Irgendwie doch angekommen…

„Leg dich ins Bett!“ „Nein, das geeeeht doch nicht!“

5 Minuten und ein gewaltiges Kopfkino später…: „Aaaaaah, Dr. Hyde, ich kann nicht mehr, muss schlafen!“

Mit einem Tastendruck habe ich aufgelegt und an danach minutenlang an die Decke gestarrt. Bis ich letztendlich nicht mehr konnte und komplett durchgedreht bin. Alles hat mich runtergezogen. Also dachte ich mir: „Ab vor die Tür, frische Luft tut dir sicherlich gut!“ und bin aus dem Haus gerannt, ein paar mal abgebogen und stand mitten im Wald. Durch meine Kopfhörer drang Nightcore, da ich die Songs mit keinem Ereignis verbinde im Gegensatz zu allem anderen, das ich mit Menschen und Situationen verbinde, was mich irgendwie fertig macht. Aber es half nichts. Das Monster in mir hatte mich komplett in seiner Gewalt und ich hatte echt Angst. Vor mir. Vor meinem Handeln. Also tat ich mal etwas „Unvernünftiges“, was ich sonst nie mache: Ich kaufte Alkohol und versuchte, einfach mal EINEN Abend meine Ruhe zu haben. Es würde sich sicher alles aufklären und…AAAAHH. Die Versuche, mich zu beruhigen, schlugen wirklich alle fehl, auch der mit dem Vodka und dem Erdbeersekt. Nach zwei Vodka Brause und der halben Flasche Sekt drehte ich nämlich immer noch am Rad wie vorher und hatte eine Panikattacke nach der anderen. Ich versuchte x Mal Mr. Chocolate anzurufen, doch er ging nicht ran. Er hatte sich ja nicht mehr gemeldet und ich wusste nicht mal, ob er noch lebt…und bei 300 km niemanden erreichen zu können ist verdammt hart…zu hart für mich…

Der Vodka half mir zwar nicht zu vergessen, aber verleitete mich immerhin zu noch unvernünftigeren Ideen…zu einer Journey-Aktion!

Ich dachte mir dabei nur: Ooookay…bevor du jetzt vor den Zug springst, setzt du dich echt lieber rein…und fährst durch halb Süddeutschland…du musst jetzt einfach wissen, was los ist.

Kurz nach dem mein „Plan“ feststand sah ich auf die Uhr: 18:08… und dann noch mal auf den Fahrplan: 18:38. Nur noch 20 Minuten plus zehn zum Rauchen…! Wer mich kennt und weiß, wie ich nicht mit Zeit umgehen kann, der kann sich meine Reaktion vorstellen. Nur 20 Minuten zum Abschminken, Zähne putzen, alles Wichtige einpacken, Katze füttern, Wasser hinstellen, Pizza von gestern essen,…da bin ich typisch Frau. Zu viel in zu kurzer Zeit versetzt mich extrem in Stress. Ich hasse es, zu spät zu kommen. Besonders zum Bus…

Also zog ich mich wie der Blitz an und schmiss alles in die Tasche, was reinging und wichtig war. Ich stellte den Vodka weg, beschloss den Sekt NICHT auszutrinken und machte mich auf den Weg zu einem typischen Abenteuer á Journey…ungeplant und immer wieder in Panik ausbrechend, aber immerhin war ich nicht alleine, sondern in der Welt. Und ich musste mich nicht einmal bewegen, das tat der Zug von alleine. Das liebe ich einfach am Zugfahren: Wenn man sich einmal entschieden hat einzusteigen, gibt es kein zurück mehr…

18:4x
Meine Augen waren von den letzten Stunden so dermaßen verquollen, aber das war mir egal. Der Busfahrer schien mich so zu kennen (ist ja nicht das erste Mal, dass ich heulend in den Bus steige) und ich fühlte mich irgendwie aufgehoben (im Gegensatz zu meinem zu Hause…alleine)…aber vielleicht sah mir der Kerl auch einfach nicht in die Augen? Egal…denn in der nächsten Sekunde starrten sie sowieso aus dem Fenster…wurden leer, ließen mich wieder verschwinden in eine andere, bessere Welt…ich war einfach nicht da, abwesend.

19:00
In St. G. wusste ich, dass es jetzt definitiv kein zurück mehr gab. Ich wollte es so. Ich wollte ihn retten, vor was auch immer. Immer noch leicht angetrunken wartete ich somit auf den Zug nach Offenburg, rauchte noch eine Zigarette und sah mir zum 20. Mal meinen Fahrplan an ohne ihn wirklich zu lesen…

