermisse den kleinen irgendwie…ich würde mir echt wünschen, dass ihm nichts passiert und er später mal ein erfülltes Leben führt…wirklich von ganzem Herzen…
Ich habe ihm am Schluss mein weniges Kleingeld gegeben und am Bahnsteig von V. noch mein Feuerzeug mit den Worten „Hier, schenk’ ich dir. Damit du mich nich’ vergisst! Ich wünsche dir viel Glück!!“ Und dann hat er gestrahlt und war gerührt…wenn er irgendwann wieder im Heim sein sollte, was ich annehme, werde ich ihn besuchen. Mit ihm reden. Denn das konnte man mit ihm wirklich gut. Also Hut ab! Mit so manch einer 40-jährigen Person habe ich selten so reden können! Aber andererseits ist seine Geschichte auch traurig und sein Charakter von Leid geprägt…
Sein Vater ist vor Monaten gestorben. Seine Mutter hat ihn rausgeschmissen, da sie mit ihm nicht mehr klar kam. Alle meinen, er gehört in die geschlossene Anstalt, da er das mit dem Vater nicht verkraftet. Ich denke, das tut er auch nicht wirklich…denn er wollte Richtung Ko., was im Süden Deutschlands liegt. Denn da ist der Vater aufgewachsen und auch begraben worden. Seine Mutter kommt aus Karlsruhe und wohnt dort auch noch. Kein Heim habe den kleinen gewollt. Nur in H. hat man ihn aufgenommen…
Ich werde morgen mal meine Kollegen an meiner alten Schule fragen, ob sie was von ihm mitbekommen haben. Denn die arbeiten ja nicht nur dort, sondern sind überall Sozialpädagogen.
Denn ich will echt, dass der kleine was wird…und ich habe die Connections. Ich glaube sogar, er will das auch, hat aber einfach keine Motivation mehr, ist in einem schwierigen Elternhaus aufgewachsen und vor allem immer noch nicht über den Tod seines Vaters hinweg. Das drückt ihn sehr nieder…aber als ich ihm das Feuerzeug von Herzen gegeben habe, war er einen Moment glücklich und auch während der Fahrt mussten wir beide immer wieder lächeln, als er nach passenden Worten gesucht hat. Deutsch mag er nicht so, kann sich dafür aber verdammt gut unterhalten. Mathe ist schon eher sein Fach…
Ich hoffe, dass es ihm gut geht…<3!
Das hoffe ich auch! Er wird schon auf sich aufpassen, der kleine Mann. <3
Wie soll man sich nach so einer Begegnung noch hinhocken und Psychologie lernen? Das klingt genauso komisch wie die Tatsache an sich. Jeden Tag passiert ne neue Scheiße. Jeden verdammten, scheiß Tag.. einfach so. Du kommst nach Hause und hast keine Haustür mehr. Daheim gibts ne Schlägerei und die Bullen trauen sich nicht zu kommen. Du gehst an Bahnhof und siehst einen Jungen ohne Schuhe. Du machst mit deinem Freund Schluss und erfährst, dass er sich Heroin spritzt.. okay, bloß nicht in Selbstmitleid versinken. Oh man es ist 2 Uhr nachts und ich werde vermutlich kein Auge mehr zudrücken. Ich weiß garnicht, warum ich dir hier schreibe, schließlich schreiben wir ja grad in MSN. Naja, wär schön dass du heute da warst, müssen wir öfters machen! HAB DICH LIEB!!-Und unser kleiner Mann wird uns bestimmt genauso gut in Erinnerungen behalten wie wir ihn!
Naja…du kennst das doch. Kein Schlaf und Schreiben sind eine böse Mischung…
Aber du hast Recht. Es passiert immer irgendein anderer Mist…wenn ich hier weg bin, habe ich das gröbste immerhin hinter mir. Zwar nicht an Mist, aber an etwas, das beinahe genau so schlimm ist… Denn wenn ich hier weg bin, dann zählt nur noch das „richtige Leben“ und Menschen, die auch nur ansatzweise nachdenken und nicht diese ganzen Antirelativisten, die keine Ahnung vom Leben haben, aber jeden Scheiß glauben, den man ihnen gut verkauft.
Es wird nichts mehr sein von wegen tagelang nichts essen und kraftlos im Bett liegen, weil ich mich nicht aus meinem Zimmer traue. Niemand schmeißt dann Gegenstände durch die Gegend, wenn ich gerade mir meinen Gästen esse. Und keiner steht hinter mir in der Küche und wartet darauf, bis ich ein wenig Milch verschütte, damit man mich fertig machen kann. Es wird keiner mehr da sein, der mich stichelt und nur auf solche Gelegenheiten wartet. Und keiner wird mir Vorwürfe machen, dass ich eine nutzlose Person bin, obwohl dieser jemand mich nicht einmal kennt und keine Ahnung hat, wie Handeln entsteht und dass so etwas wie unser kleiner Mann sich nur so verhält, weil ihm die Situation so unerträglich erscheint.
