Fünf Minuten…

Mir ging es gerade so gut. Richtig gut. Ich saß hier und dort, habe Kai kurz gesehen und ihn ignoriert und ich habe gelebt. Gelernt. Geträumt. Gelacht. Und ob ihr es glaubt, oder nicht, man kann einen Menschen in fünf Minuten töten. Innerlich töten. Seine Seele in Stücke zerreißen…

Mein heutiger Tag war eigentlich schön.
Die Schule war okay. Beim Klaus (Physiklehrer) bin ich zwar fast eingepennt, aber das ging dann auch wieder nach einer Weile. Ich bin kurz Heim, habe mir eine andere Tasche genommen, Bücher abgelegt und bin dann in die Stadt was essen und den Berg hoch zum Arbeiten. Herr P. war nicht da. Er hatte mir nichts gesagt. Also habe ich oben an meiner alten Schule angefangen zu lernen. Ich lerne ja an allen möglichen Orten, also warum nicht auch dort? Ich habe immer was dabei. Und wo sollte ich auch sonst hin?
Danach bin ich wieder kurz Heim, habe noch mal Bücher abgelegt und dann bin ich ins Café. Bella Brot saß da. Sie fand meine Haare toll. Eigentlich ist sie ja ganz nett…aber immer noch leicht strohig im Kopf.

Und dann…ist mir Kai begegnet. Er kam mir entgegen. Ich habe nicht die Straßenseite gewechselt. Ich bin an ihm vorbei, als wäre er gar nicht da. Ist er auch nicht. Nicht einmal der konnte meine Laune zerstören.

Ich war heute auch bei Dr.D. und habe mit ihm geredet. Er ist nett. Auch wenn er viele Dinge recht einfach erklärt. Ich mag ihn. Mit seinen Pflanzen und seinem Tee auf dem Tisch mit Pflanzen drin. Und wie er immer auf dem Stuhl hin und herwackelt…ihm alles mögliche zu erzählen ist amüsant. Vor allem, da er so positiv ist und gut argumentieren kann…
Nach Dr.D. wollte ich nicht wieder Heim. Und schon gar nicht dort bleiben. Also bin ich ins Nest. Dort habe ich mich genau so amüsiert. Mir ging es gut…wirklich gut. Nicht eingeredet gespielt versucht gut. Und dann… kam U. rein und ist kurz mit mir raus vor die Kneipe. Meine Lehrerin hätte angerufen. Ich würde unentschuldigt fehlen und hätte meinen Eltern nichts von dem Elternabend gesagt, etc. etc. Donnerstag sei ein Termin…da wird dann entschieden, wie es mit mir weitergehen soll. (Und ach ja, Dr.D. hat mir angeboten, dass die Psychiatrie jederzeit für mich infrage kommen könnte…wenn es echt zu viel wird…das ist nett…aber ich glaube nicht sehr konstruktiv.)

Ab dem Zeitpunkt dieses Tages war ich dann angeknickt. Und je mehr ich meinem Elternhaus näher kam, desto langsamer wurde ich. Und schließlich blieb ich vor der Haustür stehen, den Schlüssel in der zitternden Hand. Ich dachte an meinen schönen Tag. Dachte an mein Leben. Dachte an die netten Menschen, die mich mögen. In meiner alten Schule. Im Nest. Dachte an Dr.D. Und ich stand da…und fing an zu weinen. Ich lief vor der Haustüre umher, wollte den Knopf vom Aufzug wieder drücken. Wollte wieder runterfahren. Wollte weg. Wollte nicht mehr hierher zurück…

Schließlich bin ich dann doch rein. Alles in mir hat sich jedoch gesträubt. Schon beim Hochfahren im Aufzug wurde mir schlecht und ich sackte in mich zusammen…
…
Ich will hier nur noch weg. Ich will mir keine Vorwürfe wegen einem Elternabend anhören. Will mir keine Vorwürfe von meiner Klassenlehrerin anhören, die zwar berechtigt, aber im Gegensatz zu meiner aktuellen Lage lächerlich sind. Ist denn ein Elternabend so wichtig? Wichtiger als ein Menschenleben, das aus Selbstschutz einen Zettel nicht abgibt? Nicht mit den Eltern redet? Schweigt? Unterdrückt, da es sowieso keinen Wert hat, den Mund aufzumachen? Weil niemand die Stimme hören will? Wie sie weint? Leidet? Stirbt?!
Ich will hier nur noch weg. Denn ich weiß, dass ich tot bin, wenn ich weiterhin hier bleibe…und ich will frei sein…doch nur ein bisschen Freiheit…

Jetzt sitze ich in meinem Zimmer. Lese meine Mails. Mein Pädagogiklehrer kommt am Donnerstag auch. Ich habe Angst…Angst, dass ich dem nicht standhalten kann. Angst, dass ich in die Rolle eines außer Kontrolle geratenen Teenagers schlüpfe…einfach richtige Angst, dass sich alle am Tisch (Lehrer, Eltern, etc…) gegen mich stellen. Ich will das nicht. Ich weiß genau, ich werde da sitzen und alle werden mich fertig machen. Und am Ende werde ich einfach gehen. Ohne tschüss zu sagen. Werde weglaufen. Werde als schlechter Mensch abgestempelt, der ich nicht bin.

Und ich werde untergehen…

Wenn ihr nach Donnerstag nichts mehr von mir hört, dann tut’s mir Leid…dann konnte ich nicht der Tatsache standhalten, dass ich nicht reden kann. Ich kann mit vielen Leuten reden. Aber ich kann nicht reden, wenn meine Eltern da sind. Ich kann nicht atmen, wenn sie da sind…weil sie mich nicht kennen…

Gerade kommt mir eine Idee. Ich hole meine Webcam heraus und werde versuchen, zu reden. Und ich hasse reden. Ich hasse es mit Menschen zu reden, die in ihren Mustern festsitzen und sich nur mit Schrott-Gefasel überzeugen bzw. einlullen lassen.
Aber genau so wird es enden. Ich werde den Mund aufmachen müssen…

Und ich werde diese Nacht wenig schlafen. Ich werde meinen Blog lesen und mir ein Konzept zurechtlegen. Donnerstag ist Zahltag. Donnerstag werde ich entweder aufgrund meines inakzeptablen Benehmens und meiner – in den Augen meiner Eltern – unberechtigten Emotionen von der Schule geschmissen oder es läuft alles ganz gut und gesittet ab. Oder ich falle tot um…
Aber das alles hat immerhin etwas positives…Mein Pädagogiklehrer wird dabei sein und live erleben, was Leben ist.

Ich bin kein Psycho.
Ich bin kein schlechter Mensch.
Ich bin kreativ.
Ich bin kein verrückter Teenie, der in der Disco rumspringt.
Ich bin auch nicht außer Kontrolle.
Ich bin jemand, der gerne philosophiert.
Ich bin kein Schaf.
Ich bin jemand, der die Medaille dreht und wendet.
Ich bin die, die auf der Rasierklinge entlangwandert ohne sich zu schneiden.
Ich bin stark…
Und ich will leben. Einfach nur leben…
Fight…!