19:58 – 20:28
Um diese Zeit lief ich am Offenburger Bahnhof herum und war noch einmal mit dem Netbook online, um zu sehen, was ich nicht wollte: Immer noch keine Nachricht von Mr. Chocolate. Das brachte mich irgendwie wieder an den Rand der Panik. Ich hatte Angst. Angst, dass ihm etwas passiert sein könnte. Angst, alleine zu sein, nachdem ich „gefunden“ hatte, was mich ergänzt, was mich pusht und wieder runterholt. Im Grunde ist das nämlich genau das, was ich will. Ich will so einen komplizierten Mann, weil ich das extreme Gefühl im Grunde liebe. Ja, Mr. Chocolate kann echt verdammt kompliziert sein…aber irgendwas in mir will ihn genau so haben, wenn ich ehrlich bin…
Na gut… dieses Verschwinden von ihm war für mich wiederum zuuuu extrem und beim erneuten Gedanken daran wurde mir kotzübel. Ich konnte gerade so mein Energygetränk halten, während ich versuchte, irgendwie wieder herunterzukommen. Doch es ging nicht.
Erneut fühlte ich mich total irre, in mir zog sich alles zusammen und ich geriet in Panik, Gleichzeitig strömten alle Möglichen Gefühle durch mich und irgendwie war da auch so eine verzweifelte Aggression, was sich vielleicht komisch anhören mag, denn im Grunde war ich ja eher traurig… Und so kam es, dass ich in Gedanken meine Getränkedose mit voller Wucht auf den Boden knallte. Ich hörte bereits das Schlittern über den Bahnsteig, sah Spritzer überall und sah die verstörten Blicke der wenigen Leute um mich herum. Doch eines gefiel mir nicht. In meiner Vorstellung sah ich entschuldigend aus, zuckte mit den Schultern und sagte: „Ist runtergefallen!“ Das war typisch ich. „Ist sie nicht“ dachte ich also nur in der Realität und lief umher, um etwas zu tun…bis mein Zug nach Mannheim kam…

22:10
Frankfurt Hauptbahnhof. Ich war die erste auf dem Bahnsteig und zündete mir schon auf dem Weg zur Raucherecke die Zigarette an. Als ich gerade zum Stehen kam, ertönte durch die Lautsprecher, dass mein Zug nach Würzburg 50 Minuten Verspätung haben sollte. Ich sah meinen nächsten an und mein nächster mich. „Neeee, oder?!“ fragte ich. Er nickte nur und schien so ruhig dabei. Mir wurde im anschließenden Gespräch auch klar, warum ihm das egal war…er kam nämlich gerade aus Lüttich an, wo es ja einen Amoklauf gab. Er meinte, er war dort ganz in der Nähe und hätte am Ort des Geschehens sogar zu dieser Zeit eine Verabredung gehabt, die sich zum Glück vorher verschoben hatte. Die Vorstellung, dass ich ihn nie kennen gelernt hätte, ließ mich erschaudern und an was anderes denken. Ich meine, ich sehe den nie wieder…aber trotzdem! Jedes Gespräch in dem zwei Individuen aufeinander treffen, hat ein Gewicht…
Ich unterhielt mich eine Weile mit ihm und als dann noch eine Frau dazu kam, die in genau den selben Zug musste, standen wir zu dritt betreten da und erzählten ein bisschen…der Mann hatte natürlich die extremste Fahrt hinter sich, aber immerhin kam er aus Lüttich weg. „Und hier bekommt die Bahn es nicht hin, ihre Züge fahren zu lassen!“ meinte er dann noch.
Da ich den flexibelsten Weg hatte (es war egal, am Schluss würde ich sowieso ein Taxi nehmen müssen), suchte der Mann einen Zug für mich, fand aber nichts, also versuchte ich mein Glück an der Bahninfo, die natürlich geschlossen hatte. Allerdings standen da noch Leute drin und ich hüpfte vor den Glasscheiben herum, bis einer raus musste, den ich dann als erstes anfiel. Er haute ab und der nächste meinte, ich sollte zu Servicepoint, denn das waren leider nur Handwerker. Am Servicepoint stand ich doof rum und wartete, bis ich dran kam. Die Frau textete mich wie es schien ewig zu und meinte dann: „Ach ja, Ihr Zug fährt in drei Minuten von gaaaaaaaaaaaaaaanz da hinten.“ Und ich war schon lange nicht mehr so gerannt. Die ganze Zeit schrie ich nur „Fuckfuckfuck…“ und „Bleib stehen, Zuuuug“, bis ich dann endlich drin saß…im Zug nach Gemünden. Spontan, keine Ahnung wieso. Eigentlich müsste ich der Frau vom Servicepoint noch dankbar sein, weil sie mir nicht lang und breit erklärt hat, warum ich in diesen Zug steigen soll.

22:36
Im Zug saß ich eigentlich ganz bequem. Da fast keiner mehr unterwegs war, konnte ich mir ohne schlechtes Gewissen die Schuhe ausziehen und mich ausbreiten. Zum schlafen kam ich aber nicht, da sich ein Kerl in die Vierersitzecke gegenüber von mir pflanzte. Ich meinte nur: „Entschuldigen Sie…sie haben da ein Blatt am Schuh kleben!“ worauf er sich bedankte. Ich fand es angebracht, da ich auch nicht wirklich mit so was rumlaufen wollen würde.
Ich schloss also beruhigt die Augen und als ich sie wieder öffnete, drehte sich der Mann eine Zigarette. Keine Besondere Aktion…aber dennoch konnte ich meine Augen nicht mehr abwenden. Er brauchte ca. eine halbe Stunde plus 20 Minuten rumsitzen, die Krümel von seiner Hose aufpicken und die Kippe zweimal fallen lassen. Mr. Chocolate meinte später, der sei total dicht gewesen. Ich war mir nicht sicher, denn kann man so dicht sein, dass man sein Gras im halben Abteil verteilt?

