Was wollte uns die Natur bloß damit sagen?!

Ich sitze in einem Zug, heilfroh zwei Plätze für meinen Koffer, meine Kameratasche, meinen megavollgestopften Rucksack und meine megavollgestopfte Tragetasche ergattert zu haben. Den Koffer hält freundlicherweise der Mann gegenüber, damit er nicht wegrollt und den Rest habe ich gerade so neben mich gestopft, denn ich habe alles gerne bei mir und vor zu lernen und da brauche ich den Kram. Selbstverständlich habe ich nicht daran gedacht, dass jemand neben mir sitzen will. Noch war auch echt viel Platz um mich herum…zumindest musste niemand stehen.

Völlig vertieft in meinen Stoff und leiser Musik aus meinen Kopfhörern sitze ich also am Fenster und bekomme nur rudimentär mit, was um mich herum geschieht. Vorbildlich, sollte man meinen. Jemand der lernt! Klasse! Super! GENIAL!

Und im nächsten Moment erschlägt mich jemand mit seiner unbeschreiblichen Art. Mir ist noch nie zuvor so ein unhöflicher Mensch begegnet….

 

„Ja sehen Sie sich das mal an, da ist noch ein Platz frei, auf dem Gepäck liegt! Im überfüllten Zug! So was!!“

Ich reiße mir die Kopfhörer herunter und frage leicht verstört aber immer noch bemüht höflich „Möchten Sie hier sitzen?“

Die darauffolgende Antwort vermittelt mir doch tatsächlich das erste und einzige Mal das Gefühl, dass diese Person tatsächlich mit mir als Mensch spricht. Für einen Augenblick bekommt dieses „Gespräch“ somit den Status, eine völlig normale Konversation – ein Dialog, an dem zwei Menschen beteiligt sind – zu sein. Danach werde ich selbstverständlich wieder mit geschickten Worten umgangen wie ein Müllsack, wobei der noch eher die Chance hätte, von dieser Person mit „Du“ oder gar „Sie“ angesprochen zu werden.

Meine Laune sinkt somit exponentiell in den Keller und ich kann mich gerade so beherrschen, keinen Aufstand zu veranstalten. Natürlich hat diese Frau ein Recht auf diesen Platz, dessen bin ich mir voll und ganz bewusst. Aber man kann auch höflich darum bitten und in der Regel bin ich auch nicht so, dass ich mit Absicht Plätze blockiere. Aber das weiß die Frau ja nicht. Für sie habe ich auch längst den Status „verzogene jugendliche Göre“.

 

Etwas gestresst packe ich also mein Zeug weg und die Frau meint, man solle doch sofort alles auf den Schoß nehmen, damit sie da sitzen könne. Am liebsten würde sie es wohl aus dem Fenster werfen und mich noch dazu, doch aus Platzmangel wird da dann doch nichts daraus. Mich könnte sie wahrscheinlich noch am ehesten durch das Fenster stopfen, meine Sachen wohl eher nicht, denn die passen nicht mal auf die Ablage über den Sitzen.

Als der Platz dann frei ist und ich in Atemnot gerate meint sie: „Muuuäh, das bringt ja dann auch nichts, wenn der Koffer da steht und wo sollen denn da die Füße hin und das geht ja gar nicht… wie kann man denn nur und blah und blub…“

Bemüht, ja geradezu unverschämt höflich meine ich: „Kein Problem, das schöne an diesem Koffer ist, dass er sich so einfach rollen lässt. Sehen Sie!“ Mir fällt es schwer, diese Frau nicht zu erwürgen, daher packe ich das alles in diesen Satz.

Nachdem Madame sich dann endlich neben mich gesetzt hat, bedankt sie sich keineswegs bei mir; nein sie redet einfach darauf los und verpestet den Zug mit ihren Worten, die sie an alle richtet – außer an mich. Denn ich bin nicht gefragt. Ich bin auch unerwünschtes Gepäck.