Aber wenn man es genau nimmt hat der Großteil dieser Welt keine Ahnung von solchen Dingen. Es wird im TV gesehen. Toll. Zusammenhangslose Situationen ohne Gefühl. Wie soll die Menschheit denn da wissen, was fühlen und Leben überhaupt ist? Auf der Mattscheibe wird alles so irreal dargestellt, dass diese Menschheit eine ebenso irreale Wahrnehmung bekommt. Aber klar. Wenn alle nicht nachdenken, dann ist das ja „normal“. Und Leute, die am Nachdenken und an der Gesellschaft!! kaputt gehen, sind die irren. Die gehören in die Geschlossene. Die sind nicht so wie die anderen. Sie könnten ja jemandem mit ihrem von Leid resultierenden Handeln gefährden.
Alle sind schlicht und einfach verblödet…und keiner fragt sich eigentlich, was einen anderen Menschen überhaupt bewegt…und dann heißt es auf einmal „Warum ist sie bloß vor den Zug gesprungen?! Es war doch alles so schön…das Leben ist ja so toll“ Ach ja? War es das wirklich? Und warum hat er sich dann erhängt? Warum springen in einer Woche zwei von der Brücke? Ein Mann um die 40 und seine 14-jährige Geliebte hinterher?
Das Problem an dieser Gesellschaft ist, dass keiner einen anderen kennen mag. Man sieht sich einen Dreck im TV an und denkt „ohhh, wie schrecklich“. Aber dass Menschen in der Umgebung sich umbringen und zunichte machen und an diesem Leben kaputt gehen merkt keiner. Nebenan mag ja einer schreien, zusammenbrechen, am Leben zu Grunde gehen, aber was soll’s?! Wenn er damit nicht klar kommt, sein Pech. Das Leben ist wundervoll! Alle verstehen sich. Alles ist perfekt. Aber alle 56 Minuten bringt sich in Deutschland einer um…
Und ich frage mich da: Was ist denn eigentlich noch normal? In welcher i-Spanne befindet sich eigentlich der Wert, die Definition von normal? Mit Sicherheit kann ich dir sagen, dass die Masse als normal angesehen wird. Die Mehrheit natürlich Und das ist dann die Gesellschaft. Alle Außenseiter sind irre. Aber es ist natürlich Alltag, dass diese Heidi Klums ihren Finger in den Hals stecken. Es ist normal, dass man sich gegenseitig fertig machen muss, weil’s halt Spaß macht. Es ist normal, dass man seine besten Freunde hintergeht. Vielleicht bin ich selbst ja in dem Punkt auch nicht besser. Ich habe meine besten Freunde verlassen, wenn’s am schwersten war. Aber wenn man selbst am Boden liegt, hilft einem auch keiner mehr auf. Ich bin in weniger als fünf Minuten zwei Kilometer gerannt, um meine beste Freundin bei Trennungsschmerz zu helfen. Und das erste was kam war nicht „schön dass du da bist,“ sondern „Was machst du denn hier?!“ Ich warte nachts um elf am Bahnhof um meinen besten Freund/Freund abzuholen und mit ihm zu reden und er lässt mich stehen und war nie mein bester Freund gewesen. Ich mache vieles für Menschen. Sehr viel sogar. Aber alles mache ich auch nicht mit.
Und Freunde…was sind schon Freunde? Jeder sieht nur sich. Und wenn der andere sich gerade versucht hat, umzubringen, schweigt man einfach. Man weiß ja nicht, was man sagen soll. Aber dass es das noch schlimmer macht, ahnt ja keiner. Keiner hat eigentlich eine Ahnung vom Leben. Und… was genau ist dann eigentlich noch Leben? Die Gesellschaft? Die Masse? Was bin ich froh, dass es noch kluge Köpfe gibt und sich nicht jeder dieser Ansammlung von Schafen hingibt.
So…jetzt bin ich das zu so früher Stunde auch losgeworden…und jetzt kann man mich von mir aus kritisieren. Wenn einer noch was zu sagen hat…
Ich hab’s jedenfalls…und irgendwann werde ich das auch tun. Ich muss nicht Amok laufen und Leute erschießen. Ich muss nur an ihren Verstand appellierten. Und ich habe jetzt schon tausende von Schicksalen im Kopf. Nicht aus Afrika. Sondern von einzelnen Personen. Hier. Real. Vor unseren Augen.
Das Leben ist eben kein Ponyhof…
Und eben weil das so ist, sollten wir uns öfters sehen. In H. erlebt man wirklich was. Das nächste mal setzten wir uns in die Pizzeria und reden mit den Individuen, okay? ; )
Und wir müssen zusammen halten, Tati. Nicht, dass einer von uns Non-Konformisten noch im Strom mit der Masse „untergeht“. Vielleicht ist das alles hier ja auch nur meine subjektive Wahrnehmung. Aber wo kämen wir denn ohne sie hin? Wo wären Nietzsche und Kant geblieben? Was ist mit Schopenhauer? ; )
Ich bin froh, dass wir uns kennen gelernt haben. : )
Ich hab dich lieb!