Kurz nach Mitternacht
Ankunft in Gemünden. Das erste, was ich dachte war: „Taxi!!“…und ich ging um die Ecke und… Natürlich nichts. Aber ich sah ein Casino und dort nachzufragen war auf alle Fälle besser als auf gut Glück zu trampen.
So ging ich also zum ersten Mal in meinem Leben in ein Casino in der Erwartung mit meinen Jeans und Springerstiefeln in hohem Bogen rauszufliegen wegen irgendeinem Dresscode. Und ich war sehr überrascht, als ich sah, dass alles – bis auf zwei Penner und einen Kerl aus Stein – leer war. Den Kerl aus Stein fragte ich nach einem Taxi, bedankte mich und fragte mich nicht, warum er sich nicht verabschiedet hat. Pokerface. Unangebracht, aber extrem gut aufgelegt, sodass es richtig nervös macht, weil man einen absolut nicht einschätzen kann.

Als das Taxi dann endlich um kurz nach halb eins kam, freute ich mich. Und das beste war, dass der Taxifahrer echt nett war und mir ein bisschen was aus seinem Leben erzählt hat. Am Ende wusste ich, dass er eine Fernbeziehung mit Chemnitz hat, seine Frau an den Wochenenden besucht, dass das Taxiunternehmen ihm gehört und dass er eine Kneipe in dem Kaff besitzt.
An einem Bahnhof schmiss er mich raus, ich gab ihm Trinkgeld und bedankte mich für die Fahrt, was er wohl selten erlebt…er war wohl echt überrascht, um diese Zeit noch solche Gespräche zu führen…

Fast 1 Uhr
Ich fühlte mich so wunderbar, so aufgeregt, so voller Angst, was mich erwarten würde. Und ich fand letztendlich doch den Weg zu Mr. Chocolate. Irgendwie fiel mir alles auf dem Weg liegende wieder ein…und bis ich vor der Tür stand erschien mir alles auch irgendwie so irreal wie in einem Traum. Alles, was ich gerade erlebt hatte, zog an mir vorbei und ich sah an dem Haus hoch in den Nachthimmel Frankens und dann wieder runter bis zum Klingelschild. Und ich drückte drauf. Einmal, zweimal, dreimal,…keine Ahnung wie oft. Dann ging ich noch einmal auf den Kirchplatz vor Mr. Chocolates Fenster. Alles dunkel. War er weg? Was, wenn wirklich etwas passiert ist? Wenn er… Aus Angst klingelte ich ein letztes Mal. Seeeeehr lange, bis er sein Wohnzimmerfenster öffnete und herausschrie: „Geht’s noch?“
Ich sprang daraufhin um die Ecke und schrie aufs äußerte romantisiert „Ich liiieeebe diiich!“ und als ich ihn am Wohnzimmerfenster sah: „Haaalloo-hoo!“ Total bekloppt also, aber er öffnete.
Das Leben habe ich ihm nicht gerettet, weil es ja nichts zu retten gab. Es war ja alles in bester Ordnung bis auf den Schnupfen und die psychosomatischen Magenschmerzen. Ich weiß ja nicht, wie sich das anfühlt, aber ich finde, man könnte trotzdem absagen. Eigentlich hätte er nämlich am Montag zu mir kommen sollen…und ich hasse warten, wenn keiner kommt. Mit dem Zu-spät-Kommen der anderen kann ich mehr oder weniger Leben. Aber gar nicht erscheinen und nicht absagen, obwohl ich total vorbereitet war…das geht ja mal gar nicht…und das ist auch nicht zu entschuldigen, da ich echt kurz vor der Klapse stand…

Wie dem auch sei, ich blieb den Mittwoch und den Donnerstag und fuhr mit dem letzten Zug heim. Was ich da alles erlebt habe, würde hier allerdings den Rahmen sprengen, also gibt es dafür einen extra Artikel.

Und ach ja…ich will diese Beziehung zu Mr. Chocolate trotzdem vertiefen. Er hat seine Psyche und Vergangenheit genau so wie ich und ich denke, wenn wir näher beieinander sind, können wir lernen, damit umzugehen. Wir tun uns ebenso schlecht wie auch gut. Aber auf 300 km Entfernung entstehen zu viele Missverständnisse, zu viele Sorgen…und das will ich nicht. Zumindest nicht in Zukunft…

 

Hört: Nightcore – Sending S.O.S.

Posted by Journey

Kategorie: Allgemein

Autor: Journey

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