„Ach wie komme ich denn nun dann wieder raus, da muss man dann ja rechtzeitig anfangen nä, sonst kommt man da ja gar nich mehr raus aus dem Zug und das ist ja so voll nä, da muss man rechtzeitig anfangen, sonst kommt man da nich mehr raus nä und der Zug hält ja nicht für mich an und der Platz ist doch scheiße und dann und blah und blubb…“

 

Ich bereue es nun wirklich, meine Kopfhörer zu früh eingepackt zu haben und schreibe mir derweil in sehr großen Lettern KAMERA auf den Handrücken, weil ich diese dank der Person neben mir aus meinem Blickfeld verbannen musste und ich die ansonsten bestimmt vergesse.

Derweil redet die Frau neben mir immer noch an alle gerichtet außer an mich, dass das ja nun ein ganz doofer Platz sei und ich blicke nur aus dem Fenster und denke mir: Toll, „Frau“, konntest du darüber nicht vorher nachdenken?“

„Wohin fahren Sie? Ich fahre dahin, das liegt früher und dann können Sie ja meinen Platz haben! Und blah und blubb und is reserviert, denn sonst bekommt man ja keinen Platz hier nä und ach wie voll der Zug doch ist…na bin ich nicht nett?!“ quasselt die Frau weiter und lässt sich nicht einmal dazu herab mich anzusehen.

 

Als es dann soweit ist, dass sie endlich verschwindet, belegt sie erst mal den heiligen Platz neben mir mit allem, was ihr gehört, sodass nicht einmal der Hauch einer Chance besteht, dass ich in einer unbeachteten Millisekunde auch nur ein Haar auf den Platz fallen lasse und ihn wieder für mein Zeug beanspruchen könnte. Als ob ich nur das im Sinn hätte…als ob ich tatsächlich so ein Mensch wäre?!

Zum Abschied treffen sich unsere Blicke nur kurz, denn mein Starren scheint ihr unangenehm zu sein. Woher das bloß kommt? Ich bin kurz davor, ihr zu sagen, dass sie nicht umsonst neben mir saß, da ihre unglaubliche Art mich zu einem Text inspiriert habe. Sie würde von mir kein „Entschuldigung“ hören, denn in mir herrscht auch kein Gefühl des Sich-rechtferigen-Müssens und ebenso beherrscht kein niedriger Selbstwert meinen Geist. Einzig allein die pure Abneigung gegenüber einem Menschen, der andere so in Schubladen steckt, kristallisiert sich als „Gefühl“ für diese Frau heraus…obwohl ich das ja nun auch irgendwie mache, indem ich sie so wie hier beschreibe und mich nicht um die Hintergründe schere, die diese Frau veranlasst haben könnten, so mit mir umzugehen.

 

…aber der größte Teil in mir findet ehrlich gesagt, dass sie es mehr verbockt hat als ich. Indem sie ihre Empörung über mein Verhalten im Zug breit getreten hat und mich nicht einfach angesprochen und nach dem Platz gefragt, sondern sofort auf Kriegsfuß indirekt gemaßregelt hat, hat sie mir zu verstehen gegeben, dass jede Bemühung meinerseits, von ihr doch noch als menschliches Wesen mit Gefühlen geachtet zu werden, umsonst gewesen wäre…

Posted by Journey

Kategorie: Allgemein

Autor: Journey

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2 Kommentare        

Alte Menschen haben keinen Respekt vor den jüngeren, alles nur fresche Gören und jugendliches Pack. Eine frechheit wie Sie mit dir umgegangen ist. Man muss zwar bedenken, dass es tatsächlich junge egoistische Menschen gibt, ABER es sind ja nicht alle so… wo ich mal wieder beim Thema Schublade wäre. Sie hätte dich höflich fragen können, ob du doch bitte etwas Platz machen könntest. Daran ist nichts verkehrt und es tut nicht weh und es wäre höflich und und und… aber so! Und dann noch dieses Gequassele, ich bin mir ziemlich sicher, das alle anderen auch gedacht haben: „Halt doch mal den Rand!“ … Zum Glück bist du heil da raus gekommen und hast auch hoffentlich nichts vergessen!? 🙂

Nee, das zum Glück nicht. ; )
Und Höflichkeit scheint manchmal eine Rarität zu sein…egal ob jung oder alt